AW: Schöne deutsche Gedichte
Noch ist die Freiheit nicht verloren
Noch ist die Freiheit nicht verloren
noch sind wir doch nicht ganz besiegt
In jedem Lied wird sie geboren
das aus der Brust der Lerche fliegt
sie rauscht uns zu im jungen Laube
im Strom, der sich durch Felsen drängt
sie glüht im Purpursaft der Traube
der brausend seine Bande sprengt
Der sei kein rechter Mann geachtet
dem lohne nie der Jungfrau Kuß
der nicht aus tiefster Seele trachtet
wie er der Freiheit dienen muß
Das Eisen wächst im Schoß der Erden
es ruht das Feuer in dem Stein -
Und wir allein soll Knechte werden ?
Ja, Knechte bleiben, wir allein ?
Laßt euch die Kette nicht bekümmern
die noch an eurem Arme klirrt
Zwing-Uri liegt in Schutt und Trümmern
sobald ein Tell geboren wird !
Die blanke Kette ist für Toren
für freie Männer ist das Schwert
Noch ist die Freiheit nicht verloren
solang ein Herz sie noch begehrt
Robert Prutz ( 1816 -1872 )
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Soester Sonett von Otto Freiherr von Taube
Ich bin nicht ich, bin mehr, als alle wähnen,
bin meiner Väter, meiner Ahnen Blut,
ich habe ihre Liebe, ihre Wut
in mir, ihr Werk und Wesen und ihr Sehnen;
hab' ihre Mühen in mir, ihre Tränen
und ihre Lust, ihr Lachen, ihren Mut,
hab' ihr Versagen in mir, ihre Glut:
Ich bin nur das, was einstmals war in jenen.
Das bin ich. Weder weniger noch mehr.
Unschätzbar Gut ward so mir mitgegeben.
Wie ich's verwalte, das allein ist mein:
Gott schütz mich, dessen nicht mehr wert zu sein!
Und helfe mir in meinem kurzen Leben,
daß ich's verwalte nach Gebühr und Ehr.
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Von einer Dichterin aus der Deutschen Ostmark:
Zitat:
Fruehlingsstimmung
Wenn Fruehlingswaerme mit dem linden Weste,
Der kosend um erwachte Knospen webt,
Die Brust der jungen Erde schwellend hebt,
Verschwenderisch, als reichbeschenkte Gaeste,
Laedt sie uns ein zu ihrem Liebesfeste.
Und glaeubig oeffnet sich, an Hoffnung reich,
Die Seele, dem erbluehten Baume gleich,
Der rosig streckt zum Himmel seine Aeste.
Dir gilt mein Liebesfest! Du bist die Sonne,
Ein Baum bin ich, der ganz in Knospen glueht
Und ueberschwillt in des Erbluehens Wonne,
Um in der Liebe Licht sich einzutauchen,
Das lebensspendend dir im Auge sprueht,
Wenn Deine Lippen Fruehlingswaerme hauchen.
(Rosa Mayreder 1858-1938-Oesterreichische Schrifstellerin)
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Der Teller ist warm,
das Essen nicht.
Mikrowellengedicht.
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Nachtfalter
(aus Gertrud von den Brincken: Wer nicht das Dunkel kennt. Gedichte. Riga 1911. S. 35)
Ein Falter, mit
sehnendem Herzen
nach Lichtglanz, umflog meine Kerzen,
bewundernd den leuchtenden Schein.
Befangen in träumender, scheuer
Betrachtung umkreist er das Feuer,
... und flog in die Flammen hinein.
Ich sah, wie die
zitternden Schwingen
zu Asche im Feuer vergingen,
und frug mich: was Gott wohl gedacht,
als ER dieses ruhlose Streben
nach Licht und nach Helle gegeben
gerade den Faltern der Nacht...
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Richard Wagner
Tannhäuser
Inbrunst im Herzen (Romerzählung)
TANNHÄUSER
Inbrunst im Herzen, wie kein Büsser noch
sie je gefühlt, sucht' ich den Weg nach Rom.
Ein Engel hatte, ach! der Sünde Stolz
dem Übermütigen entwunden: -
für ihn wollt' ich in Demut büssen,
das Heil erflehn, das mir verneint,
um ihm die Träne zu versüssen,
die er mir Sünder einst geweint! -
Wie neben mir der schwerstbedrückte Pilger
die Strasse wallt', erschien mir allzuleicht: -
betrat sein Fuss den weichen Grund der Wiesen,
der nackten Sohle sucht' ich Dorn und Stein;
liess Labung er am Quell den Mund geniessen,
sog ich der Sonne heisses Glühen ein; -
wenn fromm zum Himmel er Gebete schickte,
vergoss mein Blut ich zu des Höchsten Preis; -
als das Hospiz die Wanderer erquickte,
die Glieder bettet' ich in Schnee und Eis: -
verschlossnen Aug's, ihr Wunder nicht zu schauen,
durchzog ich blind Italiens holde Auen: -
ich tat's, - denn in Zerknirschung wollt' ich büssen,
um meines Engels Tränen zu versüssen! - -
Nach Rom gelangt' ich so zur heil'gen Stelle,
lag betend auf des Heiligtumes Schwelle; -
der Tag brach an: - da läuteten die Glocken,
hernieder tönten himmlische Gesänge;
da jauchzt' es auf in brünstigem Frohlocken,
denn Gnad' und Heil verhiessen sie der Menge.
Da sah ich ihn, durch den sich Gott verkündigt,
vor ihm all Volk im Staub sich niederliess;
und Tausenden er Gnade gab, entsündigt
er Tausende sich froh erheben hiess. -
Da naht' auch ich; das Haupt gebeugt zur Erde,
klagt' ich mich an mit jammernder Gebärde
der bösen Lust, die meine Sinn' empfanden,
des Sehnens, das kein Büssen noch gekühlt;
und um Erlösung aus den heissen Banden
rief ich ihn an, von wildem Schmerz durchwühlt. -
Und er, den so ich bat, hub an: -
«Hast du so böse Lust geteilt,
dich an der Hölle Glut entflammt,
hast du im Venusberg geweilt:
so bist nun ewig du verdammt!
Wie dieser Stab in meiner Hand
nie mehr sich schmückt mit frischem Grün,
kann aus der Hölle heissem Brand
Erlösung nimmer dir erblühn!» - -
Da sank ich in Vernichtung dumpf darnieder,
die Sinne schwanden mir. - Als ich erwacht,
auf ödem Platze lagerte die Nacht, -
von fern her tönten frohe Gnadenlieder. -
Da ekelte mich der holde Sang, -
von der Verheissung lügnerischem Klang,
der eiseskalt mir durch die Seele schnitt,
trieb Grausen mich hinweg mit wildem Schritt. -
Dahin zog's mich, wo ich der Wonn' und Lust
so viel genoss an ihrer warmen Brust! -
Zu dir, Frau Venus, kehr' ich wieder,
in deiner Zauber holde Nacht;
zu deinem Hof steig' ich darnieder,
wo nun dein Reiz mir ewig lacht!
[WOLFRAM
Halt ein! Halt ein, Unseliger!]
TANNHÄUSER
Ach, lass mich nicht vergebens suchen, -
wie leicht fand ich doch einstens dich!
Du hörst, dass mir die Menschen fluchen, -
nun, süsse Göttin, leite mich!
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D i c h t e n ist ...
(Fassung 1)
Dichten ist: Unbrauchbares
anbaun, wo alles wüst;
glauben, der Heiland war es,
der dich am Zaun gegrüßt.
Sterne falln in die Stuben,
mieten sich ein in der Brust;
Frühlinge, die wir begruben,
blühen auf als August.
Dichten ist: Ungeschehnem
nachgehn am Erdbeerrain,
treu einem Niegesehnen
oder untröstlich sein.
Alles, was unvereinlich,
feiert Hochzeit im Lied.
Leblos und unwahrscheinlich
wird, was im Leben geschieht.
Dichten ist: w i s s e n: keiner
braucht deinen Ruf und Reim.
Dichten ist g l a u b e n: einer
trägt sie doch mit sich heim.
D i c h t e n ist...
(Fassung 2)
Dichten ist Sichten
was hinter Geschicken geschah,
lange vor Weltenaufgang,
lange vor Ithaka.
Schwermut wiegt schwer auf der Waage
schwankenden Gleichgewichts
Da hilft keine süße Praline,
keine blendend weiße Gardine,
kein Schlager im Rundfunk,
nichts.
Nur,
nur die papierdünne Knospe
zukünftigen Gedichts.
Lerne daraus: in Sirenen
Sinn der Verwandlung sehn,
Versuchung und Odysseen
ohne Wachs im Gehörgang bestehn.
Gertrud von den Brincken
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Theodor Fontane (1819 - 1898)
Die Brück' am Tay
When shall we three meet again (Shakespeare: Macbeth)
»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.« »Ich lösche die Flamm'.«
»Ich mit.«
»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich von Süden.«
»Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt ein Ringelreihn,
Und die Brücke muß in den Grund hinein.«
»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund'?«
»Ei der muß mit.«
»Muß mit.«
»Tand, Tand,
Ist das Gebilde von Menschenhand.«
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu,
Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«
Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schein
Am anderen Ufer. Das muß er sein.
Nun Mutter, weg mit dem bangen Traum,
Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,
Zünd' alles an wie zum heiligen Christ,
Der will heuer zweimal mit uns sein, -
Und in elf Minuten ist er herein.«
Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf,
Und wie's auch rast und ringt und rennt,
Wir kriegen es unter: das Element.«
»Und unser Stolz ist unsre Brück';
Ich lache, denk ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;
Wie manche liebe Christfestnacht
Hab ich im Fährhaus zugebracht,
Und sah unsrer Fenster lichten Schein,
Und zählte, und konnte nicht drüben sein.«
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel',
Erglüht es in niederschießender Pracht
Überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.
»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«
»Ich komme.« »Ich mit.«
»Ich nenn euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«
»Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand,
Ist das Gebilde von Menschenhand.«
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Tatsächlich stand und steht das Brückenhaus am Südufer.
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Oh Mädchen, Du hast so schöne Beine,
wie ich sie sah noch keine
und ich bedaure fast,
dass du nur zweie davon hast.
AW: Schöne deutsche Gedichte
"Wilhelmus van Nassouwe
Ben ick van Duytschen bloet
Den Vaderlant getrouwe
Blyf ick tot in den doet:
Een Prince van Oraengien
Ben ick vrij onverveert,
Den Coninck van Hispaengien
Heb ick altijt gheeert.
Wilhelmus von Nassawe
bin ich von teutschem blut,
dem vaterland getrawe,
bleib ich bis in den todt,
Ein printze von Uranien
bin ich frey un[v]erfehrt,[10]
den könig von Hispanien
hab ich allzeit geehrt.
Wilhelmus van Nassouwe
ben ik, van Duitsen bloed,
den vaderland getrouwe
blijf ik tot in den dood.
Een Prinse van Oranje
ben ik, vrij onverveerd,
den Koning van Hispanje
heb ik altijd geëerd"