Vergewaltigung und sexuelle Misshandlung gehören in den Polizeistationen und Gefängnissen der Türkei zum schrecklichen Alltag.
Wer diese Tatsachen öffentlich macht, wird selbst mit Gefängnis bedroht
1997 gründeten vier Rechtsanwältinnen das Projekt "Büro gegen sexuelle Folter - Rechtliche Hilfe für Frauen, die in Polizeihaft vergewaltigt oder sexuell misshandelt wurden". Damit brachen sie ein Tabu: das öffentliche Schweigen über die weit verbreitete sexuelle Folter, der Frauen in Polizeiquartieren, Gefängnissen und im kurdischen Teil der Türkei ausgesetzt sind.
Ziel war, den Betroffenen kostenlosen Rechtsbeistand zu leisten und sie zu ermutigen, ihre Folter anzuzeigen.Ein Anliegen, das große Resonanz fand: 136 Frauen wandten sich bislang an die Anwältinnen, 13 Anklagen sind vor verschiedenen türkischen Gerichten und 26 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig, weitere 56 Fälle liegen beim Staatsanwalt. Im Juni 2000 fand in Istanbul ein von mehreren Frauengruppen organisierter Kongress zum Thema statt, auf dem unter anderem betroffene Frauen sprachen. Schon früher waren die Frauen, die ihre Erlebnisse veröffentlicht hatten, bedroht, verfolgt, erneut verhaftet und gefoltert worden. Nun ging der türkische Staat noch weiter: im November 2000 eröffnete die Staatsanwaltschaft Beyoglu in Istanbul ein Verfahren gegen 16 Frauen, die den Kongress organisiert bzw. an ihm teilgenommen hatten, später wurde die Zahl der Angeklagten auf 19 erhöht. Zudem wurden drei weitere Prozesse gegen Menschen eröffnet, die sich öffentlich gegen sexuelle Folter ausgesprochen hatten. Die Vorwürfe reichen von "Staatsverunglimpfung" bis zu "separatistischer Propaganda" und sind sämtlich mit Haftstrafen bewehrt.
Der Hintergrund
In der Türkei und insbesondere in den kurdischen Gebieten setzen staatliche Kräfte sexuelle Folter und Vergewaltigung an Frauen als systematisches Druck- und Kriegsmittel ein. Oft können die betroffenen Frauen nicht einmal im engsten Familienkreis über das Erlittene sprechen - aus Angst, aufgrund der gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen aus dem Familien- und Gesellschaftsverband ausgestoßen oder neuer Repression ausgesetzt zu werden. Seit einiger Zeit ändert sich dies: zunehmend bringen Frauen den Mut auf, über das Erlebte zu sprechen. Der Mut der betroffenen Frauen und Menschenrechtsaktivistinnen über die erlebte sexuelle Folter zu berichten, Anzeige gegen die staatlichen Täter zu erstatten und Öffentlichkeit herzustellen, ist ein entscheidener Schritt auf dem Weg der Sraflosigkeit der Folterer und Vergewaltiger ein Ende zu bereiten. Genauso wichtig ist, dass dies nicht nur als individueller Akt geschieht, da auch die staatlich organisierten Menschenrechtsverbrechen nicht individuell sind, sondern systematisch geschehen.
Aber auch unter denjenigen Frauen aus der Türkei, die im Exil um politisches Asyl kämpfen, befinden sich unzählige, die aus unterschiedlichsten Gründen bisher nicht den Mut aufbrachten über die an ihnen verübte sexuelle Folter zu sprechen. Zu diesen Gründen gehören die Angst, sich der eigenen Familie zu offenbaren ebenso wie der eigene unsichere Aufenthaltsstatus und die Furcht, dass in der Türkei lebende Familienangehörige mit staatlichen Repressionen überzogen werden könnten. Ein folgenreiches Schweigen, stützt es doch die Straflosigkeit der Folterer; zudem wirkt es sich nicht selten negativ auf den Verlauf des Asylverfahrens aus und verstärkt die psychischen Folgen der Folter bei den Betroffenen selbst. Ein wichtiges Feld der Unterstützungsarbeit besteht daher darin, die Situation zu dokumentieren und Öffentlichkeit herzustellen. Diese Öffentlichkeit ist ein nicht unerheblicher Schutz für Betroffenen und Menschenrechtsaktivistinnen.