Jahrhundertelang war es gerade in der katholischen Tradition üblich, eine sichere Basis für Gut und Böse im „Naturrecht“ anzunehmen. Und ist das nicht in der Tat nach wie vor die Lösung? Können sich nicht alle, religiöse wie nichtreligiöse Menschen, darauf verständigen? Aber auch dieses „Instrument“, so Ratzinger, sei „leider stumpf geworden“, so daß er persönlich von einem Verweis auf das „Naturrecht“ Abstand nehmen wolle.
Die Idee des Naturrechts setze nämlich „einen Begriff von Natur voraus, in dem Natur und Vernunft ineinander“ griffen, die Natur selber also „vernünftig“ sei. Diese Sicht von Natur aber sei mit dem Sieg der Evolutionstheorie „zu Bruch gegangen“. Die Natur als solche sei nicht vernünftig, auch wenn es in ihr vernünftiges Verhalten gäbe.
Und doch will Ratzinger an einem „letzten Element des Naturrechts“ festhalten
und kommt deshalb auf die Menschenrechte noch einmal zurück. Denn Menschenrechte seien nun einmal nicht verständlich ohne die Voraussetzung, daß der Mensch als Mensch, einfach durch seine Zugehörigkeit zur Spezies Mensch, Subjekt von Rechten sei, daß sein Selbst also Werte und Normen in sich trage, die zu finden, aber nicht zu erfinden sind. Daraus folgt ein Doppeltes: „Vielleicht müßte heute die Lehre von den Menschenrechten um eine Lehre von den Menschenpflichten und von den Grenzen des Menschen ergänzt werden.“