Minderjährige Intensivtäter wie der abgeschobene Türke verbreiten in fast allen größeren deutschen Städten Angst.
Sind Polizei und Justiz machtlos?
Von Jochen Kummer
Hamburg - Der türkische Intensivtäter Mehmet, über den WELT am SONNTAG in der vorigen Woche berichtet hat, ist in Deutschland kein Einzelfall.
"Bundesweit" gibt es in den größeren deutschen Städten Gruppen von Kindern, die als schwerkriminell einzustufen sind.
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Unter den Intensivtätern sind 13-jährige ausländische Jugendliche, die über hundert Straftaten begangen haben - noch mehr als der 1998 im Alter von 14 Jahren in die Türkei abgeschobene Mehmet mit seinen 62 Taten. Der Fall Mehmet hat neues Aufsehen erregt, weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden hat: Mehmet darf nach Deutschland zurückkehren.
Auch andere Großstädte wie Hamburg, Frankfurt oder Köln haben ihre Mehmets. Einer von ihnen ist
Oguzhan G., ein am 15. Januar 1980 bei Hamburg geborener Türke. Er terrorisierte mit 16 Jahren einen ganzen Hamburger Stadtteil und wurde als "Schrecken von Berne" gefürchtet. Von März 1996 bis September 1999 nahm die Polizei 26 Anzeigen auf: Körperverletzung, Raub, Erpressung, Drogendelikte, Einbrüche, Hehlerei, Hausfriedensbruch.
Die Hamburger Justiz im damals rot-grün regierten Stadtstaat blieb trotz der Angst der Bevölkerung vor dem türkischen Hünen von inzwischen 1,98 Meter und hundert Kilo lange untätig. Wohin die Nachsicht führte? Als Oguzhan G. im Januar 2000 schließlich zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde, erhielt er
Bewährung - 60 Anzeigen lagen da schon vor.
Inzwischen ist er 21 Jahre alt geworden. Seit dieser Woche steht der Intensivtäter zum ersten Mal vor einem Gericht für Erwachsene: vor einer Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg, unter der Anklage des
erpresserischen Menschenraubs und räuberischer Erpressung. An eine Abschiebung wie bei Mehmet in München dachte niemand in den Hamburger Behörden. Sicherheitshalber stellte Oguzhan 1999 einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber bis heute besitzt er noch die türkische.
Viele kleine Mehmets haben in Hamburg-Neuwiedenthal mit Bandenterror in 37 Fällen Angst verbreitet: Türken und Tunesier wie Ali A., Kenan K., Cihan Y., Yasar U., Sadok S., Numan K. bildeten Straßencliquen, die mit Deutschen in Banden rivalisierten.
Einige haben bereits einen deutschen Pass. Einer der Gangmitglieder, Mirco S., 17, wurde durch sie im Januar 1997 durch
Erpressung in den Tod getrieben: Er sprang vor eine S-Bahn. Einer der Täter, Kenan K.,mit türkischer Nationalität wurde zu acht Monaten verurteilt - auf Bewährung.
In München sind in diesem Jahr 49 minderjährige Intensivstraftäter bei der Polizei registriert worden, die es auf mehr als zwanzig Delikte gebracht haben.
Knapp sechzig Prozent sind Ausländer.
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Zu ihnen gehört auch der in München geborene Türke Bilal G., der bei seinem Vater lebt.
Als 13-Jähriger hat er es auf über hundert Straftaten gebracht - Raub, gefährliche Körperverletzung, Drogendelikte, Diebstahl. Nie konnte er belangt werden, weil er strafunmündig war.
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Sein 14-jähriger Komplize aus Syrien hatte es auch bereits faustdick hinter den Ohren. Er und sein Zwillingsbruder haben bis zum Sommer dieses Jahres 89 beziehungsweise 68 Straftaten begangen.
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Kanzler Schröders kerniger Spruch "Kriminelle Ausländer müssen raus, und zwar schnell!" klingt noch im Ohr. So schnell geht das aber nicht, wie auch der Fall des 14-jährigen J., eines jordanischen Jungen, beweist. Laut Sozialreferat der Stadt München hat er bis zum 30. Juli dieses Jahres vierzig Straftaten begangen. Bis dahin war er nicht rechtskräftig verurteilt worden.
1998 hat sein Vater für sich und vier Kinder einen Einbürgerungsantrag gestellt. Der Familie wurde eine Einbürgerungszusage erteilt. Zurzeit wird jedoch geprüft, ob sie aufrechterhalten werden kann.
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Welch kostspielige aufwendige Zuwendung für all die Mehmets betrieben werden muss, hat die Stadt München aufgeschlüsselt. Mehmet wurde vom Jugendamt eine so genannte "Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung" (ISE) gewährt. Kosten pro Tag: 280 Mark, ergibt im Jahr 102.200 Mark. Zum selben Zeitpunkt wie Mehmet erhielten in München insgesamt 96 Jugendliche diese Einzelbetreuung. Gesamtkosten für den Steuerzahler pro Tag: 26.880 Mark, pro Monat 806.400 Mark. Im Jahr summiert sich das auf 9.811.200 Mark, fast zehn Millionen Mark. Unter den 96 waren überproportional viele ausländische Jugendliche: 23 - jeder Vierte.