Nun hier geht es nicht darum ob das GG eine Verfassung ist oder nicht, denn all die Diskussionen, die hier deswegen geführt wurden, enthalten meist einen Denkfehler.
Sie drehen sich nicht um die bereits genannte Frage, sondern rein um die Legitimation einer Verfassung. Das ist zu Beantwortung der Frage irrelevant.

Definition Verfassung:
Als Verfassung wird das zentrale Rechtsdokument oder der zentrale Rechtsbestand eines Staates, Gliedstaates oder Staatenverbundes bezeichnet. Sie regelt den grundlegenden organisatorischen Staatsaufbau, die territoriale Gliederung des Staates, die Beziehung zu seinen Gliedstaaten und zu anderen Staaten sowie das Verhältnis zu seinen Normunterworfenen und deren wichtigste Rechte und Pflichten.


Damit ist die Frage ob das GG eine Verfassung ist oder nicht, mit ja beantwortet.

Darum kann es mit dem eigentlichen Thema weiter gehen, nämlich dem Artikel 146 GG und der brennenden Frage erhält er die rechtlich verbindlich zwingende Verpflichtung zu einer neuen Verfassung.

Artikel 146 vom 24.05.1949

Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Artikel 146 jetziger Stand

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist..

Jedem wird auffallen, das ich die Änderung von 1990 nicht gesondert hervorgehoben habe. Nun diese Änderung ist für die alleinige Betrachtung des Artikel irrelevant, denn sie ändert nicht seine Kernaussage.
Seine Kernaussage betrifft nur die Gültigkeitsdauer des GG und die Bedingung, die eine Verfassung, die das GG ersetzt, erfüllen muss.

Der Text des Artikels enthält weder das Wort Verpflichtung, noch eine Formulierung, die eine klare rechtlich verbindliche Verpflichtung zu einer neuen Verfassung ausdrückt. Aus ihm alleine ergibt sich also keine Verpflichtung.
Müssen wir also anderweitig nach einer Verpflichtung suchen.

Manche sagen, allein aus seiner Existenz ergibt sich eine rechtlich verbindliche Verpflichtung.
Viele sagen, das keine andere Verfassung ein solchen Passus enthält und sich deswegen eine rechtlich verbindliche Verpflichtung aus der Existenz ergibt.
Nun es gibt keine festgeschriebenen Vorschriften darüber, was eine Verfassung enthalten muss oder nicht, außer dem, was durch die Aufgabe, die sie erfüllen soll, bedingt ist.
Man könnte die Existenz des Artikels 146 GG als Verpflichtung auslegen, muss man aber nicht, da man den Artikel 146 GG z.b. mit den Artikel 138 und 139 über die Revision der Schweizerverfassung gleichsetzen könnte.
Das beruht auf der Rechtslehre, das sich ein Volk als Souverän jederzeit eine neue Verfassung geben kann. Nach diesem Grundsatz, ist keine Verpflichtung notwendig.

Kommen wir nun zu einem Teil aus dem sich durchaus eine Art von Verpflichtung ableiten lässt, nämlich aus der ursprünglichen Präambel, jedoch ist diese Verpflichtung nicht rechtlich verbindlich.

Präambel von 1949

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. [2] Es hat auch für jene Deutsche gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. [3] Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

Ich habe den bedeutenden Teil hervorgehoben. Aus dem Teil ergibt sich, das die Väter des GGes das GG als Übergangsregelung erdacht haben. Nun das sieht doch noch Verpflichtung aus. Es ist aber keine rechtlich bindende Verpflichtung, da eine Präambel kein eigentlicher Bestandteil des ihr nachfolgenden Werkes ist, sondern nur ein Vorwort und ein Einleitung dazu, das zumeist die Wünsche der Verfasser enthält. Sie hat grundsätzlich keine rechtlich bindende Wirkung.
Zu dem fällt sie nicht unter Artikel 79 Abs. 3 GG ist und war jederzeit veränderbar.

Warum die Väter des GG keine klare rechtlich bindende Verpflichtung ins Grundgesetz geschrieben haben, sondern dies der Auslegung nachfolgende Generationen überlassen haben, kann ich nicht beantworten.

Da wie uns jetzt aber jederzeit eine neue Verfassung geben können, es müssen nur ausreichend Menschen von der Notwendigkeit überzeugt werden, ist die Verpflichtungsfrage im Grunde genommen irrelevant.

Trotz der Möglichkeit uns jederzeit eine neue Verfassung zu geben und der fehlenden rechtlich bindenden Verpflichtung zu einer Verfassung ist der Artikel 146 nicht bedeutungslos. Jeder Versuch eine andere Verfassung als das GG zu etablieren, die nicht die Zustimmung des deutschen Volkes, bedingt das Widerstandsrecht nach Artikel 20 Absatz 4.

Da es keine rechtlich bindende Verpflichtung gibt, bedeutet dies, das wir darüber diskutieren sollten

was für und gegen das GG spricht, bzw. für und gegen eine neue Verfassung.