Pazifist oder Terrorist – wie gewalttätig war Rudi Dutschke?
Februar 1968, Flughafen Frankfurt. Zwei Berliner APO-Aktivisten auf der Durchreise, einer von ihnen: Rudi Dutschke. Die Polizei knöpft sich die beiden vor, denn Dutschke gilt als notorischer Störenfried. Doch was sie wirklich vorhaben und was sich Brisantes in ihrem Koffer befindet – davon haben die Beamten keine Ahnung.
Bahman Nirumand, Weggefährte Dutschkes, erzählt: "Auf dem Frankfurter Flughafen hatte uns die Polizei festgenommen. Wir sollten mit zur Wache in die Stadt fahren und da fragte Rudi, ob wir den Koffer ins Schließfach legen können. 'Natürlich können sie das machen.’ sagten die Polizisten.“
Rudi Dutschke mit Bombe im Koffer? Die unbemerkt blieb und schließlich doch nicht zum Einsatz kam. Geplant war ein Anschlag auf einen Sendemast in Saarbrücken. Von solchen Aktivitäten des Vorzeigelinken hat man bisher nichts gehört.
Rudi Dutschke ist heute eine Ikone der Studentenbewegung mit dem Image des intellektuellen Friedenskämpfers. Selbst Konservative schätzen ihn inzwischen als Patrioten.
Dutschke, ein geistiger Vater des RAF-Terrors?
Das neue Licht auf Rudi Dutschke wirft der handschriftliche Nachlass, der im Hamburger Institut für Sozialforschung aufbewahrt und jetzt ausgewertet wurde. Brisante Notizen: Zur "Demonstrationsvorbereitung“ zählen für Dutschke etwa Nachschlüssel, Spezial-Waffen und schnelle Autos mit auswechselbaren Kennzeichen.
Wie die Nordvietnamesen gegen die Amerikaner kämpften – so wollte Dutschke eine Front gegen den Kapitalismus in den Metropolen des Westens eröffnen. Dutschke skizzierte auf seinen Notizzetteln einen "militärischen Apparat der Revolution“, die sogenannte "Stadtguerilla“. Die sollte "Aktionen gegen die imperialistische Infrastruktur“ starten. Anschläge also, ausgeführt von sogenannten "T. und Son.-Gruppen“.
Für Wolfgang Kraushaar, Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Terror- und Sondergruppen handeln sollte, als Begleitung zu legalen Aktionen.
Bahman Nirumand dazu: "Er hat zum Beispiel Überlegungen angestellt, wo man bestimmte strategische Punkte, Rundfunk, Fernsehen, Springerpresse lahm legen könnte. Auch mit Gewalt, das war akzeptabel aus seiner Sicht.“
Im Februar 1968 tagt in West-Berlin der große internationale Vietnam-Kongress. Aus Mailand reiste der Verleger Giangiacomo Feltrinelli an, millionenschwerer Sponsor der Revolution. Am Vorabend hatte Feltrinelli am Cosimaplatz, wo Rudi Dutschke mit seiner Familie lebte, eine Ladung Dynamit hinterlegt. Sprengstoff für Sabotagezwecke.
Zum Weitertransport versteckten ihn die jungen Eltern Dutschke im Kinderwagen und legten zur Tarnung ihr Baby darauf. Alles im Dienst der Revolution.
War Dutschke womöglich ein geistiger Vater des RAF-Terrors? Dazu würde sein spontaner Ausruf passen, der damals viele irritierte, 1974 neben Otto Schily am Grab von Holger Meins: "Holger, der Kampf geht weiter!“
Doch Gewalt gegen Menschen lehnte Dutschke, anderes als die RAF, stets ab. Aber Dutschkes Notizen werfen ein Schlaglicht darauf, wie schmal der Grat zwischen dem Kampf mit Worten und dem Kampf mit Waffen war. Dutschke selbst blieb in Sachen Gewalt letztlich Theoretiker. Als Ulrike Meinhof ihn rekrutieren wollte, wies er sie entrüstet zurück.