Dossier Wiener Drama
von Christian Höller (Wien)
Bedingungslos hat Österreichs Wirtschaft auf Geschäfte in Osteuropa gesetzt. Nun stürzen die Nachbarn ab - und reißen das Land mit. Die Politik fordert verzweifelt ein Rettungspaket des Westens für den Osten. Ein Plan B fehlt ihr.

Also das Tanzen, das lässt sich die Regierung nicht verbieten. Die Opposition will den Wiener Opernball absagen? Wegen der Finanzkrise? Ah, neee. Wo bleibt da der Sinn für Tradition? Die Freude am Leben? Und so spielten die Reichen und Wichtigen des Landes in der vergangenen Woche noch einmal ein wenig Habsburger Reich, feierten einen Ball, so tönend und prunkvoll, als würde immer noch der Kaiser erwartet: Fanfaren, Orden, Geschmeide, Nationalhymne. Und auf den ersten Blick war es auch wie immer, die Debütanten riefen "Alles Walzer", in den Logen orderten Bankdirektoren Champagner, und der Bauunternehmer Richard "Mörtel" Lugner hatte eine Promi-Schönheit einfliegen lassen, diesmal die "Desperate Housewife" Nicollette Sheridan.

Doch schaute man genauer hin, so merkte man doch recht bald, dass dem Ball diesmal einiges fehlte, nämlich ein erkleckliches Maß an Prominenz aus Politik und Wirtschaft und vor allem die guten Freunde aus dem Osten, die Regierungschefs der Nachbarländer, die in den vergangenen Jahren so gern gekommen sind; diesmal blieben sie fern. So abgezockt sind sie dann doch nicht wie Bundeskanzler Werner Faymann, der sagte: "Ich lasse mir das Fest nicht von der Wirtschaftskrise verderben."

Nun, sollte er vielleicht auch nicht. Schon bald könnte ihm nicht mehr nach Feiern zumute sein. Seinem Land droht ein Desaster. Etwas hat sich gegen Österreich gewendet, was ihm eigentlich eine große Zukunft sichern sollte: die Milliardengeschäfte in den ehemaligen Kronländern der Habsburger Monarchie. Diese Länder stürzen derzeit reihenweise ab - und reißen den Nachbarn mit. "Geht Österreich pleite?", sorgt sich bereits das Wiener Nachrichtenmagazin "Profil".

Hauptsitz der Austria Bank in WienDank seiner Historie, dank seine Geografie wollte Österreich Brückenbauer zwischen dem Osten und Westen Europas sein, seit Jahrzehnten verfolgte die österreichische Wirtschaft die Strategie, sich in die einstigen Kronländer einzukaufen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sicherte sie sich die besten Plätze, allen voran drei Banken, die Erste Bank, die Raiffeisen International und die Unicredit-Tochter Bank Austria. Sie wollten raus aus dem kleinen Heimatmarkt, und zwar nach Osten. "Wir stehen den Ungarn und Tschechen nun einmal näher als den Deutschen", sagt der Chef der Wiener Erste Bank, Andreas Treichl.

Goldene Zeiten konnte Treichl noch vor der Krise feiern, mit launigen, überheblichen Sprüchen: "Niemand wächst so schnell wie wir", sagte er und versprach seinen Aktionären Wachstumsraten von 20 Prozent im Jahr, in manchen Ländern wie Rumänien könne er sogar 40 Prozent erreichen. In einem Jahrzehnt machte Treichl aus einer kleinen Regionalbank mit 600.000 Kunden eine Börsengröße, die im Osten einen Rivalen nach dem anderen aufkaufte und heute 16 Millionen Kunden betreut - zweimal so viel wie Österreich Einwohner hat. Treichls spektakulärster Deal war der Kauf von knapp zwei Dritteln an Rumäniens Marktführer BCR, für den er 3,75 Mrd. Euro hinlegte: die teuerste Bankübernahme in Osteuropa aller Zeiten. Das Gebot entsprach dem 5,8-fachen Buchwert des BCR-Eigenkapitals. Normalerweise sind die Aufschläge in der Region halb so groß. Die Regierung in Bukarest musste das Geld in London anlegen, weil ein Umtausch die Landeswährung dramatisch aufgewertet hätte. Nach der Transaktion wurde Treichl in seiner Heimat zum "Manager des Jahres" gekürt. "Nur der Himmel kann ihn stoppen", titelte der Boulevard...
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Österreich steht heute vor einem Abgrund, der so tief ist wie der 1918. Die österreichische Bourgeoisie hat ihr gesamtes Vermögen auf die Emerging Markets in Osteuropa gesetzt. Ein Äquivalent von 80 % des Bruttosozialproduktes von Österreich ging als Kredite nach Osteuropa. Die Schuldner dort haben sich aber nicht in den heimischen Währungen verschuldet, sondern in Euro und Schweizer Franken. Die Abwertung der osteuropäischen Währungen führt dadurch unmittelbar zur Schwächung der Schuldner und der österreichischen Banken. Die Kapitalflucht aus Osteuropa ist dabei die Wiener Bourgeoisie zu zerreissen, die noch in einem letzen Reflex der Weltflucht auf dem Wiener Opernball den letzten Tanz tanzt.