Elmar Theveßen (ZDF): Wofür Sie zuständig sind, ist natürlich die Situation in Deutschland selber und da geht es auch um die Frage, welche Rolle spielt Fundamentalismus in Deutschland? Wie kommen wir im Zusammenspiel der Religionen miteinander zurecht? Die Islamkonferenz haben Sie vorhin angesprochen. Wie sähe denn so ein deutscher Islam, wie Sie ihn mal genannt haben, aus? Wie würden Sie sich das wünschen, damit hier ein friedliches Miteinander auf dem Boden des Grundgesetzes gewährleistet ist?
Schäuble: Man muss natürlich zunächst einmal sagen, der Bundesinnenminister darf sich nicht wünschen, wie eine Religionsgemeinschaft auszusehen hat, sondern ich sage, wir haben ja die Neutralität des Staates gegenüber Religion, wir haben Religionsfreiheit, deswegen: Jeder kann seine Religion in unserem Land leben, aber die Religionsfreiheit entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. (…) Wie Muslime diese Ordnung auch akzeptieren, beispielsweise die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und zwar nicht so offen als eine papiererne Erklärung, sondern im Schulunterricht, dass Mädchen auch an Klassenausflügen teilnehmen und am Sportunterricht. In dem Maße kann Islam bei uns heimisch werden und in dem Maße, wie der Islam unsere Regeln akzeptiert oder die Muslime unsere Regeln akzeptieren, sind sie für uns alles andere als eine Bedrohung, sie sind eine Bereicherung, machen unsere Ordnung vielfältiger, sie sind erwünscht und gewollt und genau so, wenn wir so miteinander kommunizieren, dann kommen wir auch wieder auf die Frage des Wirkens von Vorbildern, verringern wir den Spielraum für Terroristen, die aus Konvertiten beispielsweise - aus deutschen Konvertiten - ihren Nachwuchs rekrutieren wollen für Selbstmordattentäter, das wissen wir auch aus Internetbotschaften. Und denen wollen wir auch das Geschäft erschweren, indem wir gegen Radikalisierung uns präventiv bemühen.
Nun gibt es ja eine neue Studie, die sagt, dass gerade die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland sich sehr schwer tut mit der Integration. 30 Prozent haben keinen Schulabschluss, da hapert es vor allem mit der Integration. Das ist doch eigentlich Wasser auf die Mühlen von ‘nem Ralph Giordano, der sagt, der Islam ist das Problem und die türkischen Muslime sind nicht integrationsfähig. Was sagen Sie dazu?
Schäuble: Also, erstens einmal, ich hab mit Giordano lange geredet und am Schluss hat er mir gesagt, Sie haben natürlich recht, es gibt gar keine Alternative. Selbst wenn das Problem so ist, wie ers beschreibt. Er übertreibts. Hilft uns ja nichts, wir müssen versuchen auf Integration, auf friedliches Zusammenleben zu setzen. Zweitens: Ein Großteil der Menschen türkischer Abstammung ist hervorragend integriert. Wir haben einen breiten türkischen Mittelstand. Wir haben in allen Bereichen unseres kulturellen, intellektuellen Lebens Menschen mit Migrationshintergrund - jede Menge und mit hervorragenden Beiträgen. Aber wahr ist, unter der türkischstämmigen Bevölkerung ist ein erheblicher Teil noch nicht gut integriert und deswegen stimmen die Statistiken, die sind gar nicht überraschend. Und deswegen hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung schon am Beginn dieser Legislaturperiode gesagt, diese Regierung setzt sich einen Schwerpunkt in der Bekämpfung von Defiziten in der Integration. Das heißt, wir müssen uns vor Verallgemeinerung hüten. Wir sollten zum Beispiel den jungen Türken der zweiten, dritten Generation oder Türkischstämmigen sagen, guckt mal die vielen eurer Landsleute an, die so erfolgreich sind. Und strengt euch auch an, lernt deutsch. Den Eltern sagen, sprecht zuhause auch deutsch, dann habens eure Kinder in der Schule leichter. Sorgt dafür, dass eure Kinder auf die Schulen, auch auf weiterführende Schulen gehen. Und dann kann man auch den Menschen, den jungen türkischer Abstammung vielleicht in der Sprache von Barack Obama sagen: “Yes we can”. Ihr könnts alle schaffen, ihr habt tolle Chancen, aber ihr müsst euch selber anstrengen, dürft auch nicht nur sagen, die anderen sind Schuld. Und ihr müsst die Grundregeln unserer offenen, toleranten auf die Gleichheit aller Menschen - auch Männer und Frauen - setzenden Ordnung respektieren.