1933
Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand
Vor 75 Jahren brannte der Reichstag in Berlin. Es nutzte den Nazis. Sofort angeklagt und bald hingerichtet wurde der junge Holländer Marinus van der Lubbe. Die Forschung sagt: Er war es wirklich. Die Debatte über den oder die wahren Täter hält bis heute an - obwohl die Lösung ganz einfach ist.
Von Eckhard Jesse
An diesem Mittwoch vor 75 Jahren, am 27. Februar 1933, kurz nach 21 Uhr, stand der Reichstag in Flammen. Dieser Brand löste in der Öffentlichkeit große Emotionen aus, damals wie heute. Kein Wunder: Die Nationalsozialisten benutzten das Feuer, um mit einer Notverordnung "zum Schutze von Volk und Staat" die Grundrechte massiv und "bis auf weiteres" einzuschränken, massenhaft Kommunisten und andere Hitler-Gegner zu verhaften. Damit ebneten sie den Weg in die Diktatur. Der Reichstagsbrandverordnung kommt eine ähnlich zentrale Bedeutung zu wie dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933.
Gemäß dem Grundsatz "Cui bono? - Wem nützt es?" dominierte lange die Annahme, die Nazis selbst seien die Brandstifter. Dann führte der Hannoveraner Ministerialbeamte Fritz Tobias 1959/60 in einer langen "Spiegel"-Serie zahlreichen Indizien an, die für die Alleintäterschaft des Holländers Marinus van der Lubbe sprachen. 1962 folgte sein Buch "Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit". Allmählich akzeptierte die Forschung Tobias' Interpretation.
Gefälschte Dokumente nach 1945
Doch nicht alle wollten die neuen Erkenntnisse hinnehmen. So schreckte ein von dem zwielichtigen Journalisten Edouard Calic ins Leben gerufenes "Luxemburger Komitee" nicht einmal davor zurück, gefälschte Dokumente zu präsentieren. Sie sollten aus der DDR stammen, die Originale lägen hinter dem Eisernen Vorhang, hieß es - doch nach 1990 hörte man davon nichts mehr.
Nach der deutschen Einheit, als die wissenschaftliche Öffentlichkeit Einsicht in die bis dahin erst in Moskau, dann im SED-Archiv verwahrten Untersuchungs- und Prozessakten erhielt, suchten Verfechter der NS-Täterschaft neue Belege. Doch vergebens: Wären in den Materialien Anhaltspunkte für die Täterschaft der Nationalsozialisten auszumachen gewesen, so hätte dies die SED, deren Stolz auf den kampfesmutigen Georg Dimitroff Legende ist, längst ausgeschlachtet.
Schließlich firmierte der Reichstagsbrandprozess für Kommunisten als ein propagandistisches Paradebeispiel: Von den Nationalsozialisten tatsächlich zu Unrecht beschuldigt, nutzen sie die Brandstiftung und den anschließenden Prozess zur antifaschistischen Agitation.
Manche Historiker, des unerquicklichen Streits überdrüssig, nehmen heute die salomonisch wirkende Haltung ein, die Urheberschaft am Brand sei ungeklärt, gar unklärbar. Das letzte Rückzugsgefecht besteht darin, die Beweislast zu verschieben: Man müsse die Nichtbeteiligung der Nationalsozialisten am Brand nachweisen. Aber wie soll der Beleg für die Nichtexistenz des Ungeheuers von Loch Ness gelingen? Die Annahme Rudolf Augsteins, nach der "Spiegel"-Serie werde nicht mehr über die Urheberschaft am Reichstagsbrand gestritten, entpuppte sich als krasse Fehlprognose. [...]
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Wie heißt es immer? "Time will tell"