* Kemal Yalcin ist Schriftsteller und Türkischlehrer in Bochum. Nach einer Lehrer-
ausbildung in der Türkei studierte er Philosophie und war Herausgeber der Zeitung
Halkin Yolu (Weg des Volkes). 1982 kam er als politischer Flüchtling in die BRD. Für
seine Bücher wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Griechisch-Türkischen
Friedenspreis (1998)
In Ihrem gerade erschienenen Buch »Seninle Güller Yüregim« (Mit dir lacht mein Herz)
schreiben Sie über die Armenier in der Türkei. Warum befassen Sie sich mit diesem
heiklen Thema?
Kemal Yalcin:
Ich wollte wissen, was es bedeutet, in der Türkei Armenier zu sein. Um das
zu erfahren habe ich viele Zeitzeugen befragt. Das Buch soll zur Freundschaft
zwischen den Armeniern und Türken beitragen. Und ich möchte, daß mein
eigenes Volk sich mit dieser Geschichte auseinandersetzt und damit versöhnt.
Wann haben Sie selber zum ersten Mal von Armeniern in der Türkei gehört?
Kemal Yalcin:
Das war so 1968, 1969. Damals war ich im ersten Semester der Lehreraus-
bildung. In den türkischen Geschichtsbüchern steht, daß die Armenier die
Osmanen heimtückisch überfallen haben und die Osmanen ihnen daraufhin
die gerechte Strafe erteilten. So war unser Wissensstand. Damals hörte
man nur von zwei Armeniern in der Türkei: dem größten Blechhändler, dem
Blechkönig Selevjian und von einer bekannten Istanbuler Bordellbesitzerin,
Manukia.
Gab es Probleme bei Ihrer Recherche?
Kemal Yalcin:
In der Türkei ist das ein Tabuthema. Es löst bei den Befragten große Angst
aus und ist gar nicht zu vergleichen mit einem anderen schwierigen Thema,
mit dem ich mich vorher intensiv beschäftigt habe, dem türkisch-griechischen
Bevölkerungsaustausch, der 1924 stattfand. Manchmal war ich kurz davor, es
doch besser sein zu lassen. Natürlich habe ich auch Angst, wie die Behörden
jetzt reagieren. Immerhin konnte ich 13 Jahre lang nicht in die Türkei reisen.
Warum ist dieses Thema nach so vielen Jahren immer noch so angstbeladen?
Kemal Yalcin:
Das Armenierproblem lastet auf der Türkei. Wir haben uns mit der osmanisch-
türkischen Geschichte nicht auseinandergesetzt. Man sagte einfach, es gibt
kein Problem. Aber natürlich existiert dieses Problem mit den Armeniern, des-
halb werden wir immer wieder damit konfrontiert. Jeder weiß davon, es ist un-
möglich, es zu ignorieren.