Nationalgefühl und Identität
Das Nationalbewußtsein ist bei den Bürgern europäischer Staaten allerdings in unterschiedlicher Weise in die persönliche Identität integriert.
Obwohl wir Deutschen im Vergleich zu unseren unmittelbaren Nachbarn kein besonders ausgeprägtes Nationalbewußtsein haben, scheinen wir neueren Umfragen zufolge gleichwohl zu den europäischen Schlußlichtern zu gehören, was unsere Toleranz gegenüber nicht-europäischen Fremden im eigenen Land anbelangt: "32% der Deutschen wollen (z.B.) Osteuropäer nicht zuwandern lassen, der höchste Ablehnungswert in der EG" (Münch 1993, S. 79 f.). Eine jüngst veröffentlichte vergleichende Untersuchung zwischen ca. 14-jährigen deutschen und polnischen Schülerinnen und Schülern bestätigt das Faktum eines relativ geringen deutschen Nationalbewußtseins (bei gleichzeitiger negativer Tendenz gegenüber den Fremden aus dem Osten):
Gegenüber einer hohen bis sehr hohen Bedeutung der eigenen Nationalität bei den polnischen Schülerinnen und Schülern (ca. 80%) war die Bedeutung der eigenen Nationalität bei den Deutschen deutlich geringer (ca. 36%) (Wilberg 1995, S. 103 f.).
Eine der der Studie zugrunde liegenden Definitionen nationaler Gruppenzugehörigkeit stammt aus der Feder eines amerikanischen Sozialpsychologen: "Die Gruppenmitglieder tendieren dazu, sich selbst als eine Nation zu definieren, und werden von anderen so definiert. Unter bestimmten Bedingungen fühlt sich eine große Mehrheit in diese Gruppenmitgliedschaft einbezogen, teilt ähnliche Gefühle und Einstellungen und handelt relativ einförmig gegenüber ihrer Umgebung" (Turner 1984, S. 521; Übersetzung von mir).
Aufgrund dieser Definition sei - so die Autorin der Studie - nicht nur die nationale Identität bei den polnischen Jugendlichen stärker ausgeprägt, sondern auch die individuelle Identität. Dies bestätige die These, daß die Liebe zur eigenen Nation eine Art Selbstliebe sei (Wilberg 1995, S. 164).