Der BND-Präsident warnt trotz des tödlichen Anschlags vor zwei Wochen vor einem Abzug der Bundeswehr aus dem Land. Das wäre ein Motivationsgewinn für die Taliban und al-Qaida, sagt er im Gespräch mit WELT ONLINE. Zugleich sieht er Deutschland als potenzielles Anschlagsziel.
Vor zwei Wochen sind drei Bundeswehrsoldaten einem Selbstmordattentat im nordafghanischen Kundus zum Opfer gefallen. Trotz des Anschlags sieht der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, keinen Anlass, von einer Irakisierung Afghanistans zu sprechen.
WELT ONLINE: Herr Uhrlau, bislang galt der Norden Afghanistans als relativ sicher. Wie gefährdet sind unsere Soldaten?
Ernst Uhrlau: In unseren Analysen zur Sicherheitslage beschreiben wir seit geraumer Zeit, dass es überall im Land vermehrt zu Selbstmordanschlägen mit Sprengstoff kommt. Diese Gefährdung ist der Bundeswehr durchaus bewusst, sie hat vor Jahren in Kabul ja bereits leidvolle Erfahrungen damit gemacht. Aber verglichen mit dem Süden, ist der Norden nach wie vor sehr viel sicherer. Was auch daran liegt, dass die Arbeit der deutschen Aufbauteams dort sehr erfolgreich ist. Die Reaktionen der Bevölkerung nach dem Anschlag belegen, dass die Arbeit der Bundeswehr hoch geschätzt wird.
WELT ONLINE: Inwieweit hängt das Attentat mit der jüngst erfolgten Entsendung von Tornado-Kampfjets zusammen?
Uhrlau: Das muss man voneinander trennen. Der erste Anschlag auf die Bundeswehr in Kabul geschah, als von Tornados noch keine Rede war. Deutschland ist Teil der Allianz gegen die Taliban und den internationalen Terrorismus. Von daher wird jeder Deutsche, der für die internationale Schutztruppe Isaf, die Operation „Enduring Freedom“ oder auch als Aufbauhelfer für Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan arbeitet, von den Taliban als Bedrohung ihrer Struktur und Organisation wahrgenommen – und ist deshalb gefährdet.
WELT ONLINE: Sie sehen also keine höhere Gefährdung der Bundeswehr oder gar den Beginn einer Anschlagsserie aufgrund der Entsendung?
Uhrlau: Die sehe ich nicht.
WELT ONLINE: In Deutschland hat das Attentat eine Rückzugsdebatte ausgelöst. Überließe man den Taliban das Feld, was würde das für die Sicherheit hier und in Europa bedeuten?
Uhrlau: Ein Rückzug würde belegen, dass die Ankündigung der Weltgemeinschaft gescheitert ist, den Wiederaufbau des Landes ohne die Taliban zu organisieren. Das wäre ein Gesichtsverlust gegenüber den islamistisch-terroristischen Strukturen. Und es wäre ein großer Motivationsgewinn für die Taliban und al-Qaida.
WELT ONLINE: Nur ein PR-Effekt? Laut SPD-Fraktionschef Struck verteidigt Deutschland am Hindukusch auch seine Sicherheit.
Uhrlau: Das stimmt durchaus. Wir hatten dort zur Zeit der Taliban-Herrschaft eine symbiotische Verbindung zwischen Staat und al-Qaida. Dieser staatlich geschützte Freiraum für die Organisation islamistischen Terrors wurde aufgebrochen. Ein Abzug würde wiederum Räume geminderter Staatlichkeit herstellen, in denen terroristische Aktivitäten ermöglicht würden, die auch uns bedrohen.
WELT ONLINE: Aber gibt es nicht auch so eine Irakisierung Afghanistans? Selbstmordattentate gehörten früher nicht zum Repertoire der Taliban.
Uhrlau: Ich halte es für verfehlt, von einer Irakisierung Afghanistans zu sprechen, weil die Prozesse in beiden Ländern nicht miteinander vergleichbar sind. Man muss den Blick etwas weiten: Es gilt ganz generell, dass wir uns solche Anschläge vor zehn, 15 Jahren weder in Afghanistan, noch im Irak noch in Nordafrika vorstellen konnten. Algerien zum Beispiel hat wahrlich eine lange, blutige Erfahrung mit Terror. Selbstmordattentate aber waren dort unbekannt – bis zum 11.April, als in Algier mehr als 30 Menschen Opfer eines entsprechenden Al-Qaida-Attentats wurden. Wir beobachten die Ausweitung dieses terroristischen Modus Operandi weltweit.
WELT ONLINE: Woran liegt das?
Uhrlau: Vor 2001 haben die Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden und Aiman al-Sawahiri versucht, unter ihrem Dach sehr unterschiedliche Gruppen zusammenzuführen. Dieser Zentralisierungsprozess ist nach dem 11.September von einem Weg der Dezentralisierung abgelöst worden. Bin Laden und al-Sawahiri wirken nur noch als ideologische Themengeber, nicht mehr als unmittelbar verantwortliche Befehlshaber oder Planer. Diese Regionalisierung zeigt sich auch in Begrifflichkeiten: Wir haben al-Qaida im Zweistromland, auf der arabischen Halbinsel oder im Maghreb. Diese Gruppen operieren in ihren Regionen, betreiben den globalen Dschihad aber mit den gleichen Methoden – eben den Selbstmordanschlägen. Diese sorgen für große Schäden und mediale Aufmerksamkeit.
WELT ONLINE: Es gab jüngst auch eine Videobotschaft, in der wegen des Afghanistan-Einsatzes vor Anschlägen in Deutschland gewarnt wurde. Wie ernst nehmen Sie das?
Uhrlau: Ich brauche keine einzelnen Videobotschaften, um zu wissen, dass Deutschland Teil des europäischen Gefahrenraums ist. Der 11. September ist durch Ramsi Binalshibh hier teilweise geplant worden, wir hatten im vorigen Jahr die Kölner Kofferbomber, die nur durch glückliche Umstände keinen Erfolg hatten. Aus Sicht der Terroristen gehören wir ganz selbstverständlich zu den „Kreuzrittern“, die vom globalen Dschihad bekämpft werden müssen.
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