"Ausgleich zwischen Individuum und Kollektiv" ist zunächstmal ein vernünftiger Ansatz, oder klingt zumindest wie einer, erfordert aber eine präzise Definition.
Natürlich kann nicht einfach das Kollektiv verabsolutiert und das Individuum ihm als nur über seine untergeordnete Teilhaftigkeit legitmiert beigestellt werden im Sinne von "Du bist nichts, dein Volk ist alles!", denn "das wäre eine Summe aus lauter Nullen", wie schon Ernst Jünger bemerkt.
Gleichzeitig kann aber auch nicht ein Primat eines reinen, durch kollektive Prägung bestenfalls lau beeinflussten Individuums stehen, das qua freiner Entscheidung mit anderen Individuen ein Kollektiv bildet oder auch nicht, wie es eben gerade passt oder auch nicht passt.
Man kann mit Nützlichkeit für die Gesellschaft argumentieren, um auf maximale Individualfreiheit zu pochen. Nur stellt sich dann die Frage nach eben dieser Gesellschaft, der das nützen soll. Welchen Nutzen hat ein Vorgang, der erst durch Verhältnisse ermöglicht wird, die langfristig zur Zersetzung und Tilgung dessen führen, dem der Vorgang nutzen soll?
Welchen Sinn macht die Nutzenmaximierung zugunster einer Gruppe, die durch eben diese Maximierung in allen Bereichen zu einer immer zusammenhangsloseren, ungleicheren und miteinander durch immer weniger Gemeinsamkeiten verbundenen Ansammlung atomisierter Massenmenschen mutiert?
Ein Kollektiv ist die Grundlage, auf der Individuen überhaupt entstehen, sowohl materiell als auch bewusstseinsbildungsmäßig.
Setzt man es ausserstande, letzteres zu leisten (indem man eben Rollenvorgaben jeder Art als reaktionär zu "entsorgen" trachtet), nimmt man ihm langfristig auch die Möglichkeit, ersteres zu leisten. Entweder wird es völlig zusammenbrechen, oder sich in kleinere Subkollektive zersetzen, die nicht mehr miteinander in Kooperation stehen, möglicherweise mit dem letzten Ergebnis, dass der wesentliche Kooperationsrahmen wieder in unmittelbarer Blutsverwandtschaft besteht und alles andere zunächstmal "aussen vor" ist.
Daher halte ich diesen "Vorrang des Individualismus" für hochproblematisch. Das "emanzipierte" Individuum, das sich von allen Vorgaben freikämpft ("Ich bin nicht wesentlich Frau oder Mann, Deutscher oder Franzose, arm oder reich, dumm oder klug, hübsch oder hässlich, hetero oder homo, Optimist oder Pessimist, ich bin wesentlich ICH...") wird am Ende, wenn es ehrlich mit sich ist, feststellen müssen, dass es im Kern dieser "Selbstbefreiung" nach Ablegung aller vermeintlich Unfreiheit herstellenden Attribute nur noch ein spektakuläres NICHTS vorfindet.
Und dann erst haben wir den eigentschaftslosen Massenmenschen, mit dem all die Totalitarismen und sonstigen Scherze in letzter Konsequenz zu machen sind.
Das ist der Punkt, an dem gesellschaftlicher sowie wirtschaftlicher Liberalismus und Totalitarismus als verschiedene Aspekte des gleichen Phänomens, eben der Epoche der "Moderne", ineinanderlaufen.
Dagegen kann man nicht sinnvoll kämpfen, indem man einen Aspekt (bei der Linken ist es üblicherweise der wirtschaftliche Liberalismus) herausgreift, und die anderen ignoriert oder gar gutheißt.
Man muss Nägel mit Köpfen machen - oder es bleiben lassen.
Der Staat hat sich nicht in das Familienleben einzumischen - das war ein guter konservativer Lehrsatz (und wäre es im Grunde noch heute), sofern man wesentlich von Verhältnissen ausgeht, wo "Familie" noch in einem ganz spezi´fischen, engen Sinne verstanden wird als monogame, auf Dauer angelegte und rituell besfestigte heterosexuelle Beziehung zweier Menschen, die als Grundlage zu Aufzucht und Erzioehung der daraus entstehenden Kinder dient, sofern man allgemein von einem recht stabil stehenden Wertekanon ausgehen konnte. Da war der Staat als anonyme, technische, keine dauerhaften Werte kennende reine Macht, als Variante des Moloch, die alles Bewusstsein und bisweilen Leben an sich zieht, in der Tat wesentlich die Bedrohung für bestehende, leidlich gute Verhältnisse.
Nun aber, wo diese stehende Sittenordnung bis ins Letzte zersetzt ist, muss festgehalten werden, das schwer erkennbar ist, wer oder was ausser dem Staat überhaupt noch Werte setzen soll. Dieser Zustand ist traurig genug, und insofern der "Staat" auch nur die andere Seite der Moderne ist, ist möglicherweise alles durchgehend hoffnungslos.
Der Staat ist nicht identisch mit dem Kollektiv.
Aber möglicherweise ist er die einzige Macht, die überhaupt erst wieder eines herstellen kann.
Ansonsten kann man sich eigentlich nur mit einem kühlen Bierchen ans Fenster stellen und der Welt dort draussen grimmig befriedigt beim Verrotten zusehen.
Mitglied der nationalbolschewistischen Front
"Der Prinz fürchtet lediglich, nun habe er eine Revolution am Hals. Lasst uns ihm zeigen, wie furchtbar er uns unterschätzt..."
-Harald, Brujah Primogen von New York City, zu Beginn der Zweiten Feuernacht
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