Zitat von
Schleifenträger
Aus dem "Handbuch militärisches Grundwissen" der NVA:
Von [Links nur für registrierte Nutzer] zu den Pflichten der Angehörigen der NVA:
Soweit die Theorie.
"Der Flur muß glänzen wie ein Judenei!" lautete der aufmunternde Spruch des Spieß zum Stuben- und Revierreinigen. Nicht etwa 1940 in der Adolf-Hitler-Kaserne der faschistischen Wehrmacht oder später in einer Kaserne der Bundeswehr, sondern in den 80ern an einer Unteroffiziersschule der NVA. Naja, später wurde dieser Spieß in Unehren entlassen, wie ich hörte, aber zuvor hatte er jahrelang solche eines Soldaten einer sozialistischen Armee unwürdigen Sprüche verkündet.
Schon die Dienstuniform Winter und die Ausgehuniform erinnerten auffallend an die Wehrmacht, auch wenn sich die Uniformträger mit "Genosse" anredeten. In den Kasernen schien der alte Geist fortzuleben: ausgemachte Schleifmühlen - noch aus Kaiserzeiten - behielten ihren Charakter bis zur Annexion der DDR und vermutlich darüberhinaus. In der Truppe galt die alte Hierarchie der Diensthalbjahre, "Ohren", "Keime" und "E's" - die Bezeichnungen variierten zwischen den Kasernen, nicht aber die Gepflogenheiten. Einen "E" zum Frühsport zu zwingen oder am Stuben- und Revierreinigen teilnehmen zu lassen war eine Unerhörtheit. Irgendwie erinnerte das stark an "Die Abenteuer des Werner Holt" und die "Selbsterziehung".
Die EK-Bewegung war zwar wegen vorgekommenen Sach- und Personenschäden und überhaupt streng verboten, aber "Musicbox", "Heimfahrt", "Staubsauger", "Schildkröte" und "E-Kegeln" sagen sicher den Meisten etwas. Die allgemeine Drangsalierung Jener, welche nicht ins Schema paßten oder Schwäche zeigten, trieb Manche in den Selbstmord.
Ich weiß, wovon ich schreibe, da ein Genosse meiner Einheit auch durch mein Zutun desertierte und einen Parasuizid beging. Davor, das schöne Schwedt näher kennenzulernen, bewahrten mich nur meine sonstigen guten Leistungen.
Üblich war auch der ständige Kleinkrieg zwischen "Luden" und selbständigen Einheiten. Standen die einen Wache, war's für "Springer" der Anderen besser, die Postenbereiche zu meiden. Von Festnahme bis zur Eröffnung des Feuers war da Einiges drin. Auch die im Wachlokal im "Bau" Sitzenden der jeweils Anderen hatten wenig zu lachen. Und überhaupt waren die "Luden" und "Mucker" in den Augen der "Selbständigen" ja das Letzte.
Die Angehörigen der Sowjetarmee hießen grundsätzlich nur die "Russen", wurden einerseits aufgrund derer bekannten Kampfkraft mißtrauisch beäugt, andererseits aber von Vielen schon noch als eine Art unterlegene Rasse betrachtet. Persönliche Kontakte gab's so gut wie nicht - was allerdings von beiden Seiten ausging, sogar stärker von der sowjetischen. Von wegen "Klassenbrüder - Waffenbrüder"! Einmal standen wir einen Tag lang eingegraben etwa 10m neben einer sowjetischen SFL. Kontakt? Null.
Hingegen kam helle Empörung auf, als die "sozialistischen Beziehungen" endlich doch durchzudrücken versucht wurde. Das Unfaßbare geschah: die "Ohren" durften am zweiten Tag ihrer Grundausbildung im Klubraum ein Fußballspiel ansehen, der "Bau" war häufiger von EK-Bewegten belegt ...
Im Grunde nichts Ungewöhnliches, gehörte doch die Pflege der "sozialistischen Beziehungen" doch offiziell zu den Pflichten des Soldaten der NVA. Anspruch und Praxis gingen hier aber weit auseinander. Ich habe zugegebenermaßen besonders negative Beispiele angeführt. Natürlich war die NVA eine sozialistische Armee. Aber mit dem sozialistischen Bewußtsein und den sozialistischen Beziehungen war's bei Weitem nicht soweit her, wie öffentlich geheuchelt wurde.
Diese Unehrlichkeit und für Alle sichtbare Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis war sicher - nicht nur bei der NVA - ein wichtiger Nagel im Sarg der DDR.