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Thema: Religion im Aufwind?

  1. #1

    Fragezeichen Religion im Aufwind?

    Ich beginne mit einem Beispiel, dass aufzeigt, wie jeder Mensch, ob Christ oder Atheist, vom kirchlichen Einfluss erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Über ein paar Ecken wurde mir der Fall einer jungen Frau bekannt, die vergeblich versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Der Versuch missglückte, und nun ist das Mädchen dazu verurteilt, gelähmt, entstellt und ohne die Möglichkeit sprachlicher Kommunikation ein Dasein zu fristen, das den Alptraum, den sie vorher schon nicht aushalten konnte, ins Unermessliche potenziert. Sie könnte aber wohl mit den Augen die Frage bejahen, ob sie sterben möchte. Vor diese Wahl wird sie aber trotz ihres schon überdeutlich mit aller Entschlossenheit geäußerten Sterbewunsches nicht gestellt, niemand wird diese Verantwortung tragen und ihr zur freien, willentlichen Entscheidung einen Becher mit vermutlich erlösendem Gift vorsetzen, wenigstens nicht solange dieser Akt des Mitgefühls unter schwere Strafe gestellt wird.

    Jeder der das liest könnte durch einen Unfall oder Komplikationen bei einer Operation in eine so missliche Lage geraten, dazu verdammt über Jahrzehnte hinweg irgendwohin zu starren, einzig und allein wegen der an Perversion grenzenden Borniertheit politischer Entscheidungsträger, die zu feige und gegenüber dem Leiden der zur Gegenwehr unfähigen Opfer zu indifferent sind, sich mit der kirchlichen Lobby anzulegen. In der Tat werden zu solchen ethischen Fragestellungen immer noch Vertreter der Religionen, die unverhohlen die Dreistigkeit besitzen für sich das Wertemonopol zu beanspruchen, zu ihrer absurderweise maßgeblichen Meinung befragt, von offiziellen Stellen ebenso wie in den willfährigen Medien. Wie schon erwähnt, im Gegensatz zu den diskriminierten Homosexuellen, oder Frauen als tatsächliche oder potentielle Abtreiberinnen, kann man jederzeit, und sei es nur als Freund oder Verwandter, vom mutmaßlichen Willen einer unwissenschaftlichen Hypothese namens Gott auf das Schicksalhafteste betroffen werden.

    Nun, dass die Kirchen ihren Anhängern diesseitig und unter Androhung des Höllenfeuers verbieten, schwul zu sein, Kondome zu benutzen um ihre Gesundheit zu schützen, sich das Leben zu nehmen oder dies Anderen aus Gnade zu ermöglichen, ist allein ihre Angelegenheit. Aber was berechtigt sie, Einfluss auf das Leben von Konfessionsfreien oder Angehörigen anderer Glaubensrichtungen zu nehmen? Rein gar nichts, Willensäußerungen, die auf der Weltanschauung antiker Ziegenhüter beruhen, können und dürfen politisch sowie gesellschaftlich in keinster Weise von Relevanz sein! Gefordert ist hier der Staat, die Repräsentanz der Gemeinschaft aller Bürger, eine deutliche und unmissverständliche Trennung zwischen kirchlichen Interessen und Gesellschaftspolitik in jeglicher Hinsicht zu vollziehen. Die partielle Säkularisierung, wenigstens im Verhältnis zum Mittelalter, wurde von unseren aufklärerischen Vorfahren mit dem Einsatz ihres Lebens, ihrer Unversehrtheit und Freiheit hart erkämpft.

    Was zurzeit in diesem und vielen anderen Ländern vor sich geht, grenzt an eine Verhöhnung der Blutopfer dieser Vorkämpfer, denen wir zu verdanken haben, nicht mehr für eine kritische Äußerung oder wissenschaftliche Theorie in den Kerken dahinsiechen, in Folterkammern die Gliedmaßen gebrochen bekommen oder auf dem Scheiterhaufen schmoren zu müssen. Statt die unabgeschlossene und längst überfällige Säkularisierung weiter voranzutreiben, das verfassungswidrige Konkordat endlich aufzulösen, der Kirche den Steuerhahn abzudrehen, aus dem sie aus jahrhundertealten Verträgen neben der Kirchensteuer weiterhin Milliarden von der Allgemeinheit bezieht, ihr das Arbeitgeberrecht in denen von ihr lediglich im einstelligen Prozentbereich gesponsorten öffentlichen Einrichtungen zu entziehen, die seit Jahrzehnten fälligen Entschädigungen für von der Kirche missbrauchte und misshandelte Heimkinder mit erheblichen Spätfolgen einzutreiben, geschieht das Gegenteil, sogar der ohnehin alberne Gotteslästerungsparagraph soll verschärft werde auf Kosten bürgerlicher Meinungsfreiheit.

    Kirchenvertreter werden von der Politik hofiert, man profiliert sich an ihrer Seite, glaubt, sich in ihrem Schein als bodenständigerer und seriöser Mensch präsentieren zu können. Paradoxerweise scheint sich diese Assoziation weitgehend durchgesetzt zu haben, und nicht die aufgrund der Fakten und Geschichte naheliegendere Gleichsetzung als windige, skrupellose Spinner. Selbst von Agnostikern wird man oft schon schräg angeschaut, wenn man sich kirchenkritisch äußert, und die Freigiebigkeit der Behörden bemängelt, wenn eine Selbsteinladung des Oberhirten mit Millionen atheistischer Steuergelder finanziert wird. Die intensive, begeisternde Berichterstattung und sorgsame Ausblendung gleichgültiger oder "negativer" Stimmen durch die Mainstreammedien, deren oberflächliche Proformakritik meist allenfalls systemimmanent ist, das Zölibat oder die Rolle der Frau innerhalb der Institution betrifft, lässt die Kirche mittlerweile im Gutmenschentum und ihre Gegner im Licht der Miesmacherei und der Böswilligkeit erscheinen. Speziell für öffentlich-rechtliche Sender, durch die ganze Gesellschaft zwangsfinanziert, deren kritikfreie Parallelübertragungen mit hemmungsloser Propaganda gleichzusetzen sind, ist dies ein unerhört anmaßender Verstoß gegen den verbrieften Sendeauftrag. Es besteht nichtmal eine Schamschwelle eingedenk unserer wissenschaftlichen Bezeichnung homo sapiens sapiens, einen lachhaften Personenkult zu betreiben. Welchem denkenden Menschen wird nicht übel, wenn die Benedetto-Rufe in ihm widerhallen?

    Bislang war nur von auch für gesellschaftspoltische Laien leicht nachvollziehbaren Kritikpunkten die Rede, sehr viel tiefgreifendere Folgen jedoch zeitigt die Akzeptanz des kirchlichen Dogmas. Die Unterscheidung zwischen kirchlich und christlich ist ganz bewusst gewählt, denn das eigentliche, neutestamentarische Christentum ist der autoritären, patriachalischen Philosophie des Alten Testamentes geradezu entgegengesetzt, auf Letzterem basiert aber die antiquierte Weltanschauung der Kirchen in entscheidendem Ausmaß. Während bei Jesus ungeachtet metaphysischer Hintergründe und beim guten Willen, nicht jede Äußerung wortwörtlich zu nehmen, ein hohes Maß an diesseitsorientierter Weisheit und Liebe zu konstatieren ist, elaborieren die älteren Schriften, einen eitlen, selbstgefälligen Gott, dessen Allmachtswahn und pure Willkür seine Anhängerschaft terrorisiert. Auf der Grundlage einer solchen Vaterfigur sollen nun wieder unter Mithilfe der Kirchen Kinder erzogen werden, ein Vorhaben, dass nur sträflicher, selbstverschuldeter Ignoranz gegenüber der menschlichen Natur und der einem befürchteten Wertevakuum entgegenzusetzenden Alternativen entspringen kann.

    Weder Glaube noch Atheismus noch Agnostik sind verantwortlich für die charakterliche Ausprägung eines Menschen und sein soziales Verhalten, sondern im besten Fall eine von Liebe und Respekt, Aufmerksamkeit und Orientierung geprägte Begleitung junger Menschen. Ein Rückzug auf eine im alttestametarischen Sinne durchgeführte Erziehung im Namen des Glaubens wird das Gegenteil des vordergründig angestrebten Zieles bewirken, und bestenfalls verkappt asoziale Persönlichkeiten hervorbringen, wie an vielen Vertretern der sogenannten christdemokratischen Partei schön zu beobachten ist. Vordergründig deswegen, weil ganz andere Absichten mehr oder weniger bewusst mitschwingen, nämlich die Herbeiführung der Unmündigkeit von Kindern, oder wahlweise Untertanen. Es liegt im Wesen eines Dogmas, nicht zu hinterfragen, was vom Oberhaupt oder Schöpfer der Glaubensrichtung als unabdingbare Wahrheit verkauft wird. Davon profitierte schon das Dritte Reich, zu dessen Entstehung die an alttestamentarischen Idealen ausgerichtete Schwarze Pädagogik maßgeblich beigetragen hat.

    Wer nun diese Autoritätshörigkeit verinnerlicht hat, wird auch nicht Aufbegehren gegen unsinnige Anweisungen seines Vorgesetzen, womöglich ist er gar nicht in der Lage, diese Unsinnigkeiten überhaupt zu erkennen. Ungerechtigkeiten werden als gottgegeben hingenommen, Äußerungen angeblicher Wirtschaftsweiser nicht bezweifelt, sondern wie erlernt geglaubt. Der tiefere Sinn des Schulterschlusses zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, das eine beliebig durch das andere ersetzbar, und den Kirchen ist bei genauerem Hinsehen unverkennbar, der Gleichklang der Interessen lautet Machtanhäufung, Profit und Beherrschung des Mobs. Übertrieben, wird manch einer sagen, deutlich herausgestellt wäre die Erwiderung. Der Glaube dient als Zuflucht der Massen vor einer immer unsozialeren und scheinbar komplizierteren Welt, als Ablenkung von realen Problemen, Tranquilizer und Antidepressivum, als Kuschelecke für konfirmistisch veranlagte Harmoniejünger, die nur eines auf keinen Fall dürfen: Aufmucken.

    In der Hoffnung, den Blick für die Verderblichkeit der heutigen Entwicklungen geschärft zu haben, verbleibt ein sogenannter schwacher Atheist, der die Existenz metaphysischer Erscheinungen keineswegs rigoros und dogmatisch ausschließt, sondern tiefgründiger Mystik gegenüber aufgeschlossen bleibt, von der die Kirche aber denkbar weit entfernt ist.

  2. #2
    Mitglied Benutzerbild von dr-esperanto
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Das geht in Deutschland auch nur wegen der Euthanasiepolitik der Nazis. Wird aber jetzt bald durch EU-Recht ausgehöhlt (das ja immer deutsches Recht bricht: nur nicht im Falle der Apotheken...).
    VIGILIA PRETIUM LIBERTATIS "Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit"
    Gregor der Große: "Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht"
    Dostojewski: "Die Toleranz wird ein solches Niveau erreichen, dass intelligenten Menschen das Denken verboten wird, um die Idioten nicht zu beleidigen."

  3. #3

    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Die Kirche hat einem Schwerkranken, [Links nur für registrierte Nutzer], das kirchliche Begräbnis verweigert. Für mich wäre das natürlich bedeutungslos, aber die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Kirche ihr grausames Gesicht nicht ablegen kann, und nach wie vor versucht, da sie ja ansonsten Land verliert, im Bereich des Lebensendes ihre mutmaßliche Existenzberechtigung zu wahren.

  4. #4
    AfD, was denn sonst ?! Benutzerbild von Bruddler
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Ich liebe ellenlange Eingangs-Threads !
    >>> DEM DEUTSCHEN VOLKE <<<

  5. #5
    Oberfrangge
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Zitat Zitat von Malone Beitrag anzeigen
    Die Kirche hat einem Schwerkranken, [Links nur für registrierte Nutzer], das kirchliche Begräbnis verweigert. Für mich wäre das natürlich bedeutungslos, aber die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Kirche ihr grausames Gesicht nicht ablegen kann, und nach wie vor versucht, da sie ja ansonsten Land verliert, im Bereich des Lebensendes ihre mutmaßliche Existenzberechtigung zu wahren.
    Der Herr gibt wann er will und nimmt wann er will!!

    Ist halt so! Hast du zu akzeptieren! Basta!

  6. #6
    Ouzo-Cola Benutzerbild von Skaramanga
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Zitat Zitat von Wahabiten Fan Beitrag anzeigen
    Der Herr gibt wann er will und nimmt wann er will!!

    Ist halt so! Hast du zu akzeptieren! Basta!
    Welcher Herr? Kenne ich den?

  7. #7
    Neu und verbessert Benutzerbild von Hubba Bubba
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Zitat Zitat von Wahabiten Fan Beitrag anzeigen
    Der Herr gibt wann er will und nimmt wann er will!!

    Ist halt so! Hast du zu akzeptieren! Basta!
    In Zeiten der Aufklärung sollten solche Beiträge eigendlich nicht mehr vorkommen.
    Des weiteren sollte jeder Mensch selbst entscheiden dürfen wann er seinem Leben ein Ende bereiten will.

  8. #8
    Mitglied Benutzerbild von dr-esperanto
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    Standard AW: Religion im Aufwind?

    Zitat Zitat von Hubba Bubba Beitrag anzeigen
    In Zeiten der Aufklärung sollten solche Beiträge eigendlich nicht mehr vorkommen.
    Des weiteren sollte jeder Mensch selbst entscheiden dürfen wann er seinem Leben ein Ende bereiten will.


    Hmm, über seinen Lebensanfang kann man aber auch nicht bestimmen!
    VIGILIA PRETIUM LIBERTATIS "Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit"
    Gregor der Große: "Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht"
    Dostojewski: "Die Toleranz wird ein solches Niveau erreichen, dass intelligenten Menschen das Denken verboten wird, um die Idioten nicht zu beleidigen."

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