Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt weiß, was Bullshit ist. Er hat darüber ein interessantes Buch verfaßt.
"Aus philosophischer Sicht waren im Streit um die berüchtigten dänischen Mohammed-Karikaturen zwei Positionen besonders ergiebig: die Haltung der sogenannten moderaten Vertreter des Westens hier und die Haltung der sogenannten moderaten Muslime dort.
Presse- und Meinungsfreiheit seien ja schön und richtig, sagten die Ersteren, aber es müsse auch Grenzen geben. Diese Grenzen ziehe der gute Geschmack. Man dürfe auf keinen Fall unnötig provozieren. Jene konservative dänische Zeitung habe zumindest unklug gehandelt, als sie den Propheten so unvorteilhaft ins Bild rückte - im Grunde vergäben wir uns im Westen nichts, wenn wir den 1200 Millionen Anhängern Mohammeds wenigstens ein Stück weit entgegenkämen.
Die "moderaten Muslime" argumentierten dagegen wie folgt: Es stelle einen ungeheuren Affront dar, wie hier religiöse Gefühle verletzt worden seien. Eigentlich hätten alle, denen dieser Tort angetan wurde, sich das Recht erworben, dänische Botschaften abzufackeln, Europäer zu steinigen, mit einem neuerlichen 11. September zu drohen usw. Doch wolle man auf solch gottgegebenes Recht gnädigerweise verzichten, wenn die andere Seite um Entschuldigung bitte und schwöre, dergleichen nie wieder zu tun.
Diese beiden Argumentationsweisen sind deshalb so interessant, weil es sich, streng philosophisch gesprochen, um Bullshit handelt. Was aber ist Bullshit?
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Sind Bullshit und Humbug das gleiche? Wie unterscheidet sich der Bullshit von der offenen Lüge? Gibt es gut gemachten Bullshit? Kann man mittels einer speziellen verbalen Mechanik sein Leben lang herumgehen und unaufhörlich Bullshit absondern?
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Die Lüge unterscheidet sich vom Bullshit durch das unterschiedliche Verhältnis zur Wahrheit. Die Lüge ist das Gegenteil der Wahrheit (oder was sie dafür hält); vom Standpunkt des Bullshit aus ist sie schlicht gleichgültig. Wer sich mit Bullshit durchmogeln möchte, ist darum "deutlich freier" als der Lügner. "Sein Blickfeld gleicht eher einem Panorama als einem Brennpunkt. Er beschränkt sich nicht darauf, an einer bestimmten Stelle eine Unwahrheit einzuführen, und steht daher nicht unter dem Zwang von Wahrheiten, die diese Stelle umgeben oder sie kreuzen." Daraus folgt aber, daß der Bullshit, gerade weil er so weich und amorph ist, die Wahrheit viel radikaler negiert als die festgeformte Lüge. "Der Bullshitter", so Frankfurt, "weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht."
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Kehren wir noch einmal zu dem Beispiel vom Anfang zurück: Wieso handelt es sich sowohl bei dem Plädoyer der "moderaten" Vertreter des Westens, die für eine Art von Selbstzensur eintreten, wie auch bei dem Versprechen der "moderaten" Muslime, sie wollten trotz ihrer verletzten Gefühle auf Gewalt verzichten, um einen klassischen Fall von Bullshit? Darum: Die allermeisten der "moderaten" Westler haben noch nie in der Vergangenheit ihr Veto eingelegt, wenn irgendeine Religion verhöhnt wurde. Man durfte Jesus und Judas Ischarioth als schwules Liebespaar darstellen, Madonnenstatuen mit Menstruationsblut beschmieren, Franz Alt durfte in einem Bestseller das Judentum als starre und unbarmherzige Gesetzesreligion hinstellen - alles halb so wild. Einzig und allein gegenüber dem Islam wird jetzt plötzlich ein wenig Respekt eingefordert. Sie lügen nicht - aber solche "moderaten" Westler versuchen, uns mit hochtrabenden Phrasen über ihr echtes Motiv hinwegzutäuschen: Angst. Sie sehen sich 1200 Millionen tobenden Anhängern des Propheten gegenüber und ziehen deshalb lieber den Kopf ein. (Selbstverständlich handelt es sich hier um ein Wahnbild: Die meisten jener 1200 Millionen haben zum Glück Besseres zu tun, als sich um dänische Karikaturen zu kümmern.)
Analog gilt dasselbe für die "moderaten" Muslime: Sie haben noch nie protestiert, wenn die religiösen Gefühle der sogenannten Ungläubigen mit Füßen getreten wurden. Als die Taliban in Afghanistan die Buddhastatue sprengten, als in Ägypten koptische Mädchen vergewaltigt wurden, als in arabischen Zeitungen eine antisemitische Karikatur nach der anderen erschien, war ihnen das von Herzen gleichgültig. Nur ihre eigenen Gefühle sind zarte Pflänzchen und sollen geschützt werden. Möglichst rund um den Globus. Auch die "moderaten" Muslime lügen nicht, aber sie machen uns etwas über ihre wahren Motive vor: Sie wünschen Unterwerfung.
Übrigens kann man das Substantiv "bullshit" im Englischen problemlos in die Verbform "bullshitting" überführen. So wird es möglich, den "moderaten" Vertretern der Pressezensur wie den "moderaten" islamischen Fundamentalisten mit demselben Satz entgegenzutreten:
Stop bullshitting us."
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