Anerkennung?
Solange man den Staat als Fakt versteht, braucht es für seine Existenz
keine Anerkennung durch andere Staaten. Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ist insofern
keine Grundbedingung für die Staatsqualität. Vielmehr kann man sie als eine Art
Gütesiegel verstehen – alle UN-Mitglieder sind Staaten, aber nicht alle Staaten sind notwendigerweise UN-Mitglieder. Die Schweiz etwa ist erst 2002 beigetreten. Allerdings verlangt die Staatseigenschaft zumindest die
Fähigkeit, mit
anderen Staaten Beziehungen zu unterhalten. Außerdem kann die Anerkennung bei der Bestimmung der Staatseigenschaften von erschreckenden Sonderfällen wie dem »Islamischen Staat« eine Rolle spielen.
Demgemäß lässt sich argumentieren, dass ohne die Anerkennung durch zumindest einige andere Staaten – eine genaue Zahl lässt sich freilich allgemein nur schwer festlegen – kein Staat vorliegt.
Kriterien wie die Menschenrechtssituation können somit über den Umweg der Anerkennung in die Staatseigenschaft einfließen. Sie spielen allerdings nur bei der Entstehung von Staaten eine Rolle. Einem bereits
existierenden Staat wird selbst im Falle schwerwiegendster Menschenrechtsverstöße die Anerkennung
nicht wieder entzogen. Allenfalls ließe sich die Anerkennung der Regierung verweigern. So wurden etwa die Taliban von lediglich drei Staaten – Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten – als Regierung Afghanistans angesehen, was jedoch
nichts an der Staatsqualität Afghanistans änderte.
Rechte und Pflichten
Staaten genießen eine Reihe von
Rechten und
Pflichten. Zum einen sind sie durch das Gewalt- und Interventionsverbot vor militärischen und sonstigen schweren Einmischungen von außen durch das Völkerrecht geschützt. Außerdem können sie Verträge schließen und Diplomaten senden und empfangen
(das »ius legationis«).
Umgekehrt sind sie an das
Völkerrecht gebunden, ein Staat kann sich bei einem Völkerrechtsverstoß daher
nicht auf seine Verfassung berufen. Bei Völkerrechtsverstößen können sie dementsprechend zur Verantwortung gezogen werden, beispielsweise durch Wirtschaftssanktionen, die politische Isolation, das Aufkündigen von Verträgen oder die Vorenthaltung von finanziellen Förderungen. Grundsätzlich haben Völker das Recht auf
Selbstbestimmung. In der Praxis gestaltet sich das allerdings höchst schwierig.
Autonomie?
Aufgrund der zumeist
willkürlichen Grenzziehungen werden
unzählige Staaten von
unterschiedlichen Volksgruppen bewohnt.
Grundsätzlich haben
Völker das
Recht auf
Selbstbestimmung. Das legen die jeweiligen ersten Artikel der beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen fest. In der
Praxis gestaltet sich seine Anwendung allerdings höchst schwierig. Schon als sich die USA unter Woodrow Wilson nach dem Ersten Weltkrieg auf das Selbstbestimmungsrecht als Leitfaden zur Neubestimmung der politischen Landkarte beriefen, waren die Sorgen groß: Der damalige US-Außenminister Robert Lansing sprach gar von einem »mit Dynamit beladenen« Gedanken.
Viele Fragen und mögliche Folgen bleiben ungeklärt: Wer ist das Volk als Träger des Selbstbestimmungsrechts, was macht es aus? Welche Völker haben Anspruch auf einen eigenen Staat, welche nicht? Auf welcher Grundlage wird hier entschieden? Hat man dadurch Hoffnungen geweckt und Unabhängigkeitsbestrebungen gefördert, die so nicht vorherzusehen waren?Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali wies die Idee, dass jedes Volk seinen eigenen Staat haben könne, 1992 entschieden zurück.
Diese und ähnliche Fragen sollten sich insbesondere seit dem Ende der Kolonialzeit und der zahlreichen Sezessionskonflikte mit neuer Intensität stellen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Aufmerksamkeit verstärkt auf das Innere von Staaten und allfällige Zerfallstendenzen gerichtet.
Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali wies die Idee, dass jedes Volk seinen eigenen Staat haben könne, in seinem »An Agenda for Peace«-Bericht aus dem Jahr 1992 jedenfalls entschieden zurück.
Daher bedeutet das Selbstbestimmungsrecht heute – von einigen Sonderfällen abgesehen –
kein Recht auf
einen Staat. Vielmehr verbrieft es den
Besonderheiten der Umstände entsprechende
Minderheiten- und
Autonomierechte.
Unterschiedliche Gruppen sollen ihre Kultur und Identität innerhalb eines bestehenden Staats wahren können. Die Komplexität der Errichtung eines eigenen Staats erübrigt sich somit. In vielen Fällen bestehen das allfällige Misstrauen gegenüber der Zentralregierung oder der hohe Stellenwert, den das Ziel eines eigenen Staates bei vielen Völkern einnimmt, freilich weiter fort.
Die Staatenwelt im Wandel
In den letzten Jahrzehnten hat eine Vielzahl neuer Staaten das Licht der Welt erblickt. Zum einen wurden ab den 1960er Jahren zahlreiche ehemalige Kolonien und Protektorate unabhängig. In zahlreichen Fällen besteht hier allerdings bis heute
kein funktionierendes Staatswesen. Oft fehlt es an einem nationalen Zugehörigkeitsgefühl, das die Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder kulturellen Untergruppen überlagert. Zum anderen entstanden nach dem Untergang der Sowjetunion und dem Zerfall Jugoslawiens
neue Staaten beziehungsweise erlangten die annektierten baltischen Staaten
Estland, Litauen und
Lettland ihre Unabhängigkeit wieder.
Es bleibt die traurige Erkenntnis, dass Staaten geschichtlich vielfach ein Kind des Krieges sind.
Heute gibt es eine Reihe von Gebieten und Ländern mit
ungeklärtem Status, darunter insbesondere die Türkische Republik
Nordzypern, Abchasien, Südossetien, Somaliland, Palästina oder
Kosovo. Wie in allen Fällen der Entstehung und des Untergangs von Staaten sind hier die jeweiligen historischen und politischen Umstände entscheidend. Es braucht einen entsprechenden politischen Willen innerhalb der Staatengemeinschaft.
Ohne mächtige Fürsprecher werden derartige Gebilde ignoriert. Man denke hier an das durch den tschechischen Politiker Vit Jedlicka ausgerufene »Liberland«. Umgekehrt können die Interessen von Unabhängigkeitsbestrebungen betroffener Staaten Abspaltungen verhindern.
Hierbei bleibt die traurige Erkenntnis, dass Staaten geschichtlich vielfach ein Kind des Krieges sind.
Charles Tillys berühmtes Diktum »war made the state, and the state made war« gilt nicht nur für die von ihm beschriebene eminente Bedeutung stehender Heere bei der Herausbildung moderner Nationalstaaten, sondern überhaupt für die Entstehung moderner Staaten als solcher.
Die gegenwärtige juristische Landkarte könnte sich in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich verändern.
[1] Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914, S. 180f. [2] S. dazu die Website von Sealand, URL: sealandgov.org.
[3] Arnauld, Andreas von: Völkerrecht, 3. Aufl., Heidelberg 2016, S. 43. [4] Ebd.
[5] S. dazu Konvention von Montevideo von 1933, Art. 1(d).
[6] Z.B. Aufrufe zum Regierungssturz oder die Finanzierung bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen.
[7] Meyer, Karl E.: Editorial Notebook; Woodrow Wilson's Dynamite, auf: nytimes.com (14.8.1991).
[8] Tilly, Charles: Reflections on the History of European State-Making, in: ders. (Hg.): The Formation of National States in Western Europe, Princeton 1975, S. 42.
Autor: Ralph Janik
Universität Wien, Webster University Vienna und Donau-Universität Krems
Forschungsschwerpunkte: Bewaffnete Konflikte Menschenrechte
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