DER SPIEGEL 21/2006 von Von Dominik Cziesche
BÜRGERRECHTE
Schikane von Amts wegen
Das seit Januar geltende Informationsfreiheitsgesetz soll Bürgern Einsicht in Amtsakten erlauben. Doch die Bundesbehörden wehren sich mit Tricks und Finten. Wer als Bundestagsabgeordneter den Wahlkreis Karlsruhe-Land zwischen Kraichtal und Marxzell betreut, ist gewöhnlich nicht für Revolutionen zuständig. Und doch ist das, was der SPD-Politiker Jörg Tauss, 52, seit Jahren betreibt, aus Sicht vieler Beamter geradezu umstürzlerisch.
Jahrzehnte galt ihr
Amtsgeheimnis als sakrosankt, gehütet selbst bei banalsten Vorgängen, verteidigt mit Aktenstempel und -deckel und der mitunter unwirschen Erklärung: »Dazu dürfen wir keine Auskunft geben.« Dass es anders auch gehen kann, entdeckte Tauss, als er in den achtziger Jahren als Journalist in den USA recherchierte. »Die dortigen Beamten begegneten mir überaus freundlich und öffneten fast ungefragt ihre Akten«, erinnert er sich.
Tauss erfuhr so vom amerikanischen
»Freedom of Information Act«, einem Gesetz, das Unterlagen und Daten aus Behörden für
jeden zugänglich macht. Einen solchen Paragrafen wollte Tauss auch in Deutschland haben. Als er 1994 Bundestagsabgeordneter wurde, begann er dafür zu kämpfen.
Mit Erfolg:
Seit Januar ist das
Informationsfreiheitsgesetz (IFG) für die
Bundesbehörden in Kraft, gegen den Widerstand aus Ministerien, Industrie und Union setzte es Rot-Grün durch. »Jeder«, verspricht der IFG-Text, habe jetzt »nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen«.
Doch eine erste Bilanz zeigt, dass viele Beamte weiterhin
unwillig sind, ihre Geheimnisse preiszugeben. Mit
Tricks und
Schikanen wehren sie sich gegen die Neugier der Bürger - nur etwas mehr als
ein Viertel der Anträge bei den Bundesministerien wurde bisher problemlos erledigt. Der versprochene
unkomplizierte Aktenzugang ist in vielen Fällen reine Theorie.
Mal setzen die Beamten die Gebühren
zu hoch fest, mal
ignorieren sie Anfragen, dann wieder schicken sie Antwortschreiben
ohne rechtsgültige Bescheide raus - als legten sie es darauf an, gleich die ersten Neugierigen so zu demoralisieren, dass keine weiteren folgen.
»Die Behörden sind ungewöhnlich kreativ beim Ablehnen der Anträge«,
ärgert sich der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar. Harmlose Anfragen werden tendenziell schnell bearbeitet.
»Was politisch heikel ist oder viel Arbeit macht, bleibt hingegen eher liegen.«
Bis Mitte Mai waren bei den Bundesministerien 357 Anträge eingegangen, erst in 95 Fällen wurde die gewünschte Information komplett herausgegeben. Zugleich erreichten Schaar etwa hundert Beschwerden. »Diese Flut« hat ihn zunächst überrascht, inzwischen wundert er sich kaum noch:
Manche Beamte kennen das Gesetz gar nicht.
Sozialdemokrat Tauss gehört inzwischen selbst zu jenen, die erleben müssen, wie der Amtsschimmel bockt. Schon im Februar hatte der Abgeordnete Einsicht in den Vertrag der Bundesregierung mit dem Mautbetreiber Toll Collect erbeten. Nach zwei Monaten erhielt er eine Antwort: Für einen offiziellen Bescheid brauche man noch Zeit. Im Vertrag, bat der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann um Verständnis, seien Betriebsgeheimnisse berührt, zudem sei Vertraulichkeit vereinbart, nun müsse man allen Seiten »Gelegenheit geben, zu der beantragten Akteneinsicht Stellung zu nehmen«.
Ähnlich ergeht es auch einem zweiten bekannten Befürworter des
Glasnost-Gesetzes:
Manfred Redelfs, Chef der Greenpeace-Rechercheabteilung, hatte sich gleich im Januar nach einem Gutachten über
Kundenrechte im öffentlichen Personenverkehr erkundigt. Doch das Verkehrsministerium meldete sich erst auf sein Drängen und lange nach Ablauf der im Gesetz vorgesehenen Monatsfrist wieder. Ende März erhielt er eine Absage: Das Gutachten werde später bekanntgemacht - Zeitpunkt ungewiss. Nun läuft sein Widerspruch, aber das Ministerium hat drei Monate Zeit für eine Antwort. Erst wenn es das Ansinnen erneut abschmettert, könnte Redelfs klagen.
Möglich ist derlei Verzögerungstaktik, weil das Gesetz etliche Einschränkungen zulässt. Von Anfang an meldete das Verteidigungsministerium Bedenken an, und das Wirtschaftsministerium plädierte für
Ausnahmen bei Betriebsgeheimnissen. Saftige Gebühren von bis zu 500 Euro pro Anfrage sind ein weiteres wirksames Mittel der Abschreckung. So sollte ein Bürger, der eine Auskunft zur Visa-Vergabe erbeten hatte und vier Kopien erhielt, 107 Euro zahlen. Nach seiner Beschwerde reduzierte das Auswärtige Amt den Betrag auf rund 15 Euro.
Kaum eine Bundesbehörde hat sich auf das IFG richtig vorbereitet. Dabei lag zwischen Beschluss und Einführung ein halbes Jahr - die Übergangsfrist sollte den Behörden Zeit geben, um beispielsweise Daten von sich aus ins Internet zu stellen. Doch der Erwerbslosen-Verein Tacheles wartet bis heute darauf, dass die Bundesagentur für Arbeit ihr Versprechen einlöst und ihre
Dienstanweisungen online veröffentlicht. Der Verein hatte die Dokumente im Januar beantragt.
Sogar das
Urheberrecht hilft beim
Blocken von Anfragen. Ein Bürger hatte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien die Gründe für die Indizierung von 30 Filmen erfahren wollen. Weil in den Papieren der Inhalt der Streifen wiedergegeben werde, argumentierten die Beamten, komme man leider mit den Autorenrechten in Konflikt.
Die schärfste Waffe der Beamten aber ist das
Geschäftsgeheimnis:
Sollten Behörden und ihre Partner aus der Wirtschaft bei Verträgen standardmäßig Vertraulichkeit vereinbaren, könnten die Aktendeckel für immer geschlossen bleiben. Damit droht, aller Informationsfreiheit zum Trotz, das wirksamste Anti-Korruptions-Mittel auf der Strecke zu bleiben:
Transparenz.
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