The Pioneer / 21.06.2023
Ökonomische Bilanz
Russen-Wirtschaft: Putins Triumph
Warum Russland trotz des andauernden Krieges ökonomisch keineswegs so verletzbar ist, wie der Westen glaubt.
Wenn Kriege mit Worten gewonnen würden, hätten die Nato-Staaten ihren Widersacher Wladimir Putin schon dreimal zu Boden geworfen.
Joe Biden, der vor dem Warschauer Stadtschloss das Ziel ausgab, Putin dürfe in der Ukraine niemals einen Sieg feiern, drohte dem Kreml-Herrscher im April 2022, ihn ökonomisch in die Knie zu zwingen:
" Wir werden die ökonomischen Kosten und den Schmerz für Putin in die Höhe treiben und Russlands Wirtschaft isolieren. "
Auch Ursula von der Leyen gab sich siegessicher:
" Wir werden den Kreml für die Eskalation büßen lassen. "
Olaf Scholz war zu dem Zeitpunkt schon weiter. Die Sanktionen des Westens gegenüber Russland seien „hochwirksam“, wusste er bereits im April 2022 zu berichten. Doch der russische Gegenspieler ist militärisch zäh, politisch notorisch uneinsichtig – und ökonomisch
keineswegs so verletzbar, wie der Westen geglaubt hatte.
Im Gegenteil:
Die größte Rohstoffmacht der Welt ist quicklebendig. Sie hat den Westen verloren und viele andere Kunden neu akquiriert. Das Decoupling, von dem die Amerikaner in Bezug auf China derzeit sprechen, hat Russland in der Stunde der Not für sich organisiert. Das traditionelle Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg, das gestern zum 26. Mal eröffnet wurde und noch bis Samstag dauert, wird so zur Demonstration russischer Resilienz.
„Die Entkopplung vom Dollar. Oder die Zukunft des Geldes“, war eine der Paneldiskussionen in Sankt Petersburg überschrieben. Und genau deshalb auch sind viele Staaten gekommen. Sie wollen lernen, wie man die Dollar-Dominanz
bricht und wie man überlebt, wenn man vom westlichen Zahlungssystem Swift abgeschnitten ist.
Russland ist – und das ist die bitterste Erkenntnis von allen – nach dem Überfall auf die Ukraine nicht der
Paria der
internationalen Gemeinschaft geworden, sondern das
neue anti-westliche Rollenmodell. Im Stresstest eines Wirtschaftskrieges will Putin sich und den anderen zeigen, wie man der Einflusssphäre der Amerikaner entkommt, ohne dabei zu krepieren. Seine Bilanz knapp 16 Monate nach der Invasion und seit dem Erlass von zehn Sanktionspaketen kann sich sehen lassen.
Der Westen hat die Moral auf seiner Seite, aber eben nicht die ökonomischen Fakten:
Eine Infografik mit dem Titel: Russlands Wirtschaft im Aufschwung
Russisches BIP seit 2016 und Prognosen bis 2028, in Milliarden US-Dollar
1. Die Geldwertstabilität wurde gerettet.
Die in Moskau promovierte Ökonomin Elwira Nabiullina ist im Kampf gegen den Währungsverfall Putins wichtigste Kriegerin: Die Zentralbankchefin hat nur wenige Tage nach Beginn des Ukraine-Feldzuges begonnen, das russische Geldsystem der neuen Lage anzupassen. Auslandsüberweisungen wurden gedeckelt, Auszahlungen in Devisen verboten und Deviseneinnahmen zum Umtausch in Rubel erzwungen.
„Die Kapitalmarktkontrollen unter der Führung von Elwira Nabiullina haben einen schnellen Abfluss der Devisen verhindert“, bestätigt Alexander Libman, Professor für Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin. Auch ein Bank Run auf die Spareinlagen der Verbraucher konnte so verhindert werden.
Die Inflation lag im Mai 2023 bei beneidenswerten
2,5 Prozent. Auch der Außenwert des Rubels konnte sich wieder stabilisieren. Zwischenzeitlich musste man
144 Rubel pro Euro zahlen, inzwischen pendelte sich die russische Währung auf einem Niveau von etwa
90 Rubel pro Euro ein – eine Währungskrise habe
„nicht stattgefunden“, so Libman.
Eine Infografik mit dem Titel:Rubel: Die Normalisierung
Wechselkurs von Euro zu Rubel und Inflationsrate in den vergangenen fünf Jahren
2. Russlands Nachbarn springen als Handelspartner ein.
Überall da, wo sich westliche Konzerne und Mittelständler aus Putins Reich verabschiedet haben, sind andere Firmen anderer Staaten
nachgerückt. Die Regierung in Moskau kurbelte das Import-/Export-Geschäft an, indem es die Importzölle auf
null Prozent reduzierte. Seitdem gedeiht der Handel mit der
Türkei, Kasachstan, Armenien, China und
Indien. Einige Länder halten sich an die westlichen Sanktionen, finden aber kreative Wege, das nicht-sanktionierte Geschäft
auszubauen.
Dazu gehören die boomenden Erlöse aus dem Geschäft mit den Parallelimporten. Viele Jahre war es Händlern in Russland untersagt, westliche Waren zu importieren, wenn der Markeninhaber dies verboten hatte, beziehungsweise den Import in Eigenregie organisierte. Ein Beispiel: Waschmittel etwa von Henkel durfte nur durch die Erlaubnis des Düsseldorfer Konzerns in Russland verkauft werden. Es gab keine legalen Nebenbuhler.
Das Verbot der Parallelimporte hat Moskau gleich nach Kriegsbeginn
gekippt. Die
Exklusivrechte der Hersteller wurden damit
suspendiert. Nun kommen westliche Güter auch ohne Zutun der Originalhersteller über die Grenzen – etwa aus
Kasachstan oder
Kirgistan. Und die westlichen Hersteller verkaufen nun eben an die
Zwischenhändler, womit die Lieferkette nach Russland zwar
länger, aber
nicht unterbrochen wurde.
Eine Infografik mit dem Titel:Russlands Rekord-Handelsüberschuss
Russlands Handelsbilanzsaldo seit 2012, in Milliarden US-Dollar
3. Chinas Technologie ersetzt die des Westens.
Den Verkauf von Luxusautos ab einem Verkaufswert von 50.000 Euro nach Russland hat die EU verboten. Freiwillig wurden auch die Autos von westlichen Volumenherstellern zurückgezogen. Seither steigt die Zulassung chinesischer Fabrikate – vor allem im Volumenmarkt. Russische Konsumenten finden Ersatz, ohne allzu kräftige Qualitätseinbußen hinnehmen zu müssen. Die Folge: Die chinesischen Automarken Geely, Great Wall oder Changan dringen nun mühelos in das Terrain der Autobauer Kia (Korea), Mazda (Japan) und Volkswagen vor.
Eine Infografik mit dem Titel:China ersetzt den Westen
Autoverkäufe in Russland (Januar bis Mai 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum)
4. Russlands Reserven sind stabil.
Es ist nicht so, als würde Russland die Sanktionen des Westens nicht spüren. Die Einnahmen aus dem russischen Gas- und Ölgeschäft
mit dem Westen sind deutlich eingebrochen. Es fließt etwa seit Mitte 2022 kein russisches Erdgas und seit Januar 2023 auch kein Rohöl mehr nach Deutschland. Damit sinken auch die Einnahmen aus den Exportzöllen. Gleichwohl findet Russland woanders auf der Welt ebenfalls
zahlungskräftige Abnehmer – mitunter aber mit reduziertem Preis.
Die Folge: Nach Angaben des Finanzministeriums des Landes sanken die Einnahmen aus Öl- und Gassteuern in den Monaten Januar bis April im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent auf 7.782 Milliarden Rubel (8,5 Milliarden Euro).
E
ine Infografik mit dem Titel:Russische Rohstoffe: Exporte stabil, Erlöse sinken
Russische Exporte von fossilen Rohstoffen seit Anfang 2022, in Millionen Tonnen und Millionen Euro
Das trifft Russland – aber nicht massiv. Denn Moskau kann auf stabile Reserven in Gold und US-Dollar zurückgreifen.
Eine Infografik mit dem Titel:Russland: Stabile Reserven
Gold- und Devisenreserven der russischen Zentralbank seit Januar 2021, in Milliarden US-Dollar
5. Die russische Wirtschaft profitiert vom Abzug der Westler.
Zahlreiche Unternehmen aus Europa und den USA haben das Land
verlassen – in der Regel mit deutlichem Verlust, weil sie ihr Betriebsvermögen
verschleudern mussten. Der Grund: Der russische Staat zwingt westliche Unternehmen, die ihre russischen Tochtergesellschaften veräußern, zu einem Wertabschlag von
50 Prozent.
Hinzu kommt eine Steuer von
zehn Prozent auf den Restwert. Ohnehin dürfen westliche Unternehmen ihre Assets nur verkaufen, wenn eine Regierungskommission grünes Licht gibt. Bei Banken und im Energiesektor hat Putin das letzte Wort.
Fazit:
China beobachtet diese für Putin überraschend positive Entwicklung sehr genau. Denn das, was Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine widerfuhr, könnte nach einer Besetzung Taiwans auch den Chinesen blühen. Prof. Libman: Peking betrachtet Russland als sein Testlabor.
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