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Der Islamofaschismus in der Türkei hat eine neue Zielscheibe: die Sängerin Sezen Aksu. Präsident Erdogan hetzt persönlich gegen sie.

Kann es sein, dass eine Regierung, die mit der Devise „Wir ziehen eine fromme Generation heran“ an den Start gegangen war, die Gesellschaft in den Atheismus treibt? Kann eine Regierung, die von der Vorschule an die Bildung islamisiert, staatliche Kader in die Hände von Sekten und Religionsgemeinschaften gibt und exorbitante Steuern erlässt, um zu verhindern, dass vom [Links nur für registrierte Nutzer] verbotene alkoholische Getränke konsumiert werden, die Gefühle des Volkes für die Religion abkühlen? Wie kommt es, dass in einem Land, dessen Reklametafeln nicht für Badebekleidung werben dürfen und auf dessen Fernsehbildschirmen selbst Wassergläser mit Stiel verpixelt werden, die Frömmigkeit nachlässt?
In einer Gesellschaft des Westens mögen sieben Prozent kaum eine Rolle spielen. In einem Land, das sich rühmt, zu 99 Prozent muslimisch zu sein, sind sieben Prozent von größerer Bedeutung. Diese Progression innerhalb der letzten zehn Jahre ist kein Zufall. Die AKP, die seit Übernahme der Regierung 2002 die Rolle des „Muslim-Demokraten“ gibt, hat die Demokratie am Straßenrand geparkt, kaum dass sie an der Macht war, und ergriff islamistisch-autokratische Maßnahmen. Nach der Verfassungsänderung 2010 brauchte die „muslimische“ AKP das „Demokratentum“ dann gar nicht mehr. Die seither ergriffenen Maßnahmen entfremdeten nicht nur die Türkei von der Demokratie, sondern auch die Jugend, die frommer hätte werden sollen, vom Islam. Das sagen nicht bloß Umfragen oder [Links nur für registrierte Nutzer]-Gegner. Auch islamistische Autoren beunruhigt, dass die Jugend sich von der Religion abwendet. So schrieb der Autor Yusuf Kaplan aus den Reihen der Erdoğan-Unterstützer kürzlich in einer Kolumne: „Türken und Kurden kehren dem Islam immer schneller den Rücken und werden in die Sackgasse des Deismus, des Atheismus getrieben!“ An den Schluss setzte er einen Appell: „Dies ist ein Aufschrei, hört mich jemand?“
Es verändert sich alles - hätte das nie gedacht - aber es kommt.

Ein besonders bitterer Protestschrei aus der Jugend, die islamistisch hätte werden sollen, kam aus einer Stadt im Osten der [Links nur für registrierte Nutzer]. Der Medizinstudent Enes Kara beendete sein Leben im Wohnheim einer islamischen Glaubensgemeinschaft, in dem er auf Druck der Familie lebte. Was der Zwanzigjährige in einem vor dem Suizid in den sozialen Medien geteilten Video erzählte, sagt mehr als tausend Studien: „Seit der elften Klasse bin ich nicht mehr muslimisch. Aber meine Familie ist extrem fanatisch. Weil sie mich dazu gezwungen haben, lebe ich derzeit im Wohnheim der Glaubensgemeinschaft. Schon als Realschüler und Gymnasiast war ich häufig in solchen Religionsschulen, in den Ferien ein paar Mal auch mit Übernachtungen. Ich wollte das schon damals nicht, aber meine Familie zwang mich dazu. Das Einhalten der Gebete ist hier obligatorisch, man ist gezwungen, muss die Schriften lesen und am Unterricht der Gemeinschaft teilnehmen. Ich ertrage dieses Leben nicht. (...) Mir ist jede Motivation und Lebensfreude abhandengekommen.“


Wenn sich auch sonst viel verändert, dann bleibt es in der Türkei nicht aus - ich bin gespannt.

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Dank Erdoğan ist die Türkei an den Rand des Islamofaschismus geschlittert. Der jüngste Report von Human Rights Watch weist aus, dass die Erdoğan-Regierung das Land in Sachen Menschenrechte um zehn Jahre zurückgeworfen und internationale Menschenrechtsverträge offen missachtet hat. Eine letzte Woche durch das Video eines fanatischen Imams ausgelöste Kampagne, die in eine erschreckende Drohung Erdoğans mündete, zeigt noch deutlicher als dieser Bericht, wohin es mit der Türkei gekommen ist.
Wir erleben wohl neue Zeiten.