(...) Das schleswig-holsteinische Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 9. Februar 1989 verstößt gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach dieser Bestimmung muß das Volk auch in den Kreisen und Gemeinden eine gewählte Vertretung haben; der Begriff des Volkes wird dabei mit demselben Inhalt wie in Art. 20 Abs. 2 GG verwendet. Diese Vorschrift meint mit "Volk" das deutsche Volk. Damit erfaßt der Begriff des Volkes in den Gemeinden und Kreisen nur deren deutsche Einwohner. Das schließt die Gewährung eines Kommunalwahlrechts an Ausländer aus.
I.
1. Der Verfassungssatz "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) enthält - wie auch seine Stellung und der Normzusammenhang belegen - nicht allein den Grundsatz der Volkssouveränität. Vielmehr bestimmt diese Vorschrift selbst, wer das Volk ist, das in Wahlen, Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) Staatsgewalt ausübt: Es ist das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird in Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG als demokratischer und sozialer Bundesstaat mit rechtsstaatlich-gewaltengliedernder Struktur konstituiert; als demokratischer Staat kann sie nicht ohne die Personengesamtheit gedacht werden, die Träger und Subjekt der in ihr und durch ihre Organe ausgeübten Staatsgewalt ist. Diese Personengesamtheit bildet das Staatsvolk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht. BVerfGE 83, 37 (50)BVerfGE 83, 37 (51)Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG hat daher nicht zum Inhalt, daß sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen her zu legitimieren haben; vielmehr muß die Staatsgewalt das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben.
2. Das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen gebildet. Die Zugehörigkeit zum Staatsvolk der Bundesrepublik wird also grundsätzlich durch die Staatsangehörigkeit vermittelt (vgl. BVerfGE 37, 217 [239, 253]). Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen staatsbürgerlichen Status, der einerseits gleiche Pflichten, zum anderen und insbesondere aber auch die Rechte begründet, durch deren Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitimation erfährt.
Auch andere Regelungen des Grundgesetzes, die einen Bezug zum Volk aufweisen, lassen keinen Zweifel daran, daß Staatsvolk das deutsche Volk ist: Nach der Präambel ist es das Deutsche Volk, welches sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt das Grundgesetz gegeben hat; Art. 33 Abs. 1 und 2 gewährleistet jedem Deutschen in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten; nach Art. 56 und Art. 64 Abs. 2 schwören der Bundespräsident und die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen; schließlich weist Art. 146 dem deutschen Volke die Entscheidung über eine das Grundgesetz zu gegebener Zeit ablösende Verfassung zu. In nicht zu übersehender Parallelität erklären die Präambel und Art. 146 GG das deutsche Volk zum Träger und Subjekt des Staates der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso erhält Art. 116 GG, der die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten Statusdeutschen erstreckt, seinen Sinn erst dadurch, daß der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist. Der Verfassungsgeber hat dort, wo er im Blick auf Besonderheiten der Nachkriegszeit bestimmte Modifikationen dieses Grundsatzes zugelassen hat, dies ausdrücklich geregelt.
3. Ist also die Eigenschaft als Deutscher nach der Konzeption des BVerfGE 83, 37 (51)BVerfGE 83, 37 (52)Grundgesetzes der Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk als dem Träger der Staatsgewalt, so wird auch für das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie die ihm zukommende Staatsgewalt wahrnimmt, diese Eigenschaft vorausgesetzt. Das bedeutet keineswegs, daß dem Gesetzgeber jede Einwirkung auf die Zusammensetzung des Volkes im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verwehrt wäre. So überläßt das Grundgesetz, wie Art. 73 Nr. 2 und Art. 116 belegen, die Regelung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch der Kriterien, nach denen sich die Zugehörigkeit zum Staatsvolk des näheren bestimmt, dem Gesetzgeber. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist daher auch der Ort, an dem der Gesetzgeber Veränderungen in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf die Ausübung politischer Rechte Rechnung tragen kann. Es trifft nicht zu, daß wegen der erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes der verfassungsrechtliche Begriff des Volkes einen Bedeutungswandel erfahren habe. Hinter dieser Auffassung steht ersichtlich die Vorstellung, es entspreche der demokratischen Idee, insbesondere dem in ihr enthaltenen Freiheitsgedanken, eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen. Das ist im Ausgangspunkt zutreffend, kann jedoch nicht zu einer Auflösung des Junktims zwischen der Eigenschaft als Deutscher und der Zugehörigkeit zum Staatsvolk als dem Inhaber der Staatsgewalt führen. Ein solcher Weg ist durch das Grundgesetz versperrt. Es bleibt unter diesen Umständen nach geltendem Verfassungsrecht nur die Möglichkeit, auf eine derartige Lage mit entsprechenden staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen zu reagieren, etwa dadurch, daß denjenigen Ausländern, die sich auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen haben, sich hier rechtens aufhalten und deutscher Staatsgewalt mithin in einer den Deutschen vergleichbaren Weise unterworfen sind, der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert wird.
BVerfGE 83, 37 (52)BVerfGE 83, 37 (53)II.
Auch die den Bundesländern zukommende Staatsgewalt kann gemäß Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nur von denjenigen getragen werden, die Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG sind. Insofern tritt der territorial begrenzte Verband der im Bereich des jeweiligen Landes lebenden Deutschen, das (Landes-)Volk, als Legitimationssubjekt an die Stelle des Staatsvolkes der Bundesrepublik Deutschland oder - wie etwa bei der Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene und der Ausführung von Bundesgesetzen - an seine Seite.
III.
1. Im Ergebnis gilt nichts anderes, soweit durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG eine Vertretung des Volkes auch für die Kreise und Gemeinden vorgeschrieben wird. Schon der Wortlaut der Norm, der - abgesehen von der territorialen Begrenzung - den Begriff "Volk" einheitlich für Länder, Kreise und Gemeinden verwendet, weist darauf hin, daß es sich auch hier ausschließlich um die Deutschen handelt, die jeweils das Volk bilden und dessen Vertretung wählen.
2. Die von seinem Wortlaut her naheliegende Auslegung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht auch seinem Sinn und Zweck.
a) Die Norm bestimmt, daß die Grundentscheidungen der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie sowie für ein demokratisches Wahlverfahren nicht nur auf Bundes- und Landesebene gelten sollen, sondern auch in den Untergliederungen der Länder, den Gemeinden und Gemeindeverbänden (vgl. BVerfGE 52, 95 (111) zu Art. 2 Abs. 2 Landessatzung Schleswig-Holstein). Die Vorschrift gewährleistet damit für alle Gebietskörperschaften auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage.
b) Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG trägt auf diese Weise der besonderen Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften im Aufbau des demokratischen Staates Rechnung. Zwar wurden die Gemeinden BVerfGE 83, 37 (53)BVerfGE 83, 37 (54)im 19. Jahrhundert vielfach dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet und als Korporationen der Bürger in Abwehrstellung gegenüber dem Staat begriffen; die Verfassung des Deutschen Reiches von 1849 regelte das Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung in ihrem Grundrechtsteil (§ 184). Die Gemeinden sind jedoch im Laufe der Entwicklung, bei Aufrechterhaltung oder Ausbau ihres Rechts auf Selbstverwaltung, zunehmend in den staatlichen Bereich einbezogen und eingefügt worden. Vollends in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes steht die kommunale Selbstverwaltung nicht mehr in Abwehrstellung zur Staatsorganisation. Sie wird, wie Art. 28 GG zeigt, im Rahmen der staatlichen Organisation konstituiert und in den staatlichen Aufbau integriert. Das Grundgesetz hat sich innerhalb der Länder für einen auf Selbstverwaltungskörperschaften ruhenden Staatsaufbau und damit für die gegliederte Demokratie entschieden (vgl. BVerfGE 79, 127 [149]; ebenso - zu Art. 2 Abs. 2 der Landessatzung Schleswig-Holstein - BVerfGE 52, 95 [112]).
Gemeinden und Kreisen sind Strukturelemente eigen, wie sie auch einen staatlichen Verband kennzeichnen. Der der Selbstverwaltung der Gemeinden offenstehende Aufgabenkreis ist nicht sachlich-gegenständlich beschränkt sondern umfassend, soweit ihr gebietlicher Wirkungsbereich betroffen ist. Gemeinden bedürfen keines speziellen Kompetenztitels, um sich einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen; ihnen ist insoweit eine Allzuständigkeit ausdrücklich durch die Bundesverfassung (Art. 28 Abs. 2 GG) verbürgt. Für die Kreise fehlt es an einer solchen Verbürgung (vgl. BVerfGE 79, 127 [147]); jedoch wird auch ihnen herkömmlich kraft Landesrechts, bezogen auf ihren Bereich, Allzuständigkeit gewährt. Betätigen sich Gemeinden und Kreise in dem ihrer Selbstverwaltung unterliegenden Bereich, so üben sie ebenso hoheitliche Gewalt und damit Staatsgewalt aus wie bei der Erfüllung von Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich (vgl. BVerfGE 8, 122 [132]).
Der inhaltlich-gegenständlich nicht weiter eingegrenzten Aufgabenzuweisung entspricht eine vergleichbar allgemeine Anknüpfung für die personelle Zugehörigkeit zu einer kommunalen GeBVerfGE 83, 37 (54)BVerfGE 83, 37 (55)bietskörperschaft. Sie bestimmt sich nicht nach gruppenspezifischen Kriterien, wie besonderen Eigenschaften, Funktionen oder Interessen, sondern ausschließlich nach der Wohnsitznahme im Hoheitsbereich der Gebietskörperschaft; deren personale Grundlage ist damit von einer "offenen" und in diesem Sinne unbestimmten Allgemeinheit geprägt. Dementsprechend ordnet Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur den Ländern sondern auch den Gemeinden und Kreisen ein "Volk" als Legitimationssubjekt zu; es ist der eigentliche Träger der Selbstverwaltung und soll demgemäß eine Vertretung haben, die nach denselben Grundsätzen zu wählen ist, wie sie für die Wahlen zum Bundestag und zu den Landesparlamenten gelten.
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