Zitat von
Neu
Hier extra für dich ein Artikel aus der FAZ, als diese Zeitung noch was war:
Die Kosten der Unmoral
Guy Kirsch, Professor am Seminar für Neue Politische Ökonomie der Universität Fribourg (Schweiz) warnt vor einem Teufelskreis einer staatlichen Überregulierung, die damit Abwehr hervorruft und damit zur Erosion von Moral und Anstand beiträgt, die dann wiederum nach einer neuen Regulierung rufen lässt. Kirsch sieht die Archillesferse der Marktwirtschaft darin, dass sie auf Werte angewiesen sei, die sie selbst nicht hervorbringen könne. Doch wenn diejenigen begünstigt würden, die sich unrechtmäßig unmoralisch verhielten, gehe ihr die notwendige Akzeptanz in der Gesellschaft verloren. Der Staat verzerre das Spiel der Kräfte von Moral und Unmoral und sei somit die Ursache der Verrohung der Sitten mancher Menschen. Ökonomie und Ethik hätten eine gemeinsame Wurzel. In der Praxis setzt der Austausch zwischen Menschen voraus, dass diese respektvoll miteinander umgehen. Doch die kriminellen Betrugsfälle (Enron, Worldcom, Disneyland, Xerox, ABB, CDU, SPD, Spendenaffäre in der Politik, Vertuschungsmanöver der katholischen Kirchen) stehen im Verdacht, gegen Recht und Gesetz und gegen Moral und Anstand verstoßen zu haben. Geldgier, Machthunger, Prestigedenken, Rücksichtslosigkeit, Kalkül und Triebhaftigkeit lässt gegen Gesetze des Staates und / oder gegen Anstand und Moral verstoßen.
Selbstheilungskräfte, die unmoralisches Verhalten diskreditierten, sowie ein geeigneter gesetzlicher Rahmen und Rückbesinnung auf moralische Bindungsregeln und Anstandsregeln könnten Werkzeuge gegen anarchistische Merkmale wie Lug und Trug, Täuschung und Wortbruch, Rücksichtslosigkeit und Hinterlist werden, deren Folgen oft Arbeitsplatzverlust oder Verlust des Ersparten sind. Zu sagen, diese seien selbst schuld, weil sie falsch agiert oder investiert hätten, zeugt von Gedankenlosigkeit oder Zynismus. Ihr einziger Fehler bestand darin, an die Kraft von Recht und Gesetz geglaubt und darauf vertraut zu haben, dass für Manager Anstandsregeln gelten.
Doch die Kosten von Gesetzlosigkeit und Sittenwidrigkeit tangiert nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter: Das Risiko der Bestrafung ist nur ein Teil. Wer im Ruf steht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu täuschen oder zu lügen, stehlen und zu betrügen, ist für andere Menschen weniger attraktiv als jemand, der im Ruf als moralischer, anständiger und gesetzestreuer Mensch steht. Und die Kosten von Kontroll - und Sicherungsvorkehrungen bei der Zusammenarbeit mit diesem Personenkreis sind groß. Menschen sind nicht asozial, weil sie amoralisch sind, sondern amoralisch, weil sie asozial sind. Der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts setzt die Regeln von Moral und Anstand außer Kraft, und somit verlassen wir uns immer weniger auf Moral und Anstand. Dafür setzen wir zunehmend auf Recht und Gesetz, die wuchernde Juridifizierung von immer mehr Lebensbereichen ist hierfür der Beweis. Nicht, "das tut man nicht", sondern, "das ist verboten oder geboten". Doch reicht es nicht, im Recht zu sein, um Recht zu bekommen. Anwalts- und Prozesskosten sowie der Zeit- und Nervenverschleiß, Richter, Polizisten, Gerichtskosten und Gerichtsvollzieher werden bezahlt, wenn es an Moral und Anstand fehlt. Die Juridifizierung des sozialen und wirtschaftlichen Umgangs hat eine solche Dichte erreicht und die Dichte ist inzwischen so groß geworden, dass es für die einzelnen immer teurer wird, Beziehungen auf Grundlage von Recht und Gesetz zu regeln. Arbeitslose, die nicht eingestellt werden, Unternehmen, die nicht gegründet werden, Geschäfte und Partnerschaften, die nicht zustandekommen, sind Beispiele. Die Funktionstüchtigkeit von Recht und Gesetz setzt ein gewisses Maß an Moralität voraus. Wo die Steuerhinterziehung weder als moralisch verwerflich noch als unanständig gilt, hat es die Steuerfahndung schwer.
Durch die drohenden Kosten bei Beziehungen auf Rechtsgrundlagen bilden sich zunehmend Kleingruppen, wo "eine Hand die andere wäscht, keine Krähe der anderen ein Auge aushackt". Hier gilt ein Ehrenwort mehr als das geltende Recht. Es entstehen neue Regeln untereinander. Diese Kleingruppen nehmen an Bedeutung und Verbreitung zu. Sie können durchaus im Rahmen des gesetzlich zulässigen und moralisch erlaubten arbeiten. Sie können auch außerhalb liegen, wie die Mafia, die im Inneren einen Verhaltenskodex bildet und nach außen gegen jedes Recht verstößt. So erklärt es sich, dass Spendenaffären, Bilanzfälschungen, Aktenvernichtungen in der breiten Öffentlichkeit mit Überraschung, Empörung, Wut, und Besorgnis wahrgenommen werden, die Beteiligten aber mit sich selbst durchaus im reinen sind. Man kann sich schwer vorstellen, dass die Menschen auf Dauer eine Ordnung mittragen, die es einem mehr oder weniger großem Teil der politischen Klasse und der Wirtschaftselite erlaubt, am Gesetz vorbei und moralisch verlottert auf Kosten anderer zu leben. Somit sind die Kosten von Unmoral sehr hoch, auch wenn sie sich nicht in Heller und Pfennig beziffern lassen.