"Der Aufmarsch der sowjetischen Verbände zeichnete sich schon Anfang 1941 auf den Lagekarten des Wehrmachtführungsstabes ab. Noch im August 1940 hatte Generalmajor Marcks, der mit ersten Barbarossa-Studien beauftragte Generalstabschef der 18. Armee, berechnet, die deutschen Angriffsarmeen müßten mit sowjetischen Verbänden in Stärke von 96 Infanterie- und 23 Kavalleriedivisionen sowie 28 motorisierten Brigaden rechnen.
Die Meldungen um die Jahreswende jedoch bereiteten den deutschen Militärs eine arge Überraschung: Allein im europäischen Rußland waren 150 gegnerische Divisionen stationiert
OKW-Chef Keitel befahl daraufhin der Abteilung "Fremde Heere Ost", die zahlemäßige Entwicklung der sowjetischen Streitkräfte zu untersuchen. Die geheimdienstliche Generalstabsabteilung, die später von Oberst Gehlen übernommen wurde, der heute den Bundesnachrichtendienst kommandiert, meldete damals: Seit dem 1. Januar 1939 habe die Sowjet-Union die Zahl ihrer Divisionen von 100 auf 150 erhöht, deren Mannschaftsstärke verdoppelt - kurz: die Sowjetarmee war auf Kriegsstärke gebracht worden.
Von Monat zu Monat schlossen die sowjetischen Verbände immer dichter an der deutsch-russischen Demarkationslinie auf:
- Im März 1941 bezifferten deutsche Abwehr-Stellen die Stärke der sowjetischen Truppen an der russischen Westgrenze auf 84 Infanterie-Divisionen
und 8 motorisierte Brigaden (Deutschland im April: 56 Divisionen).
- Ende April waren die sowjetischen
Aufmarschverbände auf 106 Infanterie-Divisionen (Deutschland Mitte Mai: 72 Divisionen) angewachsen.
- Anfang Juni zählte die Abwehr 111 sowjetische Infanterie-Divisionen, 20 Kavallerie-Divisionen und 40 motorisierte Brigaden (Deutschland: 93 Divisionen).
Der finnische Generalstab meldete den Anmarsch sowjetischer Seestreitkräfte in der Ostsee.
Die deutschen Militärs befürchteten denn auch, die Sowjets könnten jeden Augenblick dem deutschen Angriff durch einen Gegenschlag zuvorkommen. Am 22. März 1941, zwei Monate vor dem deutschen Barbarossa-Aufmarsch, notierte sich Generalstabschef Halder: "Die Frage der Sicherung des Ostens gegen ein russisches Praevenire (Zuvorkommen) tritt in den Vordergrund.