Ich weiß, es ist jetzt mehr als 24 Jahre her. Ich war noch jung. Empört über diesen feigen Mordanschlag der Nazis. So dachte ich damals eben. Sicher, wir haben heute ganz andere Probleme. Trotzdem möchte ich auf einen der beiden vermeintlichen Täter aufmerksam machen denen damals vorgeworfen wurde, für den Tod von 3 türkischen Frauen verantwortlich gewesen zu sein. Was ist Euch noch in Erinnerung geblieben? Oder kennt ihr jemanden, Beamte, Polizisten, die euch später etwas berichteten?
Hier ein Auszug aus dem Schlußplädoyer Lars Christiansens (20) vom 24 November 1993. Ein Tag bevor ihn die bundesdeutsche Justiz zu 10 Jahren Haft verurteilte (kam nach siebeneinhalb Jahren raus):
"Vor einem Jahr ereigneten sich die Brandanschläge in Mölln. Schnell wurde nach Tätern gerufen, und eine Woche später präsentierte die Bundesanwaltschaft danach stolz die beiden angeblichen Sündenböcke. Sie haben beide Geständnisse abgegeben, also sind sie es gewesen, hieß es. Der ehemalige Generalbundesanwalt sagte sogar, daß sich der dringende Tatverdacht insbesondere aus der Aussage eines unmittelbaren Tatzeugen ergebe, dessen Einzelheiten durch die weiteren Ermittlungen bestätigt worden seien.
Mit keinem Wort hat Herr von Stahl damals erwähnt, daß es sich bei diesem sogenannten Zeugen um ein 9-jähriges Mädchen handelte, dessen Aussage erst kam, nachdem ich am Mittwoch, dem 25. November 1992, erstmalig vernommen wurde. Bei dieser Vernehmung erfuhren die Beamten auch gleich, daß ich in Pritzier dabeigewesen bin und zwar unaufgefordert, ohne es vorher zu leugnen, wie es hier behauptet wurde. Man erfuhr auch von Gudow und Kollow, außerdem war mein Wagen der Polizei schon längst bekannt. ...
Pritzier, Gudow, Kollow, Mölln, so einfach hat man es sich gemacht, aber die Rechnung geht nicht auf. Mindestens vier Leute wissen das. Zum einen ich und Michael P., zum anderen wenigstens ein Täter, der immer noch in Freiheit lebt und sich feige bedeckt hält. Zu guter letzt bestimmt auch Herr Pflieger, denn er war von Anfang an bei den Ermittlungen anwesend. Er muß die Vernehmungsteams angewiesen haben, das mit uns zu machen, was sie vor Gericht so vehement bestritten haben. Sich sogenannte Geständnisse auf verschiedene Art und Weise von uns zu erpressen, uns falsche Vorhaltungen zu machen, um uns tatrelevante Details in den Mund zu legen, von denen jetzt behauptet wird, sie wären damals aus freien Stücken heraus erzählt worden. Wir sitzen letztendlich am kürzeren Hebel, weil man vor Gericht natürlich Polizisten mehr glaubt, als Angeklagten, denen ein dreifacher Mord angehängt wird. Brutal hat man es ausgenutzt, daß ich damals so naiv war, keinen Anwalt zu verlangen. Nun war der Weg frei. Man hat mich damals auch gegen Michael P. aufgehetzt. Das zeigt mir, daß man darauf aus war, nur uns beide als Täter der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Ich hätte auch sagen können, ich wäre es damals beispielsweise mit T. S. gewesen, der den Namenszug auf die Safttüte geschrieben hat. Dann säße ich mit ihm auf der Anklagebank, denn auch er wäre wahrscheinlich so labil gewesen und hätte nach längeren Vernehmungen ein Geständnis abgegeben. Ich hätte damals jede Straftat auf der ganzen Welt zugegeben, so schlimm waren die damaligen Vernehmungen. Nach zusammengezählt über 20 Vernehmungsstunden, in einem überaus üblen Ton, gesteht man alles. Man bildet sich sogar teilweise schon ein, der Täter gewesen zu sein. Wenn ich da das Gutachten des sogenannten Sachverständigen … lese, mit all seinen Argumenten (warum wir es gewesen sein müssen), so läuft mir das wie ein kalter Schauer den Rücken herunter.
Es ist bekannt, daß Sachverständige, die von Staatsanwälten angefordert werden, immer darauf bedacht sind, diese zu unterstützen. So war es … auch mit den anderen Sachverständigen und ihren einseitigen Gutachten. Man wird vernommen. Danach kommt man in eine karge Fliesenzelle, weiß nicht, wie lange man dort verweilt, dann wird man wieder vernommen, immer rauher, immer rabiater. Zum einen ist man froh, aus der Zelle herauszukommen, zum anderen ist es dann wieder niederschmetternd, die ganze Zeit angeschrien zu werden. Dann wieder Fliesenzelle, schließlich zum Ermittlungsrichter, der einem dann den Gnadenstoß gibt und Untersuchungshaft anordnet. Man kommt ins Gefängnis, unschuldig und absolut verzweifelt. Dann wundert man sich über das Blaulicht, den Vernehmungsstil und die sogenannte Zeugin. Man zerreißt sich innerlich, man kann kaum schlafen, hat Todesangst.
Am nächsten Morgen wird man abgeholt und dann trieben es die beiden Polizisten auf die Spitze. Selbst die Angestellte an der Schreibmaschine tut ihr übriges dazu, mit Gesten und teilweise mit Worten. ‚Nun gesteh‘ doch endlich‘, hieß es immer und immer wieder. Aber man formulierte alles um, glaubte nur den Falschaussagen der Polizisten. Das hat wenig mit Rechtstaatlichkeit zu tun, die hier so angepriesen wird. Ich hatte eine weiße Weste und die Ermittlungsorgane haben es geschafft, daß ich mir diese mit einem Eimer Farbe bekleckerte. Zu der Art und Weise, wie man Michael P. dazu gebracht hat, diese Tat zu gestehen, kann ich wenig sagen. … Mir reicht es schon zu hören, der sogenannte Treffpunkt ‚Videothek‘ käme von Michael. Das reicht mir schon um zu wissen, was für eine ‚Vernehmung‘ es bei ihm gewesen ist. … Da wir es aber nicht gewesen sind und ich dann so etwas höre, ist mir bereits an dieser Stelle seines sogenannten Geständnisses alles klar.
Man hat dann ja auch ganze 10 bis 11 Vernehmungen gebraucht, um alles anzugleichen. Wie es weiter verlaufen ist, kann ich mir denken. Vorhalt auf Michael P., Antwort: Ja oder Nein. Aufgeschrieben werden dann flüssige, vollständige Sätze, die in der Akte jetzt so aussehen, als kämen sie in seinem Originalton. Im großen und ganzen stützt sich diese ganze Alibiverhandlung fast nur auf einseitige Akten von Polizei und Staatsanwaltschaft. Aber ich habe mich längst an den Gedanken gewöhnt, viele Jahre unschuldig im Gefängnis zu sitzen. Die vielen, vielen Lügen, die in diesem Prozeß schon gegen uns gefallen sind, mögen mich im ersten Moment treffen. Auf lange Sicht hin geplant, machen mich stark.
Die ungläubigen Blicke der Richter, die vorverurteilenden Rufmörder der Presse, der Alptraum als Möllnattentäter hingestellt zu werden. An all das habe ich mich gewöhnt und es trifft mich nicht mehr. Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich noch alles aufklärt. Mein Gewissen ist rein. Ich habe mit den Anschlägen nichts zu tun. Wenn hier für die Ehrlichkeit Entschuldigungen gewünscht werden, so kann ich dafür kein Verständnis aufbringen. Wer der oder die Täter sind, weiß ich nicht. Auch an dieser Frage wäre ich vor Wut beinahe zerbrochen. Vielleicht wird sie eines Tages beantwortet werden. Ich bin froh, nicht deren Gewissen haben zu müssen. … Vielleicht sagen einige, wie der unfähige Sachverständige, ich verdränge. Das ist falsch. Ich bin weiter offen dafür, mit allen Mitteln, die es gibt, zu zeigen, daß es es nicht war, sprich Hypnose. Aber mehr kann ich nicht tun. Ein Videoband, das belegt, daß ich zur Tatzeit zu Hause im Bett lag, habe ich nicht. Zum Schluß möchte ich noch einmal betonen, daß mich die Anschläge von Mölln auch sehr schockieren. Ob der oder die Täter wirklich aus einem ausländerfeindlichen Umfeld kamen, wage ich zu bezweifeln. … Man kann mir alles nehmen, soziale Bindungen, die Freiheit, große Teile meiner Lebensenergie. Aber nicht mein Wissen, daß ich es nicht war. Das gute reine Gewissen … Die Wahrheit können SIE nicht verfälschen, Herr Pflieger*. SIE werden sich eines Tages verantworten müssen, wenn nicht auf Erden, dann im Himmel.“
Generalstaatsanwalt der Anklage. War auch in München 1980, in Winnenden und beim Anschlag auf die Lübecker Synagoge aktiv.