So wird der Citoyen in allen Belangen für unmündig erklärt. Er ist nicht Ausgangspunkt der Gesellschaft, sondern Teil einer sozialen Verwaltungsmasse. Und als solcher hat er allen Steuerungsversuchen Folge zu leisten. Egal ob als „verantwortungsvoller Verbraucher“ oder Wahlbürger, dem es aufgrund vergangener „falscher“ Entscheidungen verboten sein soll, in Referenden selbst zu entscheiden; der Staatsbürger wird als einer unter vielen gesehen, dessen Bestimmung es sei, den politisch-sozialen Zielsetzungen zu gehorchen.
Er soll Elektroautos kaufen und für deren Subventionierung eingezogenes Steuergeld aufwenden, weniger oder am besten gar nicht mehr rauchen, mehr Fahrrad fahren, gesünder essen, sich häufiger bewegen, die richtigen Parteien wählen und eine verbreitete, akzeptierte politische Meinung vertreten, grüne NGOs fördern, ökologisch leben, Fair-Trade-Kaffee kaufen, weniger Alkohol trinken, sich pünktlich bei der örtlichen Einwohnerbehörde überprüfen lassen, keine Waffen besitzen, niemals „Killerspiele“ spielen, das halbe Einkommen dem Staat widmen, genmanipuliertes Essen meiden, seine Kinder, wie von Staats wegen geheißen, richtig erziehen, „gendergerecht“ schreiben, Organe spenden, „sexistische Werbungen“ anzeigen, kein Glücksspiel betreiben, „energieeffizient“ bauen, fein säuberlich den Müll trennen und, zu guter Letzt, jedwede Verstöße gegen die Gesetze der Sozialgemeinschaft ordnungsgemäß per App denunzieren. Dies ist die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
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Zwar verkündet das Justemilieu in diesen Tagen besonders eindrücklich, wie wichtig Vielfalt, Weltoffenheit und eine bunte Gesellschaft doch seien. Damit ist aber freilich keine freigeistige Atmosphäre gemeint, in der individuelle Lebens- und Weltsichten gedeihen könnten, sondern per Dekret definierte Buntheit: Stück für Stück wird verordnet, wie man zu leben und zu denken habe. Zurück bleibt eine Gesellschaft, in der Individualismus zwar gepredigt, ansonsten aber als politisch inkorrekt angeprangert wird.
Auch deswegen ist jeder Verstoß gegen die Diskursmauern ein Gebot der Stunde. Der souveräne Bürger sollte sich nicht mehr einreden lassen, welche Produkte, Personen oder Genussmittel er zu meiden hat. Nein, er sollte sich wieder trauen zu denken und zu fühlen, was immer ihm vernünftig scheint, und diese Meinung dann selbstbewusst nach außen vertreten. Denn das private Dasein, das offensive Bekenntnis zum Eigenen, durchbricht die politisch-moralischen Vorgaben der Philister aus den oberen Reihen und raubt ihnen ihren moralischen Vormachtanspruch. Sein Eigen-tum in diesen Zeiten zu bewahren, wird so zu einem subversiven Akt, den es zu würdigen gilt. Er ist selten genug.