Geschichte des Kung Fu (Auszug)
Im 3. Jahrtausend v. Chr. lebte der legendäre "gelbe Kaiser" Huang-Ti, der als Stammvater des Chinesischen Volkes bzw. der chinesischen Kultur gilt (Xia-Dynastie von 2205-1766 v. Chr.; Shang-Dyn. von 1766-1122 v. Chr.). In der Zhou-Epoche (1122-221 v. Chr.) findet man erste historischen Erwähnungen spezieller Kampfkünste. Der bekannte Kriegstheoretiker San Tzu lebte in dieser frühen Epoche.
Liu Pang begründete die Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.). In dieser Zeit wurden die Fundamente für die kulturelle, politische und wirtschaftliche Struktur Chinas gelegt, wie sie noch bis in den Anfang des letzten Jahrhunderts hinein gültig waren. Die Chinesen bezeichnen sich selbst als "Kinder der Han "; die Han stellen heute die grösste ethnische Gruppe im Vielvölkerstaat China dar. In jener Zeit der Kampfstil "Ch´ang Shou" (WG: "Lange Hand"), der wohl als direkter Vorläufer des Shaolin Stils "Ch´ang Ch´üan" ("Lange Faust") betrachtet werden kann.
Im Jahr 220 v. Chr. zerfiel das Reich der Han und die "Epoche der drei Reiche" (220-280 n. Chr.) begann. Zu dieser Zeit lebte der sagenumwobene Volksheld General Kwan Yü (WG) (Guan Yun), der in der späteren Ming-Dynastie sogar vergöttlicht und als Kriegsgott verehrt wurde. Noch heute wird er, im traditionellen religiösen Volksempfinden, als Nationalheld angesehen. Ihm zu Ehren wird die grosse chinesische Hellebarde, Guan Dao (Schwert des (General) Guan) gennant.
Während der Jin-Dynastie(280-316 n. Chr.) verbreitete sich, aus Indien kommend, der Buddhismus, in ganz China. Das berühmte Shaolin-Kloster (Shao: Jung, Lin: Wald: "Kloster des Jungen Waldes") wurde wie viele andere buddhistische Klöster und Tempel gegen Ende des 5. Jhd. an den Hängen des Berges Sung (Provinz Honan) in Nordchina errichtet.
Der überlieferung (Legende) nach kam gegen 520 n. Chr. (Epoche der Nördlichen und Südlichen Dynastien: 420-589 n. Chr.) ein indischer Mönch namens Bodhidarma (chin.: Da Mo, jap.: Daruma) in den buddhistischen Shaolin-Tempel und begründete dort den Chan-Buddhismus (jap.: Zen-Buddhismus). Die bis dahin in China bereits existierenden Kampfformen wurden durch den Chan-Buddhismus zu Kunstformen erhoben. Im Chan-Buddhismus werden die (physischen übungen der) Kampfkünste als Mittel/Weg zur geistigen Vervollkommnung betrachtet. Die Atem- und Bewegungstechniken die Bodhidarma den Mönchen lehrte, stammten aus dem indischen Yoga. Ob Bodhidarma als Person wirklich gelebt hat ist so fraglich wie die historische Existenz von Jesus und letztendlich eine unbedeutende Glaubensfrage. Fest steht, dass im 6. Jhd. n. Chr. die Buddhistischen Mönche im Shaolin-Kloster Yoga-übungen praktizierten und sich intensiv mitKampf/Selbstverteidigungstechniken beschäftigten. Zweifellos war es die Abgeschiedenheit und die geordnete Ruhe ihres Lebens als Mönche, die die Entwicklung und Perfektion der Kunst des Kung Fu erst möglich machten. Dank des, durch den Chan-Buddhismus erreichten, psychischen und physischen Niveaus der Mönche, durchlief die Kampfkunst (ohne und mit Waffen) eine bis dahin in der Weltgeschichte unbekannte Evolution.
Der in der Sung-Dynastie (1103-1142 n. Chr.) lebende General Yüeh Fei (Pinyin: Yue Fei) führte die 8 traditionellen Gymnastik-übungen (Ba Duan Jin "8 Brockatstücke") des Kung Fu bzw. des Qigong (WG: Chi Kung) ein, und wird als Gründer des Adlerstils (Yue Jia Ien Chao: "Adlerklaue der Yue-Schule") angesehen.
Kublai Khan, der Enkel des Dschingis Khan, vernichtete 1279 vor Kanton die kaiserliche chinesische Flotte. In der Folge eroberten die Mongolen das zerfallende Reich der Sung, Kublai Khan wurde Kaiser von China und gründete die Yuan-Dynastie (1279-1368 n. Chr.). In dieser Epoche entstand vermutlich der bekannteste Innere Stil/Schule (Nei Jia) des Kung Fu, das Tai Chi Ch´üan (PY: Taijiquan). Taiji bedeutet soviel wie "höchster Pol, das ultimative erste Prinzip". Ch´üan heisst übersetzt "Faust/Faustform". Taijiquan ist also die "Faustform des höchsten Pols". Der Begriff Taiji stammt aus dem Taoismus und bezieht sich auf die Einheit und Relation von Yin und Yang, den taoistischen Grundprinzipien des Universums.
Die Mongolen wurden schliesslich gewaltsam vertrieben und Chu Yüan Chang wurde zum "Hung Wu" ("Sohn des Himmels" Kaiser) ernannt. Damit begann die Epoche der Ming (1368-1644 n. Chr.). Im 16 Jhd. begründeten der Shaolin Mönch Chueh Yuan und ein Mann names Li Sou das Wu Hsing Ch´üan ("Faustform der 5 Tiere"). Tiger (Hu), Drache (Lung), Kranich (He), Schlange (She) und Leopard (Pao) formen noch heute die 5 traditionellen Tierstile des Shaolin Quan Fa.
Ebenfalls in der Ming-Dynastie gelangte die Kunst des Shaolin Quan Fa, durch Wandermönche, auf die Insel Okinawa und formte dort den Grundstock für die Entstehung des historisch sehr viel jüngeren japanischen Karate. Kara-Te bedeutet ursprünglich "Chinesische Hand". Das Zeichen Te steht für Hand und Kara ist die japanische Aussprache für das Ideogramm Tang, welches für die Tang-Dynastie also China steht. Erst später wurde das Schriftzeichen Kara durch ein gleichlautendes Schriftzeichen mit der Bedeutung "leer" ersetzt. Heutzutage wird also Karate als "(Kunst) der Leeren Hände" übersetzt.
Der letzte Ming-Kaiser erhängte sich während einer Revolte im Jahr 1640 unserer Zeitrechnung. Die von seinen Gefolgsleuten zur Hilfe gerufenen Stämme aus der Mandschurei, schlugen den Aufstand nieder und besetzten Beijing (WG: Peking). Entgegen ihrer Zusicherung zogen sie sich die Mandschus jedoch nach ihrem militärischen Eingreifen nicht in ihre Heimat zurück. Sie gaben die Macht nicht mehr ab, besetzten ganz China und gründeten die Qing-Dynastie (1644-1911 n. Chr.). Das chinesische Volk stand den fremden Machthabern von Beginn an feindlich gegenüber und leistete Widerstand. Das Shaolin-Kloster war dabei eine Keimzelle der organisierten Resistance. Die Mandschu-Herrscher zerstörten in der Folge das Kloster (Nordchina) und die fliehenden Mönche errichteten einen neuen Shaolin-Tempel in der Provinz Fukien (Südchina). Die gewaltsame Vertreibung der Mönche aus dem nordchinesischen Tempel führte zur Verbreitung ihres Wissens an das gemeine Volk. Das sich bis dahin isoliert in den Klöstern hochentwickelte Ch´üan Fa fand so seinen Weg zu den Menschen in ganz China. Die Anzahl der sich in der Folge entwickelnden, oft recht unterschiedlichen, Stile ist Legion. Gemeinsam tragen aber alle den Samenkeim des klassischen Shaolin Kung Fu aus Nordchina in sich.
Oft werden die verschiedenen Kung Fu-Stile aufgrund ihrer geographischen Verbreitung/Herkunft eingeteilt. Die wichtigste Trennlinie ist dabei der Gelbe Fluss der die Formen in Nördliche und Südliche Stilrichtungen unterteilt. Ein bekanntes chinesisches Sprichwort lautet: "Bei Dui Nan Quan!", demnach betont der Norden (Bei) meist Bein (Dui)-Techniken, im Süden (Nan) stehen dagegen Techniken mit der Hand/Faust (Quan) im Vordergrund. Die bedeutendsten Stile Südchinas sind Hung Gar ("Tiger/Kranich-Stil"), Choi Li Fut, Wing Chun, Drache ("Lung Ch´üan"), Weisse Augenbraue, Pak Hok ("Weisser Kranich"), südliche Gottesanbetterin ("Tang Lang Ch´üan") und Hou Ch´üan ("Affenstil") zu nennen. Die bekanntesten Stile Nordchinas sind Ch´ang Ch´üan ("Lange Faust"), Lo Han Ch´üan ("Boxen der Schüler Buddahs"), Ien Chao ("Adlerklaue"), Ts´ui Pa Hsien ("8 unsterblichen Betrunkenen") und Nördliche Gottesanbetterin.
Während der Qing-Dynastie entwickelte sich speziell die 3 bekanntesten Inneren Stile Baguazhang (WG: Pa Kua Chang), Xingyiquan (WG: Hsing-i Ch´üan) und Taijiquan (WG: Tai Chi Ch´üan).
Die Qing-Dynastie endete durch die Proklamation der Chinesischen Republik am 01.01.1912.
In Nanchino wurde 1928 das Kuo Shu ("(Institut für) Nationale Kunst") gegründet. Eine Kommission der damals bedeutendsten und renommiertesten Meister unternahm einen wissenschaftlichen Versuch der Bestandsaufnahme der zahlreichen Quan Fa Richtungen in China.
Im Jahr 1937 wurde China durch die Invasion japanischer Truppen in den II. Weltkrieg hineingezogen.
Nach der Machtübernahme der Kommunisten (unter Mao Dse Dung) im Jahr 1949 verliessen viele Quan Fa Meister China und flohen nach Hong Kong und Taiwan, wo sie ihre Künste in grösserer Freiheit praktizieren konnten.
Nach dem Verbot der traditionellen Kampfkünste durch die fehlgeleiteten Ideologen der Kulturrevolution werden in China inzwischen wieder auf breiter Basis Kampfkünste geübt. Jedoch ist das heutige in der Volksrepublik praktizierte Wu Shu ("Kunst des Krieges") nicht mit den traditionellen Wu Shu bzw. Quan Fa zu verwechseln. Das moderne chinesische Wu Shu ist ein künstliches Konstrukt der kommunistischen Machthaber Chinas, der kriegerische Ursprung der Künste, der Kampf/Selbstverteidigung, tritt hinter artistischen/akrobatischen Aspekten zurück. Gemäss der in China herrschenden Ideologie eines vereinheitlichten, kommunistischen, klassenlosen Systems wurden auch die alten, klassischen Kampfkünste vereinheitlicht und in ein, der alles beherrschenden Partei, passendes Schema gepresst.
Traditionelles Kung Fu, so es noch irgendwo existiert, kann leider nur noch in Taiwan bzw. in manchen Schulen in Europa und den USA gefunden werden. Aber auch dort treten klassische, traditionelle Ansprüche zunehmend hinter anderen Interessen zurück. Anders als die Parteideologie in China ist es das Streben nach finanziellen Profit und Reichtum das die alten Ideale und Traditionen verdrängt oder die Schwierigkeit der westlichen Welt sich in die altertümliche östliche Lebensanschauung hineinzuversetzen, so dass man teilweise gezwungen ist Kompromisse einzugehen und einige Traditionen anpzupassen. So findet man heutzutage in der westlichen Welt (auch bei uns) eine Unmenge von Grossmeistern, "Kung Fu Schwarzgurt-Trägern" bzw. sogar "Dan-Grade" im Kung Fu. Traditionell gab und gibt es im chinesischen Quan Fa keine Graduierungen, abgesehen von der prinzipiell sinnvollen Unterscheidung zwischen Lehrer und Schüler.
Angesichts der langen Geschichte der Chinesischen Kampfkünste sollte diese Anwandlungen mit grösster Vorsicht betrachtet werden, gewinnen in der Zukunft derart "neue, moderne" Einstellungen die Oberhand, so wird auch noch der letzte verbliebene Rest des ererbten Wissens der alten Meister verloren gehen.
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