Heute im Tagesspiegel online gelesen.
[Links nur für registrierte Nutzer]
Wir dürfen doch aber hoffentlich noch eine Nation sein, möchte man die Autoren fragen.Das Buch richtet sich an eine gebildete Leserschaft. Die Gegnerschaft zur Flüchtlingspolitik ist aber bei jenen besonders hoch, die schlecht gebildet und deshalb Verlierer der Globalisierung sind. Ist es nicht verständlich, dass die „unten“ Angst vor einer neuen Konkurrenz durch Flüchtlinge haben, die die „oben“ gar nicht bedroht?
Herfried Münkler: Das sei zugestanden. Die Zuwanderung von Menschen mit relativ überschaubarem Bildungsniveau ist keine Konkurrenz für Hochqualifizierte – sondern sicher eher für diejenigen, deren Bildungsniveau ebenfalls nicht sehr hoch ist. Die Politik muss dafür ein Auge haben. Das andere ist, zu überlegen, wie wollen wir eigentlich sein. Wollen wir eine Gesellschaft sein, die alt und müde ist, die keine Herausforderung an sich heranlassen will? Das meinen wir als Polemik gegen die Rechte, die sich nationalistisch gibt, aber ein altes, erledigtes Deutschland unterstellt. Wir gehen auch durchaus auf diejenigen zu, die sich jetzt bedrängt fühlen. Wir sagen ihnen: Wir haben nun einmal dieses demografische Problem, die Bundesrepublik braucht jedes Jahr eine halbe Million Zuwanderer, aus ideologischen Gründen ist das versäumt worden. Das stellt uns vor eine Reihe von Problemen. Wenn wir nicht wollen, dass das Rentenalter auf 75 heraufgesetzt wird, wenn wir den Sozialstaat erhalten wollen, müssen wir bereit sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er nachhaltig ist.
Marina Münkler: Wir polemisieren nicht gegen die Menschen, die fürchten, Verlierer zu sein, sondern gegen diejenigen, die diese Leute benutzen. Herr Höcke, Frau Petry und Herr Gauland sind nicht die Fürsprecher der Benachteiligten, das Programm der AfD ist weithin neoliberal.
Deutschland war nie ein ethnisch homogener Nationalstaat - und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Was darf man als Deutscher denn eigentlich noch ?Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwei Leitvorstellungen von Deutschland. Das eine Deutschland ist ein ethnisch einheitlicher, von einer wie auch immer gearteten christlichen Leitkultur geprägter Nationalstaat, das andere Deutschland eine multiethnische, multireligiöse Einwanderungsgesellschaft. In welche Richtung bewegen wir uns eher – ein Jahr nach dem Höhepunkt der Einwanderungswelle?
Marina Münkler: Sicher nicht in Richtung eines ethno-deutschen Nationalstaates. Das war Deutschland faktisch nie, das ist eine Bezugsgröße, die ganz häufig von radikaler Seite benutzt wird. Doch wenn man hinschaut, sieht man, dass es die ethnischen Deutschen ohnehin nicht gibt. Zuwanderung beginnt in Deutschland nicht mit den fünfziger oder sechziger Jahren, es gab etwa im 19. Jahrhundert Zuwanderung aus Polen und allen möglich anderen Gebieten. Es ist eine Fiktion zu glauben, man könnte eine ethnisch reine Nation haben.
Ob sich Polen oder Tschechen oder Ungarn oder Türken vorschreiben lassen, wie sie sich ethnisch fühlen dürfen ?Sie schreiben, eine Bedingung für Integration ist die Akzeptanz des modernen Frauenbildes und der damit verbundenen Freiheiten. Was braucht es noch, damit man ein „neuer Deutscher“ sein kann?
Marina Münkler: Der neue Deutsche lernt, sich an diesem Land und seinen Werten zu orientieren. Zugleich versteht er „Deutschsein“ nicht als exklusiv. Wir müssen nicht auf Abschottung setzen und können unsere Identität trotzdem bewahren. Mich wundert, wie unglaublich negativ anhand einzelner negativer Beispiele der gesamte Prozess der Zuwanderung und Integration der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland beschrieben wird. Wenn man bedenkt, wie wenig die Politik lange für Integration getan hat, ist dieser Prozess doch sehr gut gelaufen.
Wo steckt der Witz - bzw. die Pointe ?