Am Anfang der großen Jugendkulturen stand fast immer Provokation und das Bedürfnis, sich von den Eltern abzugrenzen. Die Jugend im Jahr 2016 tickt da anders. Das geht aus der Sinus-Jugendstudie hervor, die heute in Berlin veröffentlicht wurde.
Provokante Subkulturen gebe es heute kaum mehr, fassen die Autoren der Studie zusammen: "Eine Mehrheit der Jugendlichen ist sich einig, dass gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das 'gute Leben', das man in diesem Land hat, garantieren kann."
Ein überraschendes Kennzeichen für diesen Befund: "Mainstream" sei bei den meisten Jugendlichen kein Schimpfwort mehr. Im Gegenteil: Das Wort sei "ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung". Viele der Menschen zwischen 14 und 17 Jahren, die befragt wurden, wollen so sein "wie alle".
Darin erkennen die Forscher vom Sinus-Institut eine "Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt". Die Jugendlichen sind anpassungsbereit und akzeptieren Leistungsnormen und Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin.
Das gilt für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Muslimisch geprägte Befragte distanzieren sich demonstrativ von religiösem Fundamentalismus, religiöse Toleranz und Vielfalt werden in allen Milieus als wichtige Norm betont.
...
Damit lässt sich die Jugend zwar nicht statistisch über einen Kamm scheren. Diese qualitative Methode ist aber weithin akzeptiert, um Perspektiven und Nöte der Befragten möglichst anschaulich zu machen. Die Lebenswelten der 14- bis 17-Jährigen stellen sich demnach so dar:
* Die Konservativ-Bürgerlichen orientieren sich laut den Forschern an Werten wie Familie und Heimat. Sie sind bodenständig, verbinden Tradition mit Verantwortungsethik.
* Die Sozialökologischen sind besonders offen für alternative Lebensentwürfe. Sie sind sozialkritisch und orientieren sich an Begriffen wie Nachhaltigkeit und Gemeinwohl.
* Die Expeditiven legen Wert auf Erfolg und Lifestyle, suchen in ihrem Alltag unkonventionelle Erfahrungen und testen immer wieder Grenzen aus.
* In der Mitte des Lebensweltenspektrums sehen die Forscher die Adaptiv-Pragmatischen . Sie verstehen sich als leistungs- und familienorientierter Mainstream und zeigen eine hohe Anpassungsbereitschaft.
* Experimentalistische Hedonisten wollen sich am stärksten vom Mainstream abheben. Sie sind an Spaß und Szeneleben orientiert und leben im Hier und Jetzt.
* Die materialistischen Hedonisten werden von den Studienautoren zur Unterschicht gezählt. Sie sind an Freizeit und Familie orientiert und fallen durch ein ausgeprägtes Markenbewusstsein in ihrem Konsumverhalten auf.
* Unter den Prekären verstehen die Forscher Jugendliche mit schwierigen Startvoraussetzungen, die aber um Orientierung und Teilhabe bemüht sind. Sie werden als "Durchbeißer" charakterisiert.
Das Sinus-Institut erforscht seit rund 35 Jahren die deutsche Gesellschaft und teilt sie in Gruppen ein, die so genannten Sinus-Milieus. Sie zeigen damit Menschen, die ähnliche Lebensweisen haben und ähnliche Einstellungen zu Arbeit, Familie, Freizeit, Geld und Konsum.