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Thema: Konzerteklat in der Kölner Philharmonie

  1. #191
    Foren-Veteran
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    Standard AW: Konzerteklat in der Kölner Philharmonie

    Nochmal zu diesen interessanten Punkten, nach wiederholtem Lesen:
    Zitat Zitat von Bunbury Beitrag anzeigen
    Und jetzt versuche ich ein letztes Mal, Dir meine Sicht- und Hörweise zu vermitteln. Ich will dafür nochmal von einer anderen Seite her argumentieren.

    1.) Ja, die abendländische Hörerfahrung - von der wir milieubedingt, vielleicht auch schon genetisch geprägt sind - läßt uns in elementaren Melodiephrasen Harmonieverläufe mithören, selbst bei unbekannten Melodien: Man erwartet den Halbschluß auf der Dominante, den Dominant-Tonika-Abschluß beim Phrasenende. Das steckt so tief in uns, daß wir sofort aufmerken, wenn jemand mit Nebenstufen à la Schubert/Brahms abweichend harmonisiert. Daraus folgt hörpsychologisch, daß wir schon mal zwei Schichten, nämlich Melodie plus akkordische Begleitung wahrnehmen. Pech für Herrn Rauhe.
    Hier kann ich Dir ehrlich gesagt am wenigsten folgen. Mal abgesehen davon, daß ich, wie schon geschrieben, nicht glaube, daß der Normalhörer bei Melodien die Begleitakkorde mithört:
    Was meinst Du eigentlich mit "abweichend harmonisieren"? Und wieso sollen Schubert und Brahms das getan haben? Die Nebenstufen (auch Stellvertreterfunktionen genannt) haben gerade in der Romantik den absolut gleichen Stellenwert wie die Hauptfunktionen! Sie werden selbstverständlich benutzt, wie sie schon Bach selbstverständlich benutzt hat und zwar genauso häufig und natürlich wie die Hauptfunktionen. Von "abweichend" kann da gar keine Rede sein!
    Bei Stamitz und Haydn allerdings: da hättest Du absolut recht: Mollakkorde sind hier normalerweise in einen kurzen Minoreteil in die Mitte des Satzes verbannt. Aber selbst hier kann von einer "Standartharmonisierung" nie die Rede sein. Denn, wie Du sicher weißt, (da ich glaube, Du kennst Dich mit Harmonielehre aus): es gibt selbst dann immer eine große Anzahl verschiedener Harmonisierungsmöglichkeiten, wenn auch nur die Hauptfunktionen benutzt werden. Suche Dir einfach ein bekanntes Lied aus drei verschiedenen Liederbüchern und Du wirst 3 verschiedene Harmonisierungen dazu finden. Das einzige, worüber Du Dir sicher sein kannst, sind eben die Schlußbidlungen D-T oder S-D-T. Die sind i.d.T. immer gleich, aber alles dazwischen ist beliebig formbar, selbst mit nur 3 Akkorden. Das liegt ja daran, daß Tonika mit Dominante und mit Subdominante gemeinsame Töne haben, so daß immer verschiedene Akkorde zur Begleitung möglich sind.
    Und was die Moll-Nebenfunktionen betrifft: die waren eben nur in der Frühklassik selten, sonst nie.
    Und in der Romantik dann sogar erweitert sich dieser Akkordvorrat noch ganz stark, indem terzverwandte Akkorde allgemein benutzt werden. Ganz unabhngig von der Ausgangstonart. Nach z.B. G/h/D ist dann ganz einfach z.B. gis/h/dis, gar h/dis/fis, im Endeffekt sogar dis/fis/ais usw. möglich. Also sogar terzverwandte alterierte Akkorde ohne gemeinsamen Ton. In der Funktionstheorie läßt sich das nicht mehr darstellen (weil zu kompliziert), es wird einfach allgemein als "Terzverwandtschaft" bezeichnet. Und das fängt schon bei Schumann an.
    Insofern: "abweichend harmonisieren" ist eine Bezeichnung, die für die Romantik eigentlich gar keinen Sinn macht, weder für Schubert noch für Brahms. Es gibt nämlich keinen "Standart" der Harmonisierung (abgesehen vom DurMoll-System an sich), sondern Harmonisierung ist ein ganz individueller Vorgang, der bei jedem Komponisten natürlich durch seine Persönlichkeit geprägt wird. Und wenn eine Stelle traurig oder tragisch klingen soll, werden natürlich Mollakkorde benutzt. Hauptfunktionen in Dur als "Standart" erwartet niemand. Die Harmonisierung ist so individuell wie das Kunstwerk selbst.
    2.) Der klassische 4-stimmige Satz, egal ob mit Harmoniewechsel auf jeder Zählzeit oder mit längeren Harmonieflächen (wie beim begleiteten Volkslied/Popsong etc.), individualisiert die Stimmen, am stärksten den Baß, der idealerweise in Gegenbewegung zur Oberstimme geführt wird, woraus sich eine latente Kontrapunktik wie von selbst ergibt, bei jedem besseren Komponisten planvoll, und da wären wir schon wieder beim 2-stimmigen Kontrapunkt. Die Wirkung einer guten Baßstimme nimmt jeder Hörer wahr – vor allem ihren dialektischen Bezug zur Oberstimme. An dieser Stelle kann Herr Rauhe eigentlich schon einpacken.
    Der sogenannte "strenge Satz" individualisiert die Stimmen, wird dadurch aber noch nicht polyphon, denn zu Polyphonie im eigentlichen Sinn gehört immer auch eine unabhängige Rhythmik. Parallelrythmik wie im Kirchenchoral ist eigentlich das genaue Gegenteil von dem, was meist unter Polyphonie verstanden wird. Das Verbot von Quint- und Oktavparallelen gibt es bereits seit der Renaissance und wenn Du die Unabhängigkeit der Einzelstimme an sich zum Kriterium machen wolltest, dann wäre sämtliche mehrstimmige Musik nach dem Mittelalter ausschließlich polyphone Musik, denn verschmelzende Stimmen wurden seit damals nicht mehr komponiert. Dann wären wir an dem Punkt, wo "polyphon" und "mehrstimmig" ein und dasselbe wird, so wie das in England definiert ist. Eine völlig unzulässige Vereinfachung von eigentlich viel komplizierteren Strukturen.
    3.) Das größte Problem in einer homophonen Komposition sind die Mittelstimmen. Ein rein akkordischer Begleitsatz kann vom Harmonieverlauf her plausibel sein. Aber die einzelnen Stimmen, aus denen er sich zusammensetzt, sind oft sterbenslangweilig oder potthäßlich, am schlimmsten die Altstimme im Chor- und die Bratschenstimme im Orchestersatz: in der Frühklassik oder später bei lieblos arbeitenden Komponisten reine Füllstimmen, entweder völlig ungesanglich oder aus penetranten Tonwiederholungen bestehend. Warum sucht jeder halbwegs vernünftige Komponist, diese Fehler zu vermeiden? Weil man diese Fehler im homophonen Stimmengeflecht hört, oder umgekehrt: weil man eine liebevolle Stimmführung auch bei rein harmonischen Komplexen hört, nämlich eine individualisierte durchmelodisierte Mittelstimme, wovon übrigens schon die Bach-Choräle Zeugnis ablegen.
    Je homophoner ein Satz ist, je häßliche und langweiliger die Begleitstimmen, desto mehr tritt die Melodie in ihrer ganzen Schönheit und Qualität (sofern vorhanden) hervor. Viele Musik will nur das und nicht mehr. Z.B. die ganze Frühklassik aber auch die U-Musik und ein großer Teil der einfach begleiteten Kunstlieder. Als "Fehler" darf man das nicht sehen, es ist ein bestimmtes Schönheitsideal, daß dem bescheidenen und auf "innere Größe" ausgelegten Wertesystem der Aufklärer voll entsprach. In dieser Musik steckt letztlich die Philosophie der Gelehrten der damaligen Zeit, eines Kant oder Winkelmann. Daß diese Musik für die Begleitsimmen undankbar zu spielen ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

  2. #192
    Miss Verständnis Benutzerbild von Leila
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    Standard AW: Konzerteklat in der Kölner Philharmonie

    „Das klingt wie Musik in meinen Ohren!“ – Diesen Ausspruch hörte ich von vielen Handwerkern – z.B. von einem Motorradmechaniker, der sich am Lärm, den der Motor seines Vehikels verursachte, erfreute. Oder von einem Wärter der Maschine, die im Rumpf eines Passagierschiffes rund lief. – Zu den musikalischsten Handwerkern zähle ich die Liebhaber der Dampflokomotiven.

    Ich bin der Meinung, daß die Musikalität mit der Entwicklung des Menschen zum Taktgefühl begann, also mit dem rhythmischen Schlagen bzw. mit dem Trommeln, wobei ich das „Taktgefühl“ in diesem Zusammenhang nicht moralisch verstanden haben möchte).

    Was die einen für Lärmbelästigung halten, halten die andern für einen Hörgenuß.

  3. #193
    Einsiedler Benutzerbild von Coriolanus
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    Standard AW: Konzerteklat in der Kölner Philharmonie

    Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen. Ein Preßlufthammer kann durchaus auch einen beeindruckenden "Klang" vorweisen. Wer würde es schon Krach nennen, wenn Asphalt mit brachialer Gewalt aufgebohrt wird und zerplatzt. Ohne Gehörschutz jedoch, ist ein solcher "Genuß" auf Dauer schwer erträglich. Ähnlich wie bei GP-Motoren. Sonst hätte man an echter Musik schon sehr bald keine Freude mehr. Auch sonst würde einem dann so manches "Konzert" entgehen. Das Gezwitscher der Vögel, das man normal um diese Jahreszeit schon früh morgens vernehmen müsste, entwickelt sich zu einem vielstimmigen Chor, zusammen mit brummenden Lastwagen und kreischenden Motorrollern. Von eminenter Wichtigkeit ist es allerdings, die richtige Lautstärke zu wählen. Allzu oft erliegt man nämlich selbst der Versuchung, den [Links nur für registrierte Nutzer] voll aufzudrehen.
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