22.01.2016
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Peter Orzechowski
Vor zwei Jahren erzwangen gesteuerte Proteste den Rücktritt der Russland-freundlichen Regierung in der Ukraine. Heute wiederholt sich das Gleiche in Moldawien – nur mit anderen Vorzeichen. Diesmal richten sich die Demonstrationen gegen den EU-Beitritt des Landes.
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Vergangenen September hatten bis zu 100 000 Menschen in der moldawischen Hauptstadt gegen den pro-europäischen Regierungskurs und wegen eines mutmaßlichen Korruptionsskandals, in der unter anderem die Regierung, die Führung der Zentralbank sowie die Generalstaatsanwaltschaft verwickelt sein sollten, demonstriert. Damals waren 1,3 Milliarden Euro verschwunden, was ungefähr einem Achtel der Wirtschaftskraft des Landes entspricht, deren Spur sich bei irgendwelchen Off-Shore-Banken verlor.
Als Folge sank der Lebensstandard und es kam zu einem signifikanten Anstieg der Inflation. Daraufhin war der damalige pro-europäische Ministerpräsident Valeriu Strelet durch das Parlament Ende Oktober 2015 abgewählt worden. Vor dem Hintergrund dieser tiefen politischen Krise war das Land ohne Regierung in das neue Jahr eingetreten.
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Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, und Moldawien haben sich am 10. Oktober 1997 zu einer Sicherheitsallianz zusammengeschlossen, die ihren Namen aus den Anfangsbuchstaben der vier Staaten ableitet: GUAM. Langfristig streben die vier Staaten in die NATO.
Sollte dieser Fall eintreten, erhöht sich das heutige Konfliktpotenzial um ein Vielfaches, denn ein Angriff auf eines dieser Länder – wie zum Beispiel der Fünf-Tage-Krieg Russlands im August 2008 gegen Georgien – würde automatisch den NATO-Bündnisfall auslösen.
Konfliktpotenzial liegt im Südwesten der Ukraine und es heißt Transnistrien. Die abgespaltene Teilrepublik ist etwa so groß wie Luxemburg, aber im Gegensatz zu diesem ein 200 Kilometer langer, schmaler Küstenstreifen am Ostufer des Flusses Dnister. Es ging zwischen 1990 und 1992 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion durch Trennung von Moldawien hervor.
Das Land mit seinen rund einer halben Million Einwohnern ist ein bedeutendes Zentrum der Schwerindustrie und steht unter entscheidendem russischen Einfluss; völkerrechtlich wird die Region weiterhin als Teil Moldawiens betrachtet. Bislang anerkennt kein anderer Staat und keine internationale Organisation das Gebiet als souveränen Staat.
Transnistrien ist aber seit 1990 de facto von der Zentralregierung in Chișinău (Moldawien) unabhängig und verfügt unter anderem über eine eigene Regierung, Währung, Verwaltung und Militär. Es ist Gründungsmitglied der Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten. 1200–1400 Soldaten der russischen Streitkräfte sind im Land stationiert.
Sollte Moldawien gegen die Proteste seiner Bewohner der EU oder gar der NATO beitreten, wird es der nächste Konfliktherd in Osteuropa.