Die Krim teilt ihr Gas mit der Ukraine, die sie zuvor vom Strom abgeschnitten hatte
In der ukrainischen Stadt Genitschesk (Oblast Cherson) kehrte die Wärme in die Häuser zurück. In den vergangenen Tagen herrschte dort strenger Frost mit Temperaturen von bis zu 30 Grad minus. Einige Tage lang mussten die Einwohner von Genitschensk ohne Heizung ausharren. Kiew wusste über den Versorgungsengpass Bescheid, unternahm jedoch nichts. Die Hilfe kam von einer ganz anderen Seite: Das Gas kam von der Krim. Die Krim lieferte, auf Anweisung von Russlands Präsident Wladimir Putin, Gas in die ukrainische Stadt Genitschensk.
Die Spezialisten der Krimer Firma "Tschernomorneftegas" haben Kontakt zu den ukrainischen Dispatchern aufgenommen. Nach einer schnellen Sicherheitsprüfung begannen die Lieferungen des rettenden Erdgases an die erfrierende ukrainische Stadt Genitschensk.
Die Technologie sieht es vor, dass das Heizmittel nicht permanent in die Oblast Cherson gelangt, sondern nur dann, wenn der Druck in den Leitungen zu niedrig wird, was meistens zur Abenddämmerung passiert. "Seit Beginn des Tages haben wir 13.076 Kubikmeter Gas in die Ukraine gepumpt", berichtet der Schichtleiter des Dispatcherdienstes der Firma "Tschernomorneftegas", Walentin Blisnjuk.
Die Ukrainerin Xenija Jurtschenko, die mit ihren beiden Kindern in Genitschensk lebt, kann ihre Tränen kaum halten. "Wir hatten drei Tage lang kein Gas. Es war kalt und wir fühlten uns schlimm, weil unsere Regierung uns anscheinend für überflüssig erachtet. Ich danke den Menschen, die sich um uns gesorgt und uns endlich die Wärme wiedergegeben haben", sagt die zweifache Kindesmutter.
Die Einwohner von Genitschensk wärmen sich mit heißem Tee. Die Heizkörper in den Wohnungen sind gerade einmal lauwarm. 25 Grad minus und kälter sind ungewöhnliche Temperaturen für eine bekannte Kurstadt wie Genitschensk. Dies hat dazu geführt, dass diese Temperaturen in manchen Wohnblöcken die Rohre aufgrund des Frostes außer Betrieb gesetzt hatten.
Zu den Stoßzeiten war der Druck in den Gasleitungen auf ein kritisches Minimum gesunken. Mehr als 50 Wohnhochhäuser und dutzende private Häuser blieben ohne Wärme. Insgesamt waren 2.000 Menschen betroffen.
Das Wärmeversorgungssystem von Genitschensk ist lokal, das heißt von dem Gastransportsystem der Ukraine abgeschnitten. Um die Netze zu verbinden, muss man hunderte Kilometer von Versorgungsleitungen legen. Dafür sind im regionalen Haushalt jedoch keine Mittel vorgesehen. Deshalb wandte man sich in Genitschensk an den russischen Nachbarn.
"Im Namen der Bewohner von Genitschensk hat der Bürgermeister dieser Stadt aufgrund der sehr niedrigen Temperaturen, die sich im Laufe der vergangenen Tage hielten, an die russische Seite gewandt und um Gaslieferungen gebeten, damit die Bevölkerung dieser Stadt nicht erfriert. Wladimir Putin nahm diese Bitte zur Kenntnis und erteilte, aus humanitären Erwägungen, die Anweisung, Gasversorgungsmöglichkeiten für die Stadt Genitschensk zu prüfen, damit die Menschen die strengen Frosttemperaturen überleben können", teilte der Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Pesskow, mit.
Innerhalb weniger Stunden war das Problem gelöst. Wie Russlands Vize-Ministerpräsident Dmitri Kosak berichtete, wurde das Gas in der erbetenen Menge an die Oblast Cherson geliefert, die unmittelbar an die russische Teilrepublik Krim angrenzt.
"Eine solche Entscheidung wurde vom Präsidenten unseres Landes in größter Eile gefällt, da es Menschenleid zu vermeiden gilt. Hier handelt es sich um eine humanitäre Situation, die sich, ich wiederhole, in einer außergewöhnlichen Witterungssituation ereignet. Es kann und darf nicht sein, dass man, das menschliche Leid ausnutzend, die Lieferungen von Strom oder Gas an diese oder jene Region unterbindet", sagte Russlands Vize-Premier Dmitri Kosak.
"Am 4. Januar um 22:40 Uhr begannen die ersten Lieferungen. Der Druck in den Gasleitungen von Genitschensk steig um das Zweieinhalbfache an. Dies sollte genügen, um den Bewohnern von Genitschenk ausreichend Wärme zu geben", sagte der Generaldirektor des Krimer Republikanischen Unternhemens "Tschernomorneftegas", Igor Schabanow.
Dass die Menschen aus Genitschensk erfrieren könnten, darüber wusste Kiew Bescheid. Man lehnte allerdings Gaslieferverträge mit der Krim ab. Stattdessen riet man in Kiew den Menschen aus Genitschenk dazu, sich mit Heizkörpern einzudecken. Nach Angaben des ehemaligen Rajonoberhauptes von Genitschensk, der nach dem Putsch in der Ukraine im Februar 2014 auf die Krim fliehen musste, versucht die ukrainische Regierung das Maßstab der Versorgungskatastrophe auch in weiteren Regionen der Oblast Cherson zu vertuschen.
"In Strelkowoje leben 3000 Menschen, alle haben kein Gas. In Stschasliwka, mehr als 3000 Menschen. Und in der Stadt, wo mehr als 24.000 Menschen leben. Ich gehe davon aus, dass 30.000 Menschen im Rajon Genitschensk ohne Gas sind. Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser, dort ist alles zugefroren", sagt Sejtumer Nimetullajew, der von 2006 bis zum Putsch im Februar 2014 der Leiter der Genitschensker Rajonverwaltung war.
Es ist kaum eine Woche her, als wir die Krim-Bewohner fragten, ob sie einen Stromliefervertrag mit der Ukraine abschließen wollen, wenn die Krim in diesem Vertrag als Teil der Ukraine bezeichnet wird. Einen solchen Vertrag lehnten laut einer repräsentativen Umfrage von WZIOM rund 94 Prozent der Krim-Bewohner ab. Sie wollten sich nicht vor der Kiewer Regierung erniedrigen lassen. Ebenfalls waren 93 Prozent der Krim-Bewohner dazu bereit, vorübergehende Versorgungsengpässe beim Strom hinzunehmen, bis die zweite Stromtrasse vom russischen Festland, die frühstens im Mai 2016 stehen wird, in Betrieb genommen wurde.
Nun fragten unsere Reporter in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, ob die Ukrainer damit einverstanden sind, dass russisches Gas an die Stadt Genitschensk, die zur ukrainischen Oblast Cherson gehört, geliefert wird.
"Ich befürworte dies nur. Ich befürworte das Handeln der Regierung und der Staatsführung der Russischen Föderation und die Krim, weil es sich hierbei um einen menschlichen, humanen Schritt handelt, bei denen man auf die Menschen zugeht. Russland und die Ukraine, wir waren immer Brüder und bleiben es auch trotz aller Politik", sagt eine Kiewerin.
"Wenn die einen Menschen den anderen helfen, ist das immer gut, egal welche politischen Ansichten sie haben", sagt ein ukrainisch sprechender Passant in Kiew.
Im November 2015 haben ukrainische Nationalisten und extremistische Krim-Tataren in der Oblast Cherson einen schweren Sabotageakt verübt, der in der Ukraine bis heute ungestraft geblieben ist. Sie haben die Strommasten, die den Strom auf die Krim liefern, gewaltsam zerstört. Außerdem organisierten sie eine Warenblockade der Krim, was die ukrainischen Bauern um Millionenumsätze brachte und auf der Krim kurzzeitig zu Versorgungsengpässen führte. Nun befürwortet diese Krim die Hilfe für die benachbarte ukrainische Oblast und hilft dem erfrierenden, ukrainischen Volk in Genitschensk.
Jeder kann aus dieser Geschichte seine ganz individuellen Rückschlüsse ziehen.