Hitler und Molotow tauschten an diesem zweiten Nachmittag noch eine ganze Reihe von anderen „Bosheiten" über Fragen wie Saloniki, Griechenland und andere aus, und genau so wie Ribbentrop trat auch Hitler vermittelnd für eine japanisch-russische Annäherung ein. Wieder halfen ihm die Engländer, das unbequeme Gespräch mit einem Hinweis auf den Fliegeralarm zu beenden.
Das Bankett, das uns Molotow auf der russischen Botschaft gab, an dem aber nur Ribbentrop und nicht Hitler teilnahm, war in vollem Gange. In den herrlichen Räumen der unverändert gelassenen zaristischen Botschaft Unter den Linden wurden uns, sozusagen unter den Augen Lenins, dessen Büste die Botschaft schmückte, die herrlichsten Erzeugnisse Rußlands, vor allem natürlich Kaviar und Wodka, gereicht. Keine kapitalistische - oder plutokratische - Tafel, wie das Wort in der damaligen Zeit in das Deutsch des Dritten Reiches übersetzt wurde, hätte reicher bestellt sein können. Alles in diesem alten russischen Milieu war sehr geschmackvoll arrangiert. Die Russen erwiesen sich als vollendete Gastgeber, so daß trotz der Sprachschwierigkeiten eine recht angeregte Stimmung herrschte. Molotow brachte einen freundlichen Trinkspruch aus. Gerade wollte ihm Ribbentrop antworten, als sich die Engländer als dritter Gesprächspartner in die deutsch-sowjetische Bankettharmonie einschalteten. Es war Voralarm, und überstürzt verließen die Bankettteilnehmer die Botschaft, da die meisten mit ihren Wagen noch schnell nach Hause fahren wollten.
Ribbentrop nahm Molotow mit in seinen Luftschutzbunker. An dieser Unterhaltung nahm ich nicht mehr teil, da ich bis zum Eintreffen der Engländer kaum das Hotel Adlon erreicht hatte; aber Hilger erzählte mir am nächsten Tage, wie die Besprechung verlaufen war.
Wie ich erwartet hatte, war es im wesentlichen eine Wiederholung der drei anderen Gespräche gewesen. Molotow war noch etwas mehr aus sich herausgegangen und hatte außer an der Türkei und Bulgarien auch noch an Rumänien, Ungarn, Jugoslawien, Griechenland und Polen Interesse über das russische Interesse an der Ostsee gemacht; auf die der deutsche Außenminister und Hitler bei vielen späteren Gesprächen mit anderen Besuchern, an denen ich teilnahm, immer wieder zurückkamen, wenn sie beweisen wollten, daß mit der Sowjetunion eben doch nicht auszukommen gewesen sei.
Molotow hatte in Ribbentrops Luftschutzbunker auch die Zugänge zur Ostsee als etwas bezeichnet, an dem Rußland nicht uninteressiert sei, und hatte dabei das Kattegatt und das Skagerrak erwähnt.
Am nächsten Tage reiste er mit seiner Delegation wieder aus Berlin ab. Seit den Besprechungen mit Chamberlain über die Sudetenkrise hatte ich keinen so scharfen Auseinandersetzungen beigewohnt wie damals in Berlin während der Gespräche zwischen Hitler und Molotow. Meiner Überzeugung nach sind in diesen Tagen die Entscheidungen gefallen, die Hitler zu seinem Angriff auf die Sowjetunion veranlaßt haben.