Zitat von
Bieleboh
E-Mail einer nebulösen Organisation
Über die Hintergründe der Morde an Kalaschnikow und Busina war am Freitag zwar offiziell noch nicht viel bekannt. Die beiden Hauptthesen - Tat ukrainischer Ultranationalisten versus Kommandoaktion prorussischer Dunkelmänner - erscheinen vom Motiv und von der Vorgeschichte her nicht unlogisch. Einerseits sind Ultranationalisten, denen die Tat zuzutrauen wäre, in der Ukraine zwar ausweislich der jüngsten Wahlen eine verschwindend kleine Minderheit, aber sie existieren und manche von ihnen neigen, vom Krieg gegen Russlands Intervention im Osten des Landes radikalisiert, zu Gewalt. Vertreter des alten Regimes haben das immer wieder zu spüren bekommen, etwa wenn sie in den Wahlkämpfen des vergangenen Jahres gepackt und in Mülltonnen geworfen wurden. Andererseits gilt es auch als ausgemacht, dass der russische Geheimdienst in der Ukraine überaus aktiv ist.
Die beiden Möglichkeiten „Nationalisten oder russische Geheimdienstleute“ schließen einander übrigens nicht aus. Der Politologe Wolodymyr Fesenko hat die These ins Spiel gebracht, nachdem ihn nach dem Attentat eine E-Mail einer nebulösen Organisation namens „Ukrainische Aufstandsarmee“ (die Bezeichnung der nationalistischen ukrainischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg) erreicht hatte. Die Absender bezichtigen sich, die Morde verübt zu haben und drohten mit weiteren Verbrechen an „antiukrainischen Personen“. In Bezug auf diese Selbstbezichtigung, deren Authentizität ungeklärt ist, schreibt Fesenko, dass die Mörder, wer immer sie sind, von Moskau gesteuert worden sein könnten, ohne das selbst zu wissen. Ukrainische Russlandhasser würden dann, wenn seine Theorie stimmen sollte, mit russischen Geheimdienstoffizieren unter einer Decke stecken.
Das klingt paradox, entspricht aber einem längst bekannten Topos der ukrainischen Politik: der etwa vom Rechtsextremismus-Experten Anton Schechowzow vertretenen These, dass viele ultranationalistische Organisationen des Landes sogenannte „Vogelscheuchen-Projekte“ seien - also künstlich geschaffene Strukturen, die zur Zeit der autoritären früheren Präsidenten Janukowitsch und Leonid Kutschma vom Regime genährt wurden, um etwa durch „faschistische Aufmärsche“ die proeuropäische Opposition zu diskreditieren. Schechowzow hat beim „Rechten Sektor“, der bekanntesten Organisation dieses Spektrums, auf entsprechende Verbindungen hingewiesen, und dass „faschistische Mörder“ in Kiew durchaus brauchbare „Vogelscheuchen“ für Moskaus Propaganda abgeben könnten, ist nicht ganz unlogisch.[Links nur für registrierte Nutzer]