Von illuminierten Geistern ersonnen, um einem finsteren Mangel abzuhelfen: Die Erfindung des Stövchens war eine kulturelle Großtat. Es reicht eben nicht, Teeblätter mit heißem Wasser zu übergießen und nach angemessener Zeit wieder ziehen zu lassen. Einige Blätter werden vielleicht noch mit dem sprichwörtlich zweiten Aufguß bedacht. Was aber befähigt die Teeblätter, ihr Aroma zu entfalten: der eher kurzfristige Kontakt mit dem heißen Wasser - oder die anschließende Verweildauer auf dem Stövchen, mit einem brennenden Teelicht in seinem Innern? Die Frage ist rhetorisch, der empirische Nachweis längst erbracht. Wer's nicht glauben will, muß nur dem Volk aufs Maul schauen, wenn es sich das von ihm bevorzugte Heißgetränk zum Munde führt. Alle Welt spricht von kaltem Kaffee, nie jedoch von kaltem Tee - aus einem einfachen Grund: Es gibt keinen kalten Tee, zumindest nicht mehr seit der Erfindung des Stövchens.
Der Stövchengebrauch ist die älteste, archäologisch nachweisbare Kulturtechnik. Reste von Terracotta-Stövchen belegen die Kenntnis teespezifischer Thermotechniken schon für die Urzeit. Eckdaten der Weltgeschichte sind mit der Stövchennutzung verbunden:
- Ekel vor dem bis dato nur als Eistee bekannten Getränk veranlaßte Promeus, den Göttern das Feuer zu stehlen. Die Welt nennt ihn seitdem Prometheus.
- Ihren welthistorisch folgenreichen Sieg verdankte die "Boston Tea Party" dem konzentrierten Stövcheneinsatz. Ihm gegenüber erwies sich das britisch-koloniale Wedgwood-Porzellan als hilflos.
- Nicht zu vergessen - die von revolutionärer Begeisterung entflammten Franzosen, deren Antwort auf die Frage, was sie bevorzugten, eindeutig ausfiel: liberté. Sie haben einen Flächenbrand verursacht, an dessen Folgen Antidemokraten bis heute vergebens ihr Mütchen zu kühlen versuchen.
Natürlich hat es Übertreibungen gegeben: Auf die Versuche, das Stövchen - wegen seines Diminutivs - als kleinbürgerlich-kapitalistisch zu denunzieren, und auf Ulbrichts berüchtigtes Motto "Eingießen ohne Aufzugießen" folgte in der DDR eine sozialistisch-paradoxe Kehrtwende mit riesigen Aufgußkombinaten und kollektiv zu nutzenden Thermalstationen. Das Scheitern dieser Gigantomanie hat einen Namen: Willi Stoph.
Aber ändert das etwas an der grundlegenden Bedeutung des Stövchens für unsere Kultur? Denken wir nur an die planvolle Zweckentfremdung dieses Geräts für andere Bedürfnisse des Lebensalltags. Aus dem Stövchen entwickelte sich das Rad, das die Menschheit so entschieden voranbrachte. Ohne Stövchen auch keine Feuerstelle und kein Heißluftballon. Mit der in seinem Innersten brennenden kleinen Kerze, für dessen scheues Licht sich im Lauf der Zeiten schon eine sintflutgroße Teemenge erwärmen konnte, wird das Stövchen auch den vom zweiten thermodynamischen Hauptsatz prognostizierten Kältetod unseres Universums zu konterkarieren wissen.