Zitat von
Bunbury
Zunächst einmal danke ich Dir, lieber Bolle, für Dein Bemühen um einen unaufgeregten, von Christen-Bashing freien Diskussionsverlauf. Vielen Dank auch für die Frage selbst, in der Du von vornherein zwischen christlicher Individualethik und der offiziellen Position der Kirchen unterscheidest! Das ist sehr angenehm.
Es gibt keine einfache Antwort auf Deine Frage(n). Das Abendland ist schon seit drei Jahrhunderten nicht mehr christlich, sondern aufklärerisch-humanistisch geprägt, wobei im Humanismus natürlich ein christliches Erbe steckt. Inzwischen nimmt in der westlichen, säkular lebenden Gesellschaft auch dieser humanistische Anteil ab - zugunsten einer vorwiegend esoterischen "neuheidnischen" Religiosität (auf der Grundlage eines immer noch aus der Aufklärung stammenden menschlichen Autonomiebewußtseins). Allerdings wirkt das christliche Erbe bis zum heutigen Tage nach, und genau darauf rekurriert wohl jener Teil der Pegida-Anhänger, der das Christentum als europäisches Traditionsgut betrachtet, das es zu erhalten gilt.
Bei aller Wertschätzung: Zwischen Liebhabern eines solchen Traditions-Christentums und gläubigen Christen besteht ein großer Unterschied. Als Christ ist man ein Fremdling hier auf Erden - wie Paulus sagt: in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt. Das Verhältnis eines Christen zur weltlichen Obrigkeit ist entsprechend diffizil. Alle Obrigkeit ist zwar von Gott eingesetzt; aber daraus folgt nicht, daß ein Christ jede obrigkeitliche Anordnung befolgen kann. Das christliche Widerstandsrecht ist allein religiös motiviert; es macht sich bemerkbar, wenn eine obrigkeitliche Anordnung den Christen individuell zwingt, etwas zu tun, das mit seinem Glauben kollidiert. Das ist in unserer permissiven Gesellschaft nicht viel, weil man ja alles bleiben lassen kann, was andere tun - andererseits ist es sehr viel (z.B. Kindstötung im Mutterleib, Entwertung der Familie, Durchsexualisierung aller Lebensbereiche), was einem gläubigen Christen gegen die Hutschnur geht. Man kann als Christ dagegen protestieren, in Wort und Bild, auch auf Demonstrationszügen, wobei diese Art von Protest von der repressiven Toleranz des Staates bekanntlich problemlos geschluckt wird. Man ist keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Als Christ hat man für bestimmte Entscheidungen höchtens individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen (z.B. berufliches Fortkommen).
Gegenüber dem Fremden gastfrei zu sein, ist eine Christenpflicht. Die Verquickung von Christentum und Nationalismus ist ideengeschichtlich so jung wie der Nationalismus selbst, und sie hat das Christentum in arge Bedrägnis gebracht. Das Problem beginnt schon in der Spätantike: Daß sich christlich nennende Herrscher untereinander bekriegen und ihren Untertanen abverlangen, sich gegenseitig zu massakrieren, ist sowenig Gottes Wille wie überhaupt jede Art von Blutvergießen - daß es dennoch geschieht, illustriert sehr genau das, was in der Bibel als Erbsünde bezeichnet wird. Es ist eine Grundsituation des Menschen in der gefallenen Welt.
Aus alledem folgt keine für das Christentum verbindliche Ethik. Zwischen dem rigorosen Pazifismus der Quäker und dem "Gott mit uns"-Ruf eines christlichen Kombattanten ist alles möglich. Den Kirchen in Deutschland steckt noch der Schrecken in den Gliedern, daß sie sich unter Wilhelm II. wie unter Hitler an den Zeitgeist assimiliert haben (die evangelischen Kirchen stärker als die katholische, deren Rombindung wenigstens teilweise noch als Gegengift gewirkt hat), und in einem irrwitzigen Versuch, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, suchen die Kirchen jetzt Zuflucht unter dem Dach des säkularen Antifaschismus, d.h. sie assimilieren sich wieder an den Zeitgeist. Ihre ureigenste Aufgabe, das Evangelium zu verkünden: die gute Nachricht von der Versöhnung des Menschen mit Gott durch die Selbsthingabe Gottes am Kreuz - das unterschlagen sie mehr und mehr.
Ich kann nicht mehr tun, als meine Ratlosigkeit einzugestehen. Wie an anderer Stelle schon einmal - sehr unchristlich - formuliert: Um mich hier in Deutschland unwohl zu fühlen, dafür brauche ich keine Ausländer. Dafür reicht mir ein Großteil meiner "biodeutschen" Landsleute. Warum? Weil auch letztere fast alles, wovon sie reden: deutsche Sprache und Kultur, mit Füßen treten. Sie kennen kaum noch etwas von dieser Kultur, und ihre Art, sich zu äußern, verrät wenig Liebe zu ihrer Muttersprache. Aber dieses Unwohlsein - muß man hinzufügen - steht mir als Christ eigentlich nicht zu. Etwas, das ich mir für die nächste Beichte vormerken kann... Als Christ achte ich jeden Pegida-Demonstrationsteilnehmer genauso wie einen gewaltfrei agierenden Antifaschisten.