INMESOL / 01.092013 / Fernando Liborio Soto Sáez
Schiefergas und die neostrategie der USA (zweiter Teil)
DIE BEDEUTUNG DES NEUEN GEOSTRATEGISCHEN SZENARIUMS: DER PAZIFIK
Die USA drehten der Pazifik-Region nach dem Zweiten Weltkrieg den Rücken zu und lenkten ihre strategische Aufmerksamkeit auf Europa, dem Szenarium möglicher Feindlichkeiten in der Zukunft durch eine immer stärker werdende Sowjetunion. Der Kalte Krieg begann. In dieser Zeit brachte die politische Neuordnung ein Klima „ungewisser Stabilität”, in der nur der israelische Konflikt aufgrund seiner Auswirkung auf den Erdölmarkt eine gewisse Relevanz erhalten sollte.
Währenddessen löste Deng Xiaoping seinen Vorgänger Mao Zedong ab und nun, im Jahr 1978, begann auch China damit, sich der Welt zu öffnen, so wie es Japan bereits 1854 getan hatte. Fast fünfunddreißig Jahre später legte das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten im Mai 2012 dem Kongress den Jahresbeicht über die neusten Entwicklungen der Militär- und Sicherheitsstrategien der Volksrepublik China vor. Die offizielle Reaktion Chinas – übermittelt durch das Außenministerium – war, dass der Bericht über die Modernisierung der chinesischen Verteidigung sprach und dabei eine Theorie der chinesischen Gefahr aufstellte, obwohl die Modernisierung doch nur als normal und gerechtfertigt angesehen werden müsste1.
Schließlich sind der Pazifik und der Indische Ozean auch für China von großer Bedeutung, da die Transportkosten auf dem Seeweg nur 3% von dem ausmachen, was ein Transport auf dem Luftweg beansprucht, aber auch weil 50% des weltweiten Frachtguts über das Chinesische Meer transportiert wird, weil die Verbindung zwischen dem Chinesischen Meer und dem Indischen Ozean die Straße von Malakka ist (eine 800 km lange und an der engsten Stelle 2,8 km breite Meeresstraße mit einem hohen Vorkommen von Piraterie), und weil der Transport auf dem Seeweg 95% des gesamten Welthandels ausmacht (2/3 davon fallen auf Erdöl- und Mineralientransport und 1/5 auf Containerschiffe). Außerdem machen die Exporte Chinas 25% seines BIP aus, sodass die Entwicklung seiner Handelsflotte erstrebenswert ist. Aus diesen Gründen liegt auf der Hand, dass China Pläne für die Entwicklung seiner Industrie ins Auge fasst, aber auch seiner Marktpolitik, und dass der Staat das Wachstum seiner Fracht- und Kriegsschiffe anstrebt.
Mit diesem Ziel hat China seinen strategischen Schiffsflottenplan weiterentwickelt und von der Verteidigung seiner Küsten auf die Meere verlagert. Dazu entwickelt die Volksrepublik derzeit eine Strategie, die auf die Expansion und den Schutz ihrer Seerouten setzt, die gefährliche Gewässer durchqueren. China muss die Bewachung der so genannten Global commons2 garantieren – angefangen beim Seeraum. Sein erstes Ziel ist die defensive Kontrolle der See innerhalb der so genannten ersten Inselkette, einem doppelten Bogen, der von den Inseln des japanisches Archipels bis zu den Philippinen reicht3 und dessen Schlüsselgebiet Taiwan ist, das bei Chinas ein hohes strategisches Interesse weckt.
Um diese Kontrolle zu erhalten, hat die Volksrepublik bereits ihren Perlenzopf aufgestellt, nämlich eine Reihe von Installationen, die sich in den Gebieten der anliegenden Staaten in Richtung des Indischen Ozeans befinden: Gwadar in Pakistan, Hambantota in Sri Lanka, Chittagong in Bangladesch und Sittwe in Myanmar. Bei einer zweiten strategischen Bemühung wird China versuchen, Aktions- und Bewegungsfreiheit im Pazifischen Ozean zu erlangen und dazu sein Ziel auf die Gewässer westlich des Inselbogens namens zweite Inselkette4 richten (vom japanischen Archipel bis nach Neuguinea, dazu gehören die Marianeninseln und die Insel Guam. (Abb. 4).
Um diese Strategie zu implementieren, ist die Entwicklung von Schifffahrtskapazitäten notwendig, die nicht kurzfristig geschaffen werden können, da nicht nur Mittel und Doktrinen fehlen, sondern auch eine Seefahrtstradition, an der es mangelt. Deshalb ist die jüngste Nachricht über die Inbetriebnahme des chinesischen Flugzeugträgers Liaoning5 weniger eine Offenbarung der Seemacht als eine Absichtserklärung, denn man muss die Herkunft des Schiffes und den langen Weg berücksichtigen, den es noch zurückzulegen hat, bevor sich die Volksrepublik China beispielsweise der ihr am nächsten gelegenen Kriegsflotte, nämlich der japanischen, stellen kann, denn diese gilt als die zweitmächtigste der Welt.
DIE ANDEREN KOLLATERALEN FAKTOREN:
DER ISLAMISTISCHE TERRORISMUS NACH DEM ABZUG DER ISAF AUS AFGHANISTAN; DIE ROLLE DER EUROPÄISCHEN UNION, UND DIE NEUE, SICH AUS DEM ABZUG ERGEBENDE SITUATION DER NATO.
Das Ende der ISAF-Mission in Afghanistan erlaubt eine Neuorientierung der strategischen Bemühungen der NATO hin zu anderen Gebieten6. Aber der Abzug der ISAF kann bedeuten, dass die Dschihad zu einem häuslichen Problem für Afghanistan wird, denn zahlreiche auf der Welt verstreute Dschihadisten begeben sich auf den Heimweg in ihre Ursprungsländer und haben ein bedeutendes Gepäck dabei: Prestige und Kampferfahrung. Auf diese Weise hat die aus dem Arabischen Frühling resultierende Instabilität den Auftrieb von Dschihadisten-Gruppen mit sich gebracht und zu zwei Konflikten geführt: Syrien und Ägypten. Sie bedrohen sowohl den Nahen Osten als auch den Norden Afrikas. Außerdem warnt uns die jüngste Krise in Mali vor der Instabilität in der Sahel-Maghreb-Zone (Abb. 5), die eine direkte Bedrohung für den geografisch nächsten Westen, Europa, darstellt.
Obwohl sich Europa seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und des Schengen-Raums auf ein wirtschaftliches und territoriales Ganzes hinbewegt hat, also ein Europa ohne Grenzen, in dem allerdings das Konzept der Globalisierung die westliche Welt schädigen kann7, hat sich der Alte Kontinent ebenfalls bei seiner Planung der Verteidigungsstrategie weiterentwickelt und sich – seit den Petersberg-Aufgaben8bis hin zur Revision der Europäischen Sicherheitsstrategie im Jahr 2008 – auf neue Bedrohungen eingestellt.
Trotzdem zielen zwei Gründe auf die Ausarbeitung einer neuen Strategie hin: fehlende Präzision der derzeitigen Strategie und das Strategiekonzept der NATO 2010, das die Bedeutung der Europäischen Union als Partner der Allianz hervorhebt9. Andererseits haben die USA die Umstrukturierung der neuen NATO angeführt, indem sie sich auf den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags stützten, der die Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung behandelt10.
Das Unterfangen ist keine Kleinigkeit: eine in drei Machtblöcke geteilte Allianz (der angelsächsische Block, der Mittelmeerblock und der Warschauer Pakt11) und eine Europäische Union, deren gemeinsame Abwehr noch in der Entwicklung steckt („während die Europäische Union ein wirtschaftlich-politisches Ziel verfolgt, ist die NATO eine politisch-militärische Gemeinschaft”12).
Trotz der Anstrengungen, z.B. der Unterzeichnung des Abkommens zwischen der NATO und der EU, der Berlin-Plus-Vereinbarung (Dezember 2002), erschien im Mai 2010 der Bericht NATO 2020: Assumed security; Dynamic engagement. Es enthält Analysen und Empfehlungen zu einem neuen Strategiekonzept für die NATO und bestätigt insbesondere, dass die NATO „Expeditionsfähigkeiten für militärische Operationen außerhalb des Vertragsgebietes einsetzen und unterhalten” muss13.
Für die Vereinigten Staaten, die die Hauptkomponente der Allianz darstellen, ist die Unterstützung Europas fundamental, und zwar sowohl was die neue NATO-Strategie angeht, als auch was die Kontrolle über den Dschihad-Terror betrifft.
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