INMESOL / 01.09.2013 / Fernando Liborio Soto Sáez
Wir publizieren den ersten Teil des Meinungsartikels Schiefergas und die Neostrategie der USA, von Fernando Liborio Soto, der auf der Webseite des spanischen Instituts für Strategiestudien (Instituto Español de Estudios Estratégicos, IEEE) des spanischen Verteidigungsministeriums veröffentlich wurde.
Wir bedanken uns an dieser Stelle beim IEEE für dessen Mithilfe und ganz besonders bei seinem stellvertretenden Direktor, dem Seekapitän Ignacio García Sánchez für seine Unterstützung bei der Publikation.
Schiefergas und die Neostrategie der USA
RESÜMEE:
Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die geostrategische Politik der USA auf Europa und drehte der Pazifikachse den Rücken zu. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks versuchten die USA, ihre Strategie erneut auf den Pazifik zu richten. Dort tritt gerade ein potenziell mächtiger Konkurrent auf den Plan: die Volksrepublik China. Um das zu verhindern, müssen die Vereinigten Staaten zwei Hindernisse überwinden: die Entstehung eines Dschihad-Terrorismus ohne Grenzen und die Abhängigkeit vom arabischen Erdöl. Aber die Ermüdung von Al-Qaeda und der Abzug der ISAF aus Afghanistan führen zusammen mit dem arabischen Frühling zu einer Wende im Szenarium des Dschihad-Terrorismus, der nunmehr auf die Maghreb-Sahel-Zone hinzielt. Da Europa der am nächsten stehende Westen ist, könnten sich die USA von diesem Hindernis befreien, obwohl dazu einige Aspekte der NATO neu definiert werden müssten. Andererseits könnten die Konklusionen des Berichts der Internationalen Energie-Agentur (IEA) die Abhängigkeit vom arabischen Öl verringern und die Interessen der Vereinigten Staaten in Richtung Pazifik lenken. Wenn das Fazit des Energieberichts bestätigt würde, könnten die möglichen Reperkussionen für den Mittleren Orient (mit Israel als wichtigstem Verbündeten der Amerikaner) die Neostrategie der USA behindern.
EINLEITUNG
Erdöl war im Laufe der Geschichte nicht nur der Motor der Evolution und des Fortschritts, sondern spielte eine zentrale Rolle bei den großen Konflikten des 20. Jahrhunderts. Heute hat das schwarze Gold nichts von seiner Attraktivität eingebüßt und trotz einiger Bedenken bezüglich der Kontinuität der weltweiten Produktion (obwohl die Flamme des Rohöls noch lange nicht ausgebrannt ist), hat die IEA den Zapfhahn erneut geöffnet und den USA einen neuen Impuls in seiner Fokussierung auf den Pazifik gegeben. Die Möglichkeit, dass die USA wieder die Kontrolle über den Markt der fossilen Brennstoffe übernehmen wird, trägt zweifellos dazu bei, dass die Vereinigten Staaten eine neue Strategie im Pazifik erarbeiten, wo die Volksrepublik China als aufblühende Wirtschaftsmacht weiter vordringt und zu einem echten Konkurrenten Nordamerikas werden könnte.
Was aber eine neue Ordnung der Geoökonomie bedeuten würde, hätte schwerwiegende Auswirkungen auf andere Gebiete des Planeten, zum Beispiel auf einige Regionen des Nahen Ostens, deren Stabilität u.a. von der unveränderten Rohöl-Marktquote abhängt. Wenn sich diese Quotenverteilung bedeutend verändert, könnte das Fortbestehen der Gesellschaften dieser Länder durch das Vordringen des Islamismus beeinträchtigt werden. Israel würde am stärksten davon betroffen werden. Die Ausbreitung dieser Instabilität in der nordafrikanischen Sahelzone, an der Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien kommerzielle Interessen haben, hätte außerdem enorme Folgen für die Europäische Union. Nach dem Verschwinden des sowjetischen Blocks und in einer vernetzten Welt, in der die Ländergrenzen zu verschwinden scheinen, bedeutet die Wendung der USA zum Pazifik für Europa, dass sie die Verantwortung für die Kontrolle über den expandierenden Dschihadismus in Nordafrika übernehmen muss, denn dort sind für einige Protagonisten des islamischen Terrorismus die Grenzen fließend.
Deshalb müssen die USA bei ihrer strategischen Wende hin zum Pazifik nicht nur das Potenzial des Schiefergases oder die Bedeutung des neuen geostrategischen Szenariums, der Pazifik-Region, berücksichtigen, sondern auch die kollateralen Faktoren. Zu diesen gehören der Kampf gegen den islamischen Terrorismus nach dem Rückzug der ISAF in Afghanistan und der sich daraus neu ergebenden Situation der NATO; die Rolle der EU; die Beziehung zwischen Israel * und der nordamerikanischen Administration und schließlich die Fehler der Vergangenheit.
VOM ERDÖL ZUM SCHIEFERGAS: GESCHICHTE EINES STRATEGISCHEN GUTS
Seit der ersten Erdölquelle Pennsylvanias (1861) bis zum heutigen Fracking hat die Geschichte der Brennstoffgewinnung zahlreiche Etappen durchlaufen, in denen amerikanische Unternehmen immer die Vormachtstellung hatten [1]. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren die USA allerdings ihren Einfluss auf das Rohöl des Mittleren Orients und in den 70er Jahren begann die arabische Domäne über den Ölmarkt.
Aber diese Situation kann sich durch den jüngsten Bericht der IEA, den „World Energy Outlook 2012“ [2] ändern. Darin wird prognostiziert, dass sich die „USA 2017 in den größten Erdöl-Produzenten verwandeln wird (und bis Mitte der 2020er Jahre Saudi-Arabien überholen wird) und dass sie die Auswirkung der neuen Energie-Effizienz-Maßnahmen im Transportbereich spüren werden”. Weiterhin ist die Rede davon, dass Nordamerika um 2030 „Netto-Erdöl-Produzent” sein könnte. Daneben erwähnt der Bericht, dass der Anstieg der Gesamtproduktion von Erdöl zu 100% auf nicht konventionelles Erdöl – Shale gas oder Schiefergas – zurückzuführen sein wird. (Abb. 1 [3]).
Schiefergas, dessen Energiepotenzial seit mehreren Jahrzehnten bekannt ist, dessen Förderung aber erst seit knapp zehn Jahren ernsthaft in Erwägung gezogen wird, ist ein Brennstoff, der „aufgelöst“ in über 3000 Metern tief liegendem Schiefergestein vorkommt. Der dort herrschende Druck führte zur Dispersion des Gases, das in kleinen Blasen im Gestein eingeschlossen ist. Um das Gas zu fördern, muss es zuerst freigesetzt werden und in Depots gesammelt werden. Dies geschieht durch Aufbrechen des Gesteins. Die verwendete Technik nennt sich Hydraulic Fracturing oder Fracking, die mit der Horizontalperforierung kombiniert wird. Anfänglich als sehr kostenaufwendig angesehen, gilt sie dank neuester Techniken heute als wirtschaftlich haltbar. Beim Fracking wird Wasser unter Hochdruck in 3000 bis 5000 tiefes Gestein eingespritzt, was zum Aufbrechen des Gesteins und zur Freisetzung des Gases führt. (Abb. 2).
Der Grund für den Widerstand bei einigen Teilen der Bevölkerung ist vor allem ökologischer Art, denn sie befürchten eine Verschmutzung des Grundwassers, einen hohen Wasserkonsum und ein erhöhtes seismisches Risiko. Andere Quellen, zum Beispiel die Spanische Akademie für Ingenieurwesen (Real Academia española de Ingeniería) argumentieren dagegen, dass „ohne Hydrofracking schätzungsweise 80% der Produktion von unkonventionellem Gas nicht existieren würde” [4].
Trotz der Kontroverse um seine Risiken kann das Fracking der Rohölproduktion einen neuen Impuls geben. Dem erwähnten Bericht der IEA zufolge kann es unter Berücksichtigung der in den USA und Kanada bestehenden Vorkommen (beide sind Mitgliedsländer der OECD und Teilhaber eins der größten Schiefergasvorkommen der Welt) zur Verwirklichung von Nixons Traum [5] beitragen, nämlich der wirtschaftlichen Selbstversorgung der Vereinigten Staaten. Daniel Yergin, Autor von „Geschichte des Erdöls”, bestätigt, dass heute 30% der nordamerikanischen Gasproduktion aus Schiefergas stammt und dass der Export in zwei Jahren möglich sein wird. Die Ölgesellschaft BP schätzt, dass die USA um 2030 wirtschaftliche Selbstversorger sein könnten.
Für Faith Birol, Chefökonom der IEA stehen die „Fundamente des weltweiten Energiesystems an einem Wendepunkt”.
Und obwohl die Consultingfirma Deloitte in ihrer Studie „Oil and Gas Reality 2012” andererseits berichtet, dass die Produktion von Schiefergas weit davon entfernt ist, eine große Rolle zu spielen, setzen die Ölgesellschaften, die diese Gasvorkommen erforschen, auf eine andere Münze: Sie verweisen auf Erdöldepots in Ländern der OECD, deren politische Stabilität mehr Investoren anzieht als Länder des Mittleren Orients und des Norden Afrikas, wo wachsende interne Unsicherheit herrscht. Eine Verringerung der Investitionen von westlicher Seite würde damit eine potenzielle sozioökonomische Instabilität noch verstärken.
Trotzdem: Wenn die Tatsache, dass die USA eins der größten Schiefergasvorkommen der Welt mitbesitzen (Abb. 3) [6], ihrer Neostrategie einen Impuls geben wird, wird andererseits die Volksrepublik China versuchen, ihren arabischen Rohölmarkt auf dem Seeweg beizubehalten. Dazu müssten beide Länder ihre Bewegungsfreiheit im neuen Szenarium, der Pazifik-Region, erweitern.
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