Dass es die eine Art von Muslimen in Deutschland nicht gibt, wurde auch in dieser zweiwelligen telefonischen Befragung deutlich. Die Mehrzahl der befragten deutschen und nichtdeutschen Muslime ist bestrebt, sich zu integrieren, d.h. sie wünschen sich, ihre traditionelle Herkunftskultur zu bewahren und gleichzeitig die deutsche Mehrheitskultur zu übernehmen. Einstellungen zur Integration (in diesem Sinne) sind bei den Muslimen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Vergleich zu den nichtdeutschen Muslimen am stärksten ausgeprägt. Gruppierungsverfahren zeigen, dass ca. 78 % der deutschen Muslime Integration mehr oder weniger befürworten und 22 % eher eine zurückhaltende, die eigene Herkunftskultur betonende Haltung einnehmen. In der Gruppe der nichtdeutschen Muslime finden sich ca. 52 %, die Integration mehr oder weniger befürworten, aber auch 48% mit starken Separationsneigungen.
Die befragten Muslime äußern im Durchschnitt (im Vergleich zu den befragten deutschen Nichtmuslimen) stärkere Vorurteile gegenüber dem Westen und gegenüber Juden, stärker ausgeprägte religiös-fundamentalistische Einstellungen, stark negative Emotionen gegenüber dem Westen, eine größere Distanz zur Demokratie und eine höhere Akzeptanz ideologisch fundierter „Gewalt als Mittel zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch den Westen“. Sowohl in der Gruppe der deutschen Muslime als auch in der der nichtdeutschen Muslime lässt sich eine Subgruppe identifizieren, die als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ bezeichnet werden kann. Diese Subgruppe umfasst in der Teilstichprobe der deutschen Muslime ca. 15 % und in der Gruppe der nichtdeutschen Muslime ca. 24 %. Mögliche Erklärungen bzw. Ursachen für diese potenziellen Radikalisierungstendenzen liegen vor allem im Ausmaß der „traditionellen Religiosität“, der „autoritären Einstellungen“, der Orientierung an „Macht“ und „Erfolg“ sowie der Wahrnehmung bzw. dem Erleben von „gruppenbezogener Diskriminierung“. Eine Präferenz für türkische Fernsehsender (um sich politisch zu informieren) verstärkt manche dieser negativen Einstellungen zusätzlich. Ein weiterer Forschungsschritt konzentrierte sich auf die Analyse von Internetforen und deren Einfluss auf Integrations- und/oder Radikalisierungsprozesse. Dazu wurden insgesamt 6.725 Postings aus hauptsächlich von jungen Muslimen genutzten Internetforen (z.B.
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Auch diese Analysen zeigen, dass es innerhalb der Muslime in Deutschland viele verschiedene Milieus und Gruppierungen gibt, die vor unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen stehen. Dass sich eine große Zahl von Muslimen aufgrund des negativen Bildes „der Deutschen“ vom Islam und der als einseitig negativ empfundenen Medienberichterstattung über den Islam ausgegrenzt sieht und als Gruppe diskriminiert fühlt, konnte auch in diesem Projektteil bestätigt werden. Diese Menschen, die sich in die deutsche Gesellschaft integrieren wollen, stehen vor der Herausforderung, trotz dieser wahrgenommenen ablehnenden Haltung der Deutschen ein positives soziales Selbstverständnis z. B. als "Deutschtürken" oder „deutsche Muslime“ zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. „Bindestrich-Identitäten“ (Hyphenated Identities), also zusammengesetzte Identitäten, nennen dies die Forscher. Für die eher kleine Gruppe streng religiöser und fundamentalistisch religiöser Muslime stellt sich indes dieses Problem nicht, da für diese Gruppe nur die eigene religiöse Identität als „wahre“ Muslime zählt. Durch die strikte Befolgung der religiösen Vorschriften grenzen sich diese Muslime einerseits bewusst von der deutschen Mehrheitsgesellschaft ab. Andererseits lehnen die meisten fundamentalistisch religiösen Muslime aber auch religiös motivierte Gewalt entschieden ab und wollen mit den „wahnsinnigen“ und „kriminellen“ Terroristen nichts zu tun haben.
Da auch die „klassischen“ Verbreitungsmedien, wie das Fernsehen, nach wie vor die Integrationsbereitschaft junger Muslime im Positiven wie im Negativen zu beeinflussen vermögen, wurde in einem letzten Forschungsschritt die Darstellung von Muslimen und Nichtmuslimen in der deutschen, türkischen und arabischen Berichterstattung ausgewählter Fernsehsender zwischen Anfang 2009 und Ende 2010 untersucht. Dafür wurden insgesamt rund 4.160 Nachrichtensendungen (von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, den türkischen Sendern TRT Türk und Kanal D sowie den arabischen Sendern Al Jazeera und Al Arabiya) mit einer Spielzeit von knapp 17.000 Stunden aufgezeichnet und davon 692 Beiträge gezielt analysiert.
Die Auswertung dieser Fernsehnachrichten machte deutlich, dass und wie Integrations- und Radikalisierungsprozesse durch mediale Einflüsse gefördert oder verhindert werden können. In den untersuchten Beiträgen sticht insbesondere der türkische Privatsender Kanal D durch eine sehr emotionale Berichterstattung hervor. Dies würde erklären, warum vor allem die Präferenzen für türkische Sender (vor allem Kanal D/Euro D) einen kausalen Einfluss auf die Akzeptanz ideologisch fundierter Gruppengewalt der nichtdeutschen Muslime auszuüben scheinen. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender spielen im Kontext der Integrationsdebatten hingegen eine durchaus positive Rolle, was aber von den Muslimen (in den Familieninterviews und Gruppendiskussionen) in dieser Weise offenbar nicht genügend wahrgenommen wird.