Einer
Agentenorganisation im engeren Sinn begegnen wir zum ersten Mal im England Oliver Cromwells (1599 - 1658), dessen Postminister John Thurloe ein nahezu lückenloses Zensursystem aufbaute. "Er war auch der Erste, der Agenten gezielt als Maulwürfe im gegnerischen Lager einsetzte, die für längere Zeit an einem Ort tätig sein sollten", sagt der britische Historiker Stephen Budiansky. Thurloe selbst beschrieb die Aufgaben seines Dienstes so:
"Beschäftigung von Agenten, die über alles berichten, was sich in der Welt begibt. Ziel ist es, die eigenen Absichten zu verbergen, aber möglichst viel über die der anderen zu erfahren … Was der Geheimhaltung überdies noch dient, ist die Tatsache, dass stets nur eine kleine Anzahl von Personen Kenntnis von den Absichten der Regierung hat. Um herauszufinden, was bei den anderen Mächten vor sich geht, bedienen wir uns nicht der Gesandten, sondern eigener Spione, die weniger beachtet werden. Dafür werden kluge, ihrer Stellung nach aber unbedeutende Männer verwendet, die niemandem auffallen."
Auf diese Weise wusste Thurloe, was in Frankreich, Spanien, Deutschland und Venedig politisch vor sich ging.
Erstmals ließen sich auch Frauen für geheime Aufträge anwerben
An die Spitze seines Geheimdienstes stellte der britische Postminister die beiden Juden Antonio Fernandez Carvajal und Simon von Careeres. Durch ihre weltweiten Handelsbeziehungen unterhielten sie Kontakte, die dem Staat zugutekamen. Anlaufstationen waren die Handelsniederlassungen und Konsulate. Thurloes Geheimdienst verschlang jährlich 7000 Pfund - ein teures Projekt, das den Staatshaushalt der englischen Krone derart belastete, dass Karl II. 1660 den Etat kürzte und die Agententätigkeit auf Spitzeldienste im eigenen Land beschränkte.
Französische Quellen aus dieser Zeit berichten erstmals auch von Frauen, die sich für geheime Aufträge anwerben ließen. Etwa die Bretonin Louise de Querouaille, deren vielseitigen Beziehungen am englischen Königshof Karls II. es Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. zu verdanken hatte, dass das Inselreich eine Allianz mit der Bourbonendynastie einging.
Wie aus Aufzeichnungen vom Hof in Versailles hervorgeht, hat de Querouaille das Bündnis mit einer Mischung aus Attraktivität, Sex und diplomatischem Geschick zu Stande gebracht.
Auch der italienische Schriftsteller und Lebemann Giacomo Casanova (1725 - 1798) ließ sich unter dem Decknamen Chevalier de Seingalt für Agentendienste anwerben. Mit ihm betrat laut Genovefa Etienne, Vizepräsidentin des European Strategic Intelligence and Security Center (ESISC) in Brüssel, ein neuer Typus des Agenten die historische Bühne: weltgewandt, von hoher Bildung, abenteuerlustig. Sein erster Auftrag im Dienst Ludwigs XV.: die Observation von zehn auf der Reede vor Dünkirchen liegenden britischen Kriegsschiffen. In seinen Memoiren berichtet Casanova davon, wie er sich, als Matrose verkleidet, Zugang zu den Schiffen verschaffte und einen Kapitän ausfindig machte, der ihm ahnungslos Auskunft über Bewaffnung, Personal und Proviant gab.
Schnüffelsysteme von Ludwig bis Metternich
Ein halbes Jahrhundert später verdankte ein anderer Edelmann seine Agentenlaufbahn einer Verkleidung. Im Winter 1755 erlaubte sich der Chevalier d'Éon den Scherz, als Dame verkleidet den Maskenball am Hof von Versailles zu besuchen, mit dem Erfolg, dass der lüsterne König sich für die "schöne Unbekannte" interessierte. Als Ludwig XV. über deren wahres Geschlecht aufgeklärt wurde, kam ihm der Einfall, die Travestie diplomatisch zu nutzen. Er sandte den Chevalier als Mademoiselle Lia de Beaumont an den Hof der Zarin Elisabeth von Russland, um über den Stand der russisch-englischen Verhandlungen und über die russische Heeresstärke nach Versailles zu berichten. Tatsächlich fand die Zarin Gefallen an "Mademoiselle de Beaumont" und ernannte "sie" zur "französischen Vorleserin". Glaubt man Lucien Bély von der Université Paris IV, gewann der "Mann in Frauenkleidern" so viel Einfluss am Zarenhof, dass er zum "Umsturz der Bündnisse" beitrug. Woraufhin Russland eine Koalition mit Frankreich gegen Friedrich II. von Preußen einging, die schließlich zum Siebenjährigen Krieg führte. Nach seiner Karriere als Mademoiselle Lia bemächtigte sich der Chevalier d'Éon als Dragonerrittmeister bei den Vorverhandlungen zum Frieden von Paris 1763 in London englischer Geheimakten.
Gleich zwei Herren diente der französische Kardinal und Außenminister Ludwigs XIV., Guillaume Dubois (1656 - 1723). Vor seiner Zeit als Außenminister hatte er als französischer Gesandter in London gearbeitet und dort ein ausgedehntes Agentennetz aufgebaut. Dieses erlaubte ihm, die Rolle des Doppelagenten sowohl für den britischen als auch für den französischen Hof zu spielen. Hinter der Kirche von Charing Cross in London, so erzählt man sich noch heute, empfing Dubois regelmäßig seine Mittelsmänner. Legendär waren auch seine Auftritte bei Hof. Im Palast von Whitehall, seit 1530 Hauptresidenz der britischen Monarchen in London, soll er sich in Nebenräumen versteckt haben, um geheime Verhandlungen zwischen Vertretern der Krone und auswärtigen Partnern zu belauschen.
Mit Fouché begann die moderne Polizeiarbeit im Sinn einer Geheimpolizei
Weniger Dunkelmann als Geheimdienstkoordinator war der österreichische Staatskanzler Wenzel Anton Graf Kaunitz (1711 - 1794), dem es unter der Habsburger-Kaiserin Maria Theresia gelang, das gesamte Postwesen für seine Zwecke einzuspannen. An allen Posthaltereien instruierte er Mitarbeiter, vornehmlich die Korrespondenz ausländischer Diplomaten auszukundschaften. Die Spitzel kopierten heimlich verdächtige Briefe und übermittelten die Abschriften dem Wiener Hof. Doch das Unterfangen flog auf: Bei der Überprüfung der Post eines englischen Gesandten namens Keith hatte einer der Schnüffler versehentlich die Kopie mit in den Umschlag des Originals gesteckt. Als der Brite protestierte, kommentierte Kaunitz die geheimdienstliche Panne lakonisch: "Was wollens, lieber Keith? Die Leit' sind halt noch ung'schickt. Es wird schon werden."
Die Ära Napoleon brachte einige brillante Köpfe hervor, die ihr konspiratives Handwerk hervorragend verstanden. Hierzu zählte etwa Joseph Fouché (1759 - 1820). Als Polizeiminister Napoleons widmete er sich in erster Linie der inneren Opposition gegen das Kaiserreich. "Mit diesem Staatsschützer", so Wolfgang Krieger von der Universität Marburg, "begann die moderne Polizeiarbeit im Sinn einer Geheimpolizei." Erstmals wurden auffällige Personen in Personalbögen, so genannten fiches, erfasst, die als Vorläufer der elektronischen Datenerfassung gelten können. Fouché unterhielt ein ganzes Heer von Spitzeln, das auf Straßen und Wegen, in Gasthäusern, Buchhandlungen und Druckereien unterwegs war. Die Berichte darüber sind noch heute in Hunderten von Bänden in den französischen Staatsarchiven einzusehen.
Einige dieser Affären sind in die Geschichte eingegangen - etwa die des Spions "Monsieur Charles", eines wortgewandten Elsässers namens Carl Ludwig Schulmeister, der sich "mit großem Geschick verstellen konnte und auch in den schwierigsten Momenten die Nerven behielt ", wie die beiden französischen Historiker Abel Douay und Gerard Hertault in ihrem 2002 erschienenen Buch "Schulmeister - dans les coulisses de la Grande armée" konstatieren. Fouché hatte dessen Qualitäten erkannt und setzte ihn erfolgreich als Agenten gegen die Österreicher ein. Als Napoleon 1805 seinen Feldzug gegen die Donaumonarchie vorbereitete, gelang es "Monsieur Charles", den Wiener Hof davon zu überzeugen, dass von Paris keine Gefahr drohe. Aufstände im Innern des Landes machten Napoleon angeblich zu schaffen, weshalb Wien seinen Grenzen gegen Frankreich kaum noch Beachtung schenkte. Was folgte, ist schnell erzählt: Napoleon zog in Wien ein und übertrug Schulmeister die Reorganisation der Polizei - eine Aufgabe, die er mit Bravor meisterte.
Ungeahnte Möglichkeiten der Informationsbeschaffung
Als sich Napoleon 1815 ergeben musste, schlug die Stunde eines Mannes, den die Zeitgenossen noch mehr fürchteten als den martialischen Korsen: Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein. Wiederum mit Hilfe des Postwesens schuf der Staatskanzler Österreichs ein nahezu lückenloses Netz der Überwachung, wie der Frankfurter Historiker und Journalist Ralf Zernack 2009 nachwies. Metternichs "Ziffernkanzlei", ein Deckname für seinen Geheimdienst, machte sämtliche Posthalter zu Erfüllungsgehilfen der Polizei. Was mit dem Fürsten Kaunitz unter Maria Theresia begonnen hatte, erlangte unter Metternich Perfektion. In der Wiener Stallburg, dem Sitz der Ziffernkanzlei, saßen Spezialisten, die die Briefe verdächtiger Personen überprüften und manchmal sogar mit Zusätzen versahen, um die Observierten schließlich ans Messer zu liefern. Um jeden Funken liberaler Gesinnung auszulöschen, wurden landesweit Sicherheitsbehörden eingerichtet, deren Mittelsmänner die Nachrichten in die Staatskanzlei weiterleiteten. Als 1848 in Wien die Revolution ausbrach, richtete sich der Zorn der Massen auch gegen Metternichs Geheimbüro. Doch bevor die Revolutionäre die Ziffernkanzlei stürmten, verbrannte der verantwortliche Hofrat Zambe sämtliche Unterlagen.
War dem postalischen Schnüffelsystem damit ein Ende gesetzt, öffnete das anbrechende technische Zeitalter den geheimen Diensten ungeahnte Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Damit trat auch das, was Geheimdienstler gemeinhin als HUMINT, als humansourced intelligence, bezeichnen, immer stärker in den Hintergrund - doch das ist eine andere Geschichte.
[Links nur für registrierte Nutzer]