Deutsche Wirtschaft fuerchtet Kalten Krieg:

Krim-Krise ängstigt Anleger
Deutsche Wirtschaft fürchtet "Kalten Krieg"

Die Ungewissheit über die Entwicklung der Krim-Krise sorgt in der deutschen Wirtschaft für Anspannung. Bankenpräsident Fitschen warnt vor Sanktionen gegen Russland, mehrere Branchen senken ihre Prognosen. Die Unruhe lässt sich an den Börsenkursen ablesen.

Immer mehr Branchen sind besorgt über die Folgen der Krim-Krise. Der Weltluftfahrtverband International Air Transport Association (Iata) senkte seine Gewinnerwartung um eine Milliarde Dollar. Der Verband der deutschen Außenhändler BGA befürchtet bei weiteren Sanktionen gegen Russland massive Auswirkungen auf die deutschen Exporte.

Auch die Anleger reagierten wenige Tage vor dem Referendum der ukrainischen Halbinsel Krim über einen Beitritt zu Russland nervös. Der Dax verlor bis zum Mittwochmittag mehr als 1,4 Prozent. Ein Ausweg aus der Krise sei nicht in Sicht, schrieb Roger Peeters, Analyst bei Close Brothers Seydler. Auch in Fernost gaben die Aktienmärkte nach. Die stärksten Einbußen verbuchte die Börse in Tokio mit einem Minus von rund 2,6 Prozent. Am Dienstag hatten bereits die US-Börsen mit Abschlägen geschlossen.

Die EU plant eine Verschärfung ihrer Sanktionen, sollte Russland die Krim nach dem Referendum vom Sonntag annektieren. "Wir schätzen die finanz- und wirtschaftspolitischen Risiken der schwierigen Situation im Zusammenhang mit der Ukraine sehr ernst ein", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er sei aber überzeugt, dass die finanzpolitischen Folgen der Krise beherrschbar seien.
Fitschen warnt vor neuem Kalten Krieg

Bankenpräsident Jürgen Fitschen warnte vor den Folgen von Sanktionen gegen Russland. "Eine Neuauflage des 'Kalten Krieges' sollten wir unter allen Umständen vermeiden", sagte der Co-Vorstandschef der Deutsche Bank der Wochenzeitung "Die Zeit". Im Fall von Sanktionen bestehe die Gefahr, dass Russland sich noch weiter vom Westen distanziere. "Das wäre weder für Deutschland noch für Europa gut, politisch wie wirtschaftlich." Deutsche Firmen haben nach Angaben von Wirtschaftsverbänden in Russland rund 20 Milliarden Euro investiert.

Nehme man die Ukraine allein, so seien die Folgen für die deutsche Wirtschaft begrenzt, sagte Fitschen, der auch Co-Chef der Deutschen Bank ist. Das gelte auch für die deutschen Banken: "Sie hatten Ende letzten Jahres offene Forderungen in Höhe von 835 Millionen Euro. Das wirft niemanden um", erklärte Fitschen. Entscheidend sei die Frage, "ob der Konflikt eskaliert und wir in eine Spirale gegenseitiger Sanktionen geraten".

BGA-Präsident Anton Börner rechnet zwar weiter mit einem Anstieg der deutschen Exporte um drei Prozent und einem Importplus von zwei Prozent. "Diese Prognosen können jedoch sehr schnell Makulatur sein, sollte die Krise auf der Krim weiter eskalieren", sagte er in Berlin. Eine Sanktionsspirale gegen Russland könne unabsehbare Folgen haben, meint auch Börner. Es gebe Firmen, die so stark im Russland-Geschäft tätig seien, dass für sie massive Sanktionen existenzbedrohend wären. Auch die Weltkonjunktur könnte massiv beeinträchtigt werden.

Nach Börners Einschätzung können wirtschaftliche Druckmittel kaum zu einer Lösung der Krim-Krise beitragen. Obwohl Energieexporte mehr als die Hälfte der russischen Staatseinnahmen ausmachten, würden schärfere Sanktionen die Position von Präsident Wladimir Putin nur verhärten, warnte er. "Kurzfristig wird das keine Veränderung der russischen Politik nach sich ziehen." Die Krise sei "nicht ohne oder gar gegen, sondern nur mit Russland" zu lösen. Die EU dürfe Putin nicht in eine Ecke drängen, sondern müsse ihm "größtmögliches Verständnis" entgegenbringen.

Russland steht nach Verbandsangaben auf Platz elf der deutschen Handelspartner. 6200 deutsche Firmen treiben dort Handel oder haben investiert, das Handelsvolumen liegt bei mehr als 76 Milliarden Euro. Deutschland habe damit deutlich mehr zu verlieren als die USA, die Forscher bei Sanktionsforderungen auftreten könnten.

Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dürften sich konjunkturelle Folgen von Sanktionen gegen Russland für Deutschland jedoch in Grenzen halten. "Es ist nicht so, dass die russische Wirtschaft ein dominanter Exportmarkt wäre", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher in Berlin.

Außenhandelssanktionen gegen Russland wären aus seiner Sicht ohnehin "sehr unwahrscheinlich". Allerdings berge die schwelende Krim-Krise das Risiko steigender Energiepreise und möglicher Spannungen auf den sensiblen Finanzmärkten.

Besorgnis quer durch die Branchen


Die Iata kappte ihre Gewinnprognose für die Fluggesellschaften für dieses Jahr auf 18,7 Milliarden Dollar. Der höhere Ölpreis im Zuge des Krim-Konflikts bremse die Erholung der Branche etwas und führe wohl zu Zusatzbelastungen von drei Milliarden Dollar.

Auch die deutsche Chemie-Branche äußerte sich besorgt. Eine Verschärfung der Krim-Krise könne den moderaten Aufschwung gefährden, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Zwar gingen nur zwei Prozent des Exportvolumens nach Russland, und für die Ukraine liege der Wert lediglich bei 0,1 oder 0,2 Prozent. Die Gefahr bestehe aber, dass die Firmen rasch ihre Anlagen herunterführen. "Die Unsicherheit ist einfach die gesamtwirtschaftliche Lage, die sich verändern kann." Der US-Chemiekonzern DuPont hat bereits gemeldet, seine Geschäfte würden durch die Krim-Krise belastet, weil die Saatgut-Auslieferung beeinträchtigt sei. DuPont stellt in der Ukraine Saaten für Mais, Sonnenblumen und Raps her.

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