Ich lese gerade ein interessantes Buch, nämlich die Memoiren von Johann Heinrich Bernstorff, dem deutschen Botschafter in den USA von 1908 bis 1917, d. h. bis zum Kriegseintritt der USA. Danach war er ebenfalls als Botschafter in Konstantinopel; dann nach Kriegsende Abgeordneter und Diplomat, der vor allem im Völkerbund tätig war.
Es ist heute fast vergessen, daß fundierte Kritik an der deutschen Politik der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zuerst von deutschen Diplomaten kam. Diese hatten eben Einblick in Vorgänge, von denen der Bürger kaum etwas mitbekam, da Diplomatie damals fast völlig im Geheimen betrieben wurde. Es war der Freiherr von Eckardstein, seinerzeit Botschaftsrat in London, der zuerst verriet, daß um 1900 herum die britische Regierung mehrfach versucht hatte, ein Bündnis mit Deutschland einzugehen, was aber durch die blödsinnige Politik Wilhelms II. und Bülows verhindert wurde.
Ein ähnliches Bild entwirft auch Bernstorff, dem es lange gelang, die USA neutral zu halten, wie die deutsche Regierung Präsident Wilson immer wieder brüskiert hat und seine Vermittlungsbemühungen scheitern lies - mit dem bekannten Resultat.
Auch aus seiner Zeit in Konstantinopel bringt er interessante Details: Erwähnt sei seine Chararkteristik von Taalat Pacha, dem Hauptverantwortlichen für die Armeniermorde. Originalzitat: „Als ich ihm immer und immer wieder wegen der armenischen Frage zusetzte, sagte er mir lächelnd: Was wollen sie denn? Die Frage ist erledigt. Es gibt keine Armenier mehr.“
Was ich nicht wußte: Auch die deutsche Regierung bzw. Bernstorff hat damals mit der verbündeten türkischen Regierung über die Errichtung eines Jüdischen Nationalheims in Palestina verhandelt. Das ist dann in der Weimaer Republik weitergeführt worden. Bernstorff war hier der Präsident des „Deutschen Komitees Pro Palestina“ die in Zusammenarbeit mit der Jewish Agency für die Gründung einer jüdischen Heimstätte eintrat. Aus naheliegenden Gründen wurde sie 1933 aufgelöst.
Das nur ein kleiner Überblick: Wen es interessiert, der lese Johann Heinrich Bernstorff, Erinnerungen und Briefe, Zürich 1936.