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Thema: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

  1. #1
    SchwanzusLongusGermanicus Benutzerbild von ABAS
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    Standard Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Einfuehrung in die Toxigologie: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Gifte der Göttinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    "Im großen Pflanzenwuchsgetriebe
    Des Lebensackers ist kein Kraut,
    Das so viel Gift zusammenbraut
    Als langsam abgedorrte Liebe."
    Wilhelm Jensen (1837-1911)


    Hygieia
    war als Tochter des griechischen Heilgottes Asklepios und Enkelin des Apollon die Göttin der "Gesundheit". Ihr Vater trug den von einer Schlange umwundenen Äskulapstab. Peter Paul Rubens (1577-1640) stellte sie mit einer Schlange dar, aus deren Zähnen sie das Gift gewann. Den Griechen war Gift nicht nur Unheilvolles. Zur Hygiene rechneten sie diätetische Vorsorge, Körperpflege, aber auch Lebensmittelüberwachung, Trinkwasserversorgung sowie Abwasserregulierung, Leichenbestattung und andere Maßnahmen.

    Aphrodite galt den Griechen als die Göttin der Liebe und der Schönheit. Nach der "Theogoniall, der "Götterabstammung" des Hesiod (um 700 v.u.Z.), des ersten geschichtlich belegbaren Schriftstellers in Europa, entstieg sie dem Meer als Schaumgeborene, Aphrodite Anadyomene. Sie wurde mit Myrtenzweigen bedeckt, die ihr daher heilig waren. Ihre "Geburt" ist als Hinweis auf ihren semitischen Ursprung zu sehen. Auch der Name Myrte, einer alten Arzneipflanze, stammt aus diesem Kulturkreis. Aphrodite bildet eine Symbiose aus semitischer Himmels- und Fruchtbarkeits- sowie Liebesgöttin Astarte und aus einer kleinasiatischen Muttergottheit. Aus dieser Mythologie wurde die Tempelprostitution in den Kult um Aphrodite übernommen. Wirkstoffe wie das Indolalkaloid Yohimbin aus dem Rötegewächs Yohimbe (Pausinystalia johimbe, Corynanthe yohimbe), die erregend auf Genitalzentren im Rückenmark sowie erweiternd auf die Arterien der Genitalorgane unter Blutdrucksenkung wirken, werden nach dieser Göttin Aphrodisiaka genannt. Entdeckt wurde Yohimbin 1896 von Leopold Julius Spiegel (1865-1925). Heimisch ist der Yohimbebaum in Westafrika. Das Colchicin der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) hat den Namen nach der Kolcherin

    Medeia, Medea, der bedeutendsten Sagengestalt der Weltliteratur, die bis zur heutige Zeit vielfältige Interpretationen fand. Ihr Vater war der König von Aia und Heliossohn Aietes, Bruder der Kirke. Mit Hekate hießen sie als die Zauberinnen der griechischen Sage "Pharmakides", der "Arzneimittellehre", der Pharmakologie, kundig, die zurückgeht bis auf das 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Mit ihrer Giftkunde half Medeia Iason bei dessen Erringung des Goldenen Vlieses und ging mit ihm nach Iolkos. Aus diesen Zusammenhängen sind die elegischen Verse Properzl (um 50 bis um 15 v.u.Z.) zu verstehen:

    "Sollten dahin mich raffen circeische Mischungen, sollt auch Mir auf jolkischem
    Herd sieden der Kolcherin Gift?"


    Bei Tibull (um 50 bis 19 oder 17 v.u.Z.) findet man in der 2. Elegie des 1. Buches die auf
    Venus bezogenen Zeilen:

    "Sie nur, sagt man, besitzt Medeas giftige Kräuter, Sie nur bändigt und nimmt
    Hekates Meute den Grimm."


    In der 4. Elegie des 2. Buches heißt es:

    "Was immer Kirke besitzt und was Medea an Giften,
    Was das Thessalische Land irgend an Kräutern nur trägt,
    Was auch, wenn Venus Begier in den rasenden Herden hervorruft,
    Brünstigen Stuten an Schleim tröpfelt als Zauber vom Schoß
    Wenn meine Nemesis nur mit freundlicher Miene mich anblickt,
    Mag sie an Kräutern auch sonst tausend noch mischen - ich trink’s."
    Ovid (43 v.u.Z. bis 18 u.Z.) meinte in dem Werk "Ars amandi":
    "Die Kräuter der Zauberin Medea und die mit magischen Tönen verbundenen
    Medikamente werden nicht bewirken, daß die Liebe rege werde."
    Vergil (70-19 v.u.Z.) wußte auch von einem Gegengift:
    "Medien hat Äpfel von widrigem Saft, nachschmeckend noch lange,
    Aber gesegnet mit Kraft: denn schleunige Hilfe sie bieten,
    Wenn Stiefmütter in bösem Wollen vergiften die Becher,
    Die sie mit Kräutern versehen und nicht ganz harmlosen Worten."


    Colchicin wurde 1819 von Pierre Joseph Pelletier (1788-1842) und Joseph Bienaimè Caventou (1795-1877) entdeckt. Das tetracyclische Diterpen Andromedotoxin (Acetylandromedol, Rhodotoxin) geht in der Bezeichnung auf Andromeda zurück, der Tochter des äthiopischen Königs Kepheus und seiner eitlen Frau Kassiopeia. Andromeda wurde nach einem Orakelspruch an einen Meeresfelsen geschmiedet und vom späteren Gatten Perseus vor einem Ungeheuer gerettet. Die Botaniker nennen die Rosmarinheide, eine Gattung der Heidekrautgewächse, Andromeda. Deren Toxin wurde 1882 durch I. F. Eijkman erstmalig aus einer Andromeda-Art isoliert. Es ist für die Giftigkeit des Pontischen Honigs verantwortlich, von der schon Xenophon (um 430 bis 354 v. u. Z.), Plinius d. Ä. (23/24 bis 79 u.Z.) und der aus dem pontischen Amaseia stammende Strabon (um 64/65 v.u.Z. bis um 2 u.Z.) berichteten. Das Diterpen Daphnetoxin heißt nach der Tochter des Flußgottes Peneios, Daphne. Auf ihrer aussichtslosen Flucht vor dem Liebeswerben Apollons ließ sie sich in einen Lorbeerbaum, Daphne, verwandeln. Botanisch ist Daphne die Gattung Seidelbast. Ihr Hauptwirkstoff Daphnetoxin verursacht starke Vergiftungen.

    Das Racemat des Hauptalkaloides (S)-Hyoscyamin der Schwarzen Tollkirsche, Atropa belladonna, wurde nach der griechischen Schicksalsgöttin Atropos Atropin genannt. Atropos, die "Unabwendbare", war die den Lebensfaden durchschneidende der drei Moiren, den Töchtern des Zeus und der Themis. Die Lähmung der okulomotorischen Nervenendigungen als Ursache für eine Pupillenerweiterung entdeckte 1866 der Arbeitskreis um Julius Bernstein (1839-1917). Die erste Atropin-Synthese führte 1901 Richard Willstätter (1872-1942) durch. Das "Schweinekraut", "Hyoskyamos", mit dem nach Homer (etwa 8. Jh.v.u.Z.) Kirke odysseus, Gefährten in Schweine verwandelte, war nach Ansicht der Botaniker das Schwarze Bilsenkraut, Hyoscyamus niger. Im Altertum hieß es "Herba Apollinaris" und wurde offenbar als Rauschdroge beim Orakel des Apollon verwendet.

    Die "Belladonna" Kleopatra (69-30 v.u.Z.) "konnte ihre Augen künstlich glitzernd erzeigen, daß sie leicht, wen sie wollte mit lieblichen Worten und Sanftmut bewegen mochte." Das meint jedenfalls Giovanni Boccaccio in seinem Werk "De claris mulieribus". Für ihre Augenkosmetik hatte Kleopatra offensichtlich auf die Tollkirsche zurückgegriffen. Ihr späterer Gatte Marcus Antonius (82-30 v.u.Z.) soll zu ihren Mahlzeiten als Vorkoster bestanden haben.

    Agrippina d.J. (15-59 u.Z.) ließ als Gattin des Kaisers Claudius für die Thronfolge ihres Sohnes Nero ihren Gemahl vergiften, vermutlich durch ein Gericht mit Grünen Knollenblätterpilzen. Ein verwandter Speisepilz, der Kaiserling (Amanita caesarea), gehört zur gleichen Gattung und war - wie der Name verrät - schon zur Römerzeit sehr beliebt. Ein tödliches Pilzgericht konnte somit leicht bereitet werden. Amanitine oder Amatoxine sind neben Phallotoxinen für die Giftigkeit der Knollenblätterpilze verantwortlich. Der Arbeitskreis um Heinrich Otto Wieland (1877-1957) isolierte 1931 in München erstmalig Amatoxine. Seinem Sohn Theodor (geb. 1913) und Mitarbeitern gelang die Strukturaufklärung der Amanitine als cyclische Oktapeptide. Die Verbindungen gewannen sie aus Grünen Knollenblätterpilzen, die sie 1945 und 1946 im Heidelberger Stadtwald gesammelt hatten. Eine mehrfach genannte Giftmischerin der römischen Kaiserzeit war Locusta. Heinrich Heine (1797-1856) nimmt 1851 auf sie und ein Gastmahl des Jahres 1383 Bezug in dem Gedicht
    "Spanische Atriden":

    "Prunkgeschirr von Gold und Silber,
    Leckerbissen aller Zonen,
    Und derselbe Bleigeschmack,
    Mahnend an Lokustes Küche"


    Das bedeutendste Nebenalkaloid der Chinarinde Cinchonin heißt nach der Gräfin Chinchon. Sie wurde 1638 wie auch ihr Ehemann, Vizekönig von Peru, durch dessen Leibarzt Juan de Vega mit der Chinarinde von der Malaria geheilt. Die Arznei kam als "polvo de la condesse"nach Spanien. Die Gräfin starb 1641. Zu ihren Ehren gab Carl von Linné (1707-1778) dem Chinarindenbaum den Gattungsnamen Cinchona.

    Marquis de Brinvilliers wurde 1676 in Paris als Giftmischerin enthauptet. Die wäßrige Arseniklösung, die sie für tödliche Vergiftungen verwendete oder verkaufte, nannte sie "Eau admiralle". Eine berühmt-berüchtigte italienische Giftmörderin war am Ende des 17. Jahrhunderts Teofania di Adamo, die auch kurz Tofana genannt wurde. Ihr Gift war "Aqua Tofana" als wäßrige Arseniklösung. Vermutlich 1709 wurde sie in Palermo hingerichtet. Heinrich Heine nimmt auf sie Bezug. Bei einem Spaziergang läßt er Ludwig Börne (1786-1837) sagen:

    "... Wer mit Rom Krieg führen will, muß alle möglichen Gifte vertragen können,
    nicht bloß plumpen Arsenik, sondern auch einschläferndes Opium, und gar das
    schleichende Aquatofana der Verleumdung!"


    Eine im gleichen Metier tätige "Nachfolgerin" nannte sich auch Tofana und wurde ebenfalls zum Tode verurteilt. Eine weitere Tofana bot Arsenik in Glasflaschen als "Manna von Sankt Nikolaus von Bari" mit dem Heiligenbildnis weit über ihre Heimatstadt Neapel hinaus an und bekam dafür den Prozeß.

    Marie Lafarge stand am 19. September 1840 als vierundzwanzigjährige Französin in Tulle vor Gericht unter der Anklage, den Ehemann mit Arsenik ermordet zu haben, und wurde für schuldig befunden. Sie war als Tochter des Oberst Cappelle zur Welt gekommen. Die Eltern starben früh. Pflegeeltern gaben ihr in Paris eine gute Ausbildung. 1839 nahm sie Charles Lafarge aus Le Glandier zur Frau, der ein Jahr später unter dem Verdacht einer tödlichen Arsenik-Vergiftung starb. Daraufhin wurde Marie Lafarge als Täterin angeklagt. Der Prozeß erlangte weltweites Interesse wegen des Giftnachweises in biologischem Material mittels der Marshschen Arsenprobe. Der Chemiker James Marsh (1794-1846) am Königlichen Arsenal von Woolwich hatte als Sachverständiger in einem ähnlich gelagerten Mordprozeß hierzu die Anregung erhalten. 1836 stellte er sein Verfahren in der Fachliteratur vor. Als entscheidender Sachverständiger im Lafarge-Prozeß trat der Pariser Chemiker Mateo Josä Bonaventura Orfila (1787-1853) auf und bewirkte durch sein Gutachten einen Schuldspruch von einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Damit wurde dieses Gerichtsverfahren zum ersten mit einem Urteil auf der Grundlage eines toxikologisch-chemischen Beweises. Unter den mineralischen Giften sollen Quecksilberverbindungen im späten Rom unrühmliche Bedeutung erlangt haben. Decimus Magnus Ausonius (um 310 bis um 395) warf den römischen Frauen vor, ihre unliebsamen Ehemänner damit vergiften zu wollen:

    "Gifttrank reichte dem eifernden Gatten ein buhlerisch Ehweib;
    Meinend jedoch, es sei noch nicht zum Tode genug,
    Mischt sie dazu noch flüssige Last merkurischen Giftes,
    Daß die gedoppelte Kraft schneller ihn stürze zum Tod.
    Reichst du getrennt sie dar, sind beides heftige Gifte,
    Doch heilsamer Natur, wer sie verbunden genießt.
    Während nun unter sich selbst in feindlicher Gärung sie kämpfen,
    Weichet der tödliche Trank endlich dem heilsameren:
    Und nun schlüpft es hinab durch des Magens leere Behausung,
    Da, wo die Speise zuletzt sucht den gewöhnlichen Weg."

    Die Übertragung ins Deutsche geht auf Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) zurück. Salka Viertel wuchs als Salomea Steuermann in einer jüdischen Familie auf. Ihr Geburtsort war Wychylowka im damaligen österreichischen Polen. In Wien wurde sie Schauspielerin. Später spielte sie in Deutschland. Sie heiratete 1918 den Dichter und Regisseur Berthold Viertel (1885-1953). 1927 lockte der Tonfilm das Ehepaar nach Hollywood. "Das unbelehrbare Herz" sieht den schweren Start so:

    "Ich sprach tapfer Englisch und las Upton Sinclairs >Boston<. Ich weiß nicht
    mehr, wann Berthold Upton Sinclair kennengelernt hatte, jedenfalls brachte er
    ihn eines Abends zum Essen mit. ... Da niemand die Prohibition ernst nahm, servierten
    wir immer Wein, und ich hatte eine Flasche leichten chilenischen Riesling
    auf den Tisch gestellt. Mit einem mißbilligenden Blick drehte Sinclair sein Glas
    um. Ich kam mir wie eine Verbrecherin vor, und keiner von uns traute sich, auch
    nur einen Tropfen zu trinken"

    Zur "Giftmischerin" meinte Adelbert von Chamisso (1781-1838):

    "Der Herrschaft Zauber aber ist das Geld.
    Ich weiß mir Bessres nichts auf dieser Welt
    Als Gift und Geld. ...
    Das Gift erschleicht im Dunklen Geld und Macht.
    Ich hab es zum Genossen mir erdacht,
    Und hab es gut befunden.
    Hinunter stieß ich in das Schattenreich
    Mann, Brüder, Vater, und ich ward zugleich
    Geehrt und reich. ...

    Daß Lust am Gift, am Morden ich gewann,
    Wer, was ich that, erwägt und fassen kann,
    Der wirds begreiflich finden.
    Ich teilte Gift wie milde Spenden aus,
    Und weilte lüstern Auges, wo im Haus
    Der Tod hielt Schmaus"



    Literatur

    1. L. Lewin: Die Gifte in der Weltgeschichte, Verlag Julius Springer, Berlin 1920
    2. Tibull: Gedichte (dt. R. Helm), 6.Aufl., Akademie-Verlag, Berlin 1986
    3. E. Teuscher u. U.Lindequist: Biogene Gifte, Akademie-Verlag, Berlin 1988
    4. B.Issekutz: Die Geschichte der Arzneimittelforschung, Akademiai Kiadb, Budapest 1971
    5. G.Boccaccio: De claris mulieribus (dt. H.Steinhöwel u. D.Debes), Schmiedicke, Leipzig 1987
    6. Th. Wieland et al.: Angew.Chem. 80, 209-213 (1968)
    7. H.Heine: Aus "Spanische Atriden", in: H.Holtzhauer (Hrsg.): Heines Werke, 17.Aufl., 1.Bd., Aufbau- Verlag,
    Berlin und Weimar 1986, S. 265; aus "Ludwig Börnell, ebd. 5.Bd., S. 185
    8. R. K. Müller (Hrsg.): Dokumente zur Entwicklung der Toxikologie im 19. Jahrhundert, Akademische Verlagsgesellschaft
    Geest & Portig, Leipzig 1986, S. 156
    9. J.Thorwald: Report der Toten; Handbuch für Giftmörder, Droemersche Verlagsanstalt Th.Knaur Nachf.,
    München 1968
    10. S.Viertel; Aus "Das unbelehrbare Herz", in: R.Seydel (Hrsg.): ... gelebt für alle Zeiten, Henschelverlag,
    Berlin 1975, S. 217
    11. A.von Chamisso: Ausgewählte Gedichte, Verlag Gustav Fock, Leipzig (ohne Jahr), S. 59

    Wichtiger Literaturhinweis


    Therapeutic and toxic blood concentrations of more than 500 drugs
    M. Schulz and A. Schmoldt
    Pharmazie 52 (1997) 895-911
    Für die Beurteilung von gemessenen Blutspiegeln in der forensischen oder klinischen Toxikologie wie auch für das TDM ist die Verfügbarkeit einer entprechenden Datensammlung entscheidend. In dieser Arbeit werden für mehr als 500 Wirkstoffe therapeutische und, soweit verfügbar, toxische und letale Plasma-Konzentrationen sowie Eliminations-Halbwertzeiten tabellarisch zusammengefaßt. Die Sammlung enthält Daten für Hypnotika wie Barbiturate und Benzodiazepine, Diphenhydramin, Neuroleptika, Antidepressiva, Sedativa, Analgetika, Antihistaminika, Antiepileptika, Betablocker, Antibiotika, Diuretika, Calciumantagonisten, Herzglycoside, Antiarrhythmika, Antiasthmatika, ACEHemmer, Opioide, Lokalanästetika und viele andere. Besonderheiten wie aktive Metabolite, abweichende Applikationsart oder fehlende Konzentrations-Wirkungs-Korrelation werden in insgesamt 206
    Fußnoten aufgeführt. Das Literaturverzeichnis enthält 366 Zitate zur weiterführenden Information.

    Sonderducke können nach wie vor bei den Autoren erhalten werden:

    Dr. Martin Schulz, Arzneimittelinformationsstelle der ABDA, Postfach 5722, D-60732 Eschborn

    oder

    Prof. Dr. Achim Schmoldt, Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg, Krankenhaus
    Eppendorf, Butenfeld 34, D-22529 Hamburg.

    Quellenangabe:

    Rolf Giebelmann: Institut für Rechtsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Kuhstraße 30, D-17489 Greifswald
    " Streicht die Kuechenabfaelle fuer die Aussaetzigen! Keine Gnade mehr bei Hinrichtungen!
    Und sagt Weihnachten ab! "

    (Sheriff von Nottingham)

  2. #2
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    Standard AW: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Photograph of painting 'Perseus and Medea' by Edward Burne-Jones



    Bildquelle:

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    Standard AW: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Der Feminismus als Domaene von "Giftmischerinnen":
    Die Soehne von Perseus: Gegen die Unterdrueckung und Entrechtung von Maennern in Europa und weltweit!
    Für die Beruecksichtigung maskulistischer Ideen und gleiche Rechte und Pflichten fuer beide Geschlechter in
    unserer Gesellschaft.


    Die verwöhnte Medea

    Wir haben uns schon an einigen Stellen in diesem Blog den heutigen Frauen gewidmet. Haben uns gewisse Tendenzen in ihrem Rollenverständnis und in ihrem Umgang mit uns Männern angeschaut. Auch wurden wir Zeuge, wie Frauen die Männer gerne in einer Zelle des Missbrauchs oder der ewigen Anschuldigungen festhalten und ihre Forderungen und Ausrüfe flexibel der jeweiligen Situation anpassen können. Der magenumdrehende Tanz der einseitigen, männerausklammernden Gleichberechtigung, zu der abwechselnd und zwanghaft männliche Angst vor Herabwertung und weibliche Megalomanie eingeladen werden, spricht dazu Bände. Die Entlarvung des Widerspruchs zwischen Feminismus und Emanzipation und die Enthüllung weiblicher Selbstzweifel als Quelle massloser Ansprüche klärten uns in dieser Hinsicht weiter auf.

    Gewiss mögen nicht alle Frauen diesen feministischen Schatten menschlicher Existenz entsprechen, doch das öffentlich geförderte Erscheinungsbild der Frau wälzt sich irgendwann zumindest unbewusst auf jede(n) ab.

    Doch heute wollen wir uns nicht den Klarstellungen der Vergangenheit widmen, sondern ein neues Kapitel in dieser Reihe "Moderne Frauen und ihre vormodernen Vorstellungen" aufschlagen. Dazu bedienen wir uns wieder einmal unserer bewährten Feldmethode, nämlich dem Durchsuchen von Frauenforen nach zu dieser Reihe passenden Strömungen und Meinungstendenzen.

    Ich weiss zwar nicht warum, doch so werde ich immer innerhalb von weniger als fünf Minuten fündig.

    Zunächst die Ausgangslage. Reife und erwachsene Menschen, die eine Beziehung miteinander eingehen, kommen auch ohne regelmässige Liebesbeweise in Form materieller Geschenke wuchernden Wertes aus. Natürlich schätzen wir alle hin und wieder eine kleine Aufmerksamkeit, doch wenn dies zu einer nimmerendenden Anspruchshaltung und zur erzwungenen Gewohnheitssache degeneriert, dann hat dies immer mehr mit infantiler Unsicherheit und grassierenden Verlustängsten zu tun. Dies sollte eigentlich allen klar sein.

    Nicht so diesem Exemplar der holden Weiblichkeit! Das wird jetzt etwas lang, aber glaubt mir, jedes einzelne Wort lohnt sich! Denn der Text trifft nur so von egomanischen Ansprüchen und vollkommen verzogenen Bedürfnishaltungen.

    "Er schenkt mir nie was!!! weiss er mich nicht zu schätzen?"

    Ich bin seit einem Monat verlobt und ich habe das Gefühl das er mich jetzt schon für selbstverständlich hält...Er ruft mich zwar jeden Tag an [...] er sagt mir immer wie sehr er mich liebt [...] aber ich bin auch eine Frau und brauche kleine Aufmerksamkeiten und nicht nur schöne Worte...

    "Ein Mann kann viel erzählen und sagen was er alles für mich tun würde, aber er muss es auch zeigen!"

    Bevor wir uns verlobt hatten hat er mir einmal eine Goldkette mit meinem Namen geschenktund das wars auch schon...Er ist nicht geizig ganz im gegenteil er gibt mir geld und sagt mir ich sollte mir kaufen was ich will, aber ich will etwas von ihm etwas das von ihm ausgesucht worden ist und das nur für mich

    [...] kommt er jedesmal mit leeren händen zu mir an ich bin total verletzt und gekränkt und weiss nicht wie ich es ihm noch klar machen kann das er mich schätzen soll und mir zeigen soll wie sehr er mich liebt ....ich war sogar mal so deist und hab ihm gesagt das er mir eine rose mitbringen soll.. und dann hat er es trotzdem nicht getan und meinte ja wenn ich das jetzt tue, sieht es so aus, als ob ich es nur mache, weil du es verlangt hast ...ja aber nix machen ist besser oder was?

    "Ich weiss das es manchen Männern schwer fällt oder das es nicht ihre art ist ..aber wenn sie doch wissen das es ihre Frau glücklich macht wieso tun sie es dann nicht?was soll ich noch tun?"

    Halten wir fest, dass die Beziehung sich im Prinzip gar nicht schlecht entwickelt (für die Frau). Es könnte also alles super sein, wäre da nicht ihre völlig überzogene Verwöhntheit. Für sie ist die Liebe eines Mannes an sich nicht genug wenn sie von Herzen kommt, sondern sie muss noch extra und zwar regelmässig mit Geschenken überhäuft werden. Ihr Partner gibt sich auch noch Mühe und hat ihr einmal eine goldene Kette extra mit ihrem Namen eingraviert geschenkt und gibt ihr regelmässig Geld, damit sie etwas für sich kaufen kann.

    Vielleicht fühlt sie sich so zu sehr als Prostituierte, wenn sie nur das nackte Geld kriegt und verlangt deshalb, dass die enthüllenden Tatsachen in Form von durch den Mann ausgesuchte Geschenke verdeckt werden.

    Vielleicht haben auch einfach nur zu viele notgeile Männer vor ihrem jetztigen Partner in Aussicht auf ein paar neue Bettgeschichten die Göre völlig unverdient mit Geschenken und Komplimenten überhäuft und sie hat sich in ihrer ganzen Einfalt daran gewöhnt.

    Wie der gute alte Tom Leykis aus Los Angeles schon zu sagen pflegte: Steigere nicht noch zusätzlich das Selbstwertgefühl einer Frau mit unnötig vielen Geschenken und Komplimenten, denn so wird sie für dich und für andere Männer nur unerreichbarer.

    Doch natürlich war das noch nicht alles! Nachdem unser Prinzesschen etwas rauen Gegenwind in Form von Vorwürfen der Masslosigkeit, übertriebenen Wertschätzung von materiellen Dingen und Selbstverliebtheit erhalten hat, versucht sie das Ruder der allgemeinen Gunst zu drehen. Natürlich durch noch mehr Vorwürfe an ihren Partner ...

    "Ja aber das ist nicht alles gewesen [...] ich weiss auch das viele Männer es nicht drauf haben mit dem schenken und einige nich kreativ sein können, weil sie diese hemmschwelle nicht überschreiten können [...] Wieso kommt er bei mir nicht auf [...] Ideen das verstehe ich nicht ...Bitte versteht mich nicht falsch denkt nicht das sich alles um mich drehen soll,ich behandel ihn auch gut.. und nicht nur er ruft ständig an, ich rufe ihn auch an und sage ihm auch das ich ihn über alles liebe

    ich habe mir auch überlegt ob ich ihm nicht einfach was schenken soll um zu zeigen, dass es normal ist was zu schenken..aber dann hätte ich wieder den Anfang gemacht und dabei ist er der Mann und zudem will er mich doch heiraten.. wie passt das denn zusammenkann es sein das ich was falsch mache?"


    "DU willst mich heiraten! Also beschenke und verwöhne mich gefälligst bis zum Umfallen! Und ich will nicht den Anfang machen, weil DU bist der Mann und DU als Mann musst nun einmal so handeln, klar?! Ich behandle DICH sogar gut! Also verwöhn mich jetzt als ob ich die Königin von Atlantis und DU mein Sklave wärst!"

    Das Ganze wird noch genüsslich mit ein paar herabwertenden Stereotypen garniert und mit misandrischen Gewürzen geschärft.

    Merkt ihr, wie sie die Verantwortung dieser "Krise" immer wieder auf ihren Mann und weg von sich selbst und ihren völlig übertriebenen Ansprüchen verlagert? Ich würde mich einfach nur totlachen, wenn mir eine Frau mit so einer Attitüde über den Weg laufen würde.

    Doch der humorvolle Höhepunkt kommt erst noch!

    "[...] die Frau [...] will umgarnt werden und verwöhnt werden...natürlich will der mann das auch aber anders als die Frau ...Man kann das nicht gleichsetzen da wir doch zu unterschiedlich sind...

    [...] sobald er mir nur eine kleine Aufmerksamkeit überreichen würde, dann würde ich ihn auch mit geschenken überhäufen ...aber er tut es nicht und wieso soll ich leiden und zuletzt noch die dumme sein die alles von sich gibt....ich bin mir viel mehr wert..."

    Der Mann hat also nicht das Recht wie sie selbst verwöhnt zu werden? Weil wir "doch zu unterschiedlich sind"? Und warum soll sie nicht "die Dumme" sein und alles von sich geben, der Mann aber schon? Völlig zurecht schreibt ihr eine andere Frau:

    "Ich les bei dir immer "Der Mann soll dies, die Frau will das". Könntest du vielleicht endlich mal diese Stereotypen loswerden? Vielleicht fällst du ja genau in das Schema "typische Frau"... aber erwarte nicht von anderen, dass sie deinen Stereotypen entsprechen."


    Doch der entlarvende Höhepunkt ist wohl der letzte Satz! "Ich bin mir viel mehr wert!" Vielleicht nur ein ungewollter Ausrutscher, doch er zeigt sehr deutlich, was vielen Frauen heutzutage gemein ist. Dass sie ihren Part in einer Beziehung sehr viel höher werten als den des Mannes. Denn dieser dient ihnen lediglich als Zulieferer und als Diener.

    Sie selber definieren ihrer Meinung nach den Mittelpunkt einer Beziehung. Nur um sie soll der Mann und sein gesamtes Leben kreisen, in ewiger dienstlicher Verbundenheit mit dem Zentralgestirn Frau, welche alle Fäden innerhalb einer Partnerschaft in Händen halten soll.

    Und wenn das sich in einer einzigen Angelegenheit, wie zum Beispiel hier das Beschenken, nicht so abläuft, wie sie es sich in ihrem unendlichen Cinderella-Komplex ausmalt, dann ist sie total verletzt und traurig. Sofort wird emotional und verbal (nicht selten auch physisch) auf den Mann eingeschlagen, dass er doch bitte eiligst und einzig zum Wohle der Beziehung (sprich: der Frau) dieses Verhalten zugunsten der armen OpferIN abändern möge.

    Der Mann wird so lange und so dermassen intensiv von der Frau manipuliert und umerzogen, bis sie vom völlig verrenkten Resultat nur noch enttäuscht sein kann und ihn wie ein langweilig gewordenes Spielzeug fallen lässt. Denn wahre Männer lassen sich nicht von Frauen manipulieren und laufen nicht mit einem verrenkten und gekrümmten Geist herum. Also sucht sich das arme Mädchen flugs einen neuen Mann, denn sie ausbeuten und zurechtbiegen kann. Jedoch nicht ohne den gesamten emotionalen Ballast der vorherigen Beziehung bei ihrem Ex abzuladen und ihm die Schuld der gescheiterten Partnerschaft in die Schuhe zu schieben.

    Diese Frau und viele andere gleichen somit in etlichen Aspekten der verwöhnten und egozentrischen Medea, welche mit der Zeit sich nicht mehr ihrem eingebildeten Wert gemäss von ihrem Ehemann Jason behandelt fühlte und ihre Wut darüber an den gemeinsamen Kindern ausliess.


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    Der Medea Mythos

    Wer ist Medea?

    Medea ist eine Frauengestalt der griechischen Mythologie. Sie ist die Enkelin des Sonnengottes Helios und Tochter der Zauberin Hekate. Sie ist eine Hohepriesterin und hat Zugang in den heiligen Bezirk. Medea steht sowohl mit hellen als auch mit dunklen Mächten in Verbindung. Sie ist mit Iason verlheiratet und hat mit diesem zwei Söhne.


    Der Mythos der Medea nach Euripides:

    Medea tötet Pelias auf Befehl ihres Gatten Iason, indem sie ihn von seinen Töchtern zerstückeln und kochen lässt, um diesen angeblich zu verjüngen. Da sie aber den Töchtern die falschen Kräuter gibt, erwacht Pelias nicht wieder zum Leben. Auf diese Tat hin flüchtet Medea mit Iason . Unterwegs zerstückelt sie ihren Bruder und „entsorgt“ ihn häppchenweise, damit die Feinde auf eine falsche Fährte gelenkt werden. Am Ende ihrer Flucht finden die beiden Asyl bei dem König Kreon in Korinth. Doch dort verliebt sich Iason in die Königstochter Kreusa und verlässt Medea. Verletzt und rachsüchtig wird Medea zusammen mit ihren Kindern aus der Stadt verbannt. Aus Rache schickt sie ihrer Rivalin ein vergiftetes Hochzeitsgewand und ein vergiftetes Diadem. So verbrennt Kreusa, als sie die Sachen anlegt, und als wäre das nicht schlimm genug, tötet Medea, um Iason kinderlos zu machen und noch tiefer zu treffen, ihre beiden Söhne eigenhändig.


    Mythos-Magazin

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    Mythos Medea
    Deutungen menschlichen Lebens


    Medea ist eine der faszinierendsten und zugleich widersprüchlichsten Gestalten der griechischen Mythologie. Euripides hinterließ mit seiner Erzählung der Welt das Bild einer Kindsmörderin, zahlreiche folgende Autoren haben ihre Figur immer wieder umgedeutet und stellten sie als Heilerin, Priesterin, als verzweifelt Liebende und krankhaft Eifersüchtige, als hinterhältige Verräterin und unheilanrichtende Intrigantin dar.

    Der griechische Dramatiker Euripides hinterließ der Nachwelt die Tragödie der Medea, die sich in den jungen Königssohn Jason verliebt und ihm dabei hilft, ihren eigenen Vater zu hintergehen. Für Jason verlässt sie die Heimat und wird zur Mörderin, mit ihm bekommt sie zwei Kinder. Doch dann entscheidet sich Jason für die Tochter des einflussreichen Königs Kreon, Medea wird verstoßen und beschließt grausame Rache zu nehmen: Sie tötet die Rivalin, deren Vater und ihre eigenen Kinder. Der Mythos der Medea wurde in Romanen, Filmen und Theaterstücken vielfach wiedergeben. Ihre Gestalt fasziniert und verwirrt - und bleibt trotz aller Deutungsversuche ein Geheimnis.

    BR Bayern 2

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    Standard AW: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

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    Über die Einheit von Leben und Tod in Christa Wolfs Medea

    Das Schicksal der Medea fand bereits in der antiken Literatur starken Widerhall. Schon Hesiod erwähnt Medea in seiner "Theogonie". Die später entstandenen Tragödien des Sophokles und des Aischylos gingen verloren. Erhalten blieb dafür die an den Dionysien des Jahres 431 v. Chr. uraufgeführte Tragödie des Euripides, welche mit Medeas Ausweisung aus Korinth beginnt und mit dem Mord an ihren eigenen Kindern endet. Auch der Römer Seneca bearbeitete den Medea-Stoff ca. um 40 n. Chr., wobei er ausführlich die Hexenkünste der außer sich geratenen Frau schildert und Jason als bedauernswertes Opfer erscheinen lässt. Bis in die Gegenwart ist der Medea-Stoff ein häufig rezipierter Bühnen-, Prosa- und Lyrikstoff, der immer wieder neue Bearbeitungen zulässt.

    Christa Wolf greift mit ihrem 1996 erschienen Roman Medea – Stimmen auf den antiken Medea-Mythos zurück, ohne dabei den Anspruch zu erheben, ihn "unverfälscht" nachzuerzählen. Obwohl sich die Handlung ihres Romans teilweise auf die historischen Elemente des Euripides-Textes stützt, widerspricht sie diesem an entscheidenden Stellen und hinterfragt den Mythos Medea. Dabei befreit sie ihren Text von zeitlichen und örtlichen Konventionen, indem sie die Frage nach der Begründung gesellschaftlicher und natio


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    Standard AW: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Medea: Rollenprojektion in die Moderne


    Faszination einer Kindsmörderin. Medea im 20. Jahrhundert

    Abstract: Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan interpretiert ein beeindruckendes Panorama von Medea-Bearbeitungen in Literatur, bildender Kunst, Film und Musik. Sie spürt in ihrem Buch zur Medea-Rezeption im 20. Jh. in höchst differenzierter und anregender Weise den vielfältigen künstlerischen Auseinandersetzungen der Moderne mit einer in vieler Hinsicht provozierenden Frauengestalt der Antike nach.

    Medea – eine Provokation


    Offenbar übte im Rahmen der bis heute ungebrochenen „Faszinationsgeschichte“ des antiken Mythos die zutiefst ambivalente Figur der Medea – sie ist heilkundige Zauberin und zugleich todbringende Giftmischerin, leidenschaftlich Liebende und Mehrfachmörderin aus Liebe und enttäuschter Liebe (des Bruders, des Onkels, der Nebenbuhlerin und zuletzt der eigenen Kinder) – eine besondere Anziehung auf Künstler/-innen des 20. Jhs. aus. Das gilt besonders für jene, die sich der Auseinandersetzung mit den tabuisierten dunklen Seiten des Eros und der Mutterliebe und damit den zerstörerischen Impulsen im Menschen, die im Verlauf des Zivilisationsprozesses nur mühsam humanitär oder christlich übertüncht worden sind, bewusst stellten. Das blutige Erbe dieses „Urtextes“ der Zivilisation war immer schwer anzunehmen gewesen – schon die Aufführung von Euripides‘ Tragödie in Athen hatte einen Skandal verursacht. Dies hatte bis weit ins 20. Jh. hinein zu einer verdrängenden Tabuisierung von Medeas Gewaltpotential geführt oder zu Versuchen, Medeas extremes Handeln – durch Verschiebung der Mordtaten, Ausblendung, Entsühnung, Umdeutung, Psychologisierung oder Pathologisierung – kommensurabel zu machen. Andererseits wurde Medea – und dies zunehmend im 20. Jh. – als Figur der Überschreitung in politischen Konfliktsituationen geradezu emphatisch aufgerufen und heroisiert. Dass Medea selbst als maßlos gedemütigtes Opfer eine faszinierende Frau ist, die ihre Umgebung durch Intellektualität, rhetorische Kraft und kämpferische Entschiedenheit weit überragt und als umstrittene Täterin die Ordnung der Geschlechter fundamental in Frage stellt, hat im 20. Jh. – spät, aber nun in stattlicher Zahl, – auch weibliche Künstler motiviert, sich der mit Medeas Geschichte spätestens seit Euripides eng verknüpften Frage nach Geschlechterverhältnis und Geschlechterkampf zu widmen.
    Weibliches Schreiben am „Mythos Medea“

    Es gelingt Inge Stephan, den maßgeblichen Anteil von Autorinnen an der jüngeren Rezeptionsgeschichte gebührend zu würdigen, ohne dabei die kritische Distanz der literaturwissenschaftlichen Analytikerin zu verringern und selbst einen feministischen Diskurs fortzuschreiben (vgl. dazu insbesondere auch Kap. 10 „Medea, meine Schwester? Medea-Entwürfe in feministischen Diskursen“, S. 158–167). Aufschlussreich ist die Betonung der enormen Schwierigkeiten, die insbesondere Frauen mit der Kindermörderin Medea hatten und haben, wie sie in einem Zitat aus Olga Rinnes Medea. Das Recht auf Zorn und Eifersucht (1988) zum Ausdruck kommen, das von einem Gespräch unter Freundinnen anlässlich der Geburt einer Tochter berichtet: „Plötzlich trat für einen Augenblick völlige Stille ein. Die neue Mutter hatte erklärt, sie habe ihrer Tochter neben dem Rufnamen, den wir schon kannten, einen zweiten Vornamen gegeben: Medea. Auf unseren Gesichtern spiegelten sich die unterschiedlichen Empfindungen, von Verwirrung und ungläubigem Erstaunen bis hin zu offener Bestürzung. Medea? War das nicht die Frau, die ihre eigenen Kinder getötet hatte? Die Frage, die im Raum stand – warum hast du deiner Tochter ausgerechnet diesen Namen gegeben? – sprach keine von uns aus.“ (Zit. nach S. 7)

    Die Analyse der Bewältigungsstrategien solcher Schwierigkeiten und Berührungsängste zeigt, dass neben psychologisierenden Ansätzen, Medeas „unerhörte“ Tat zu verstehen und sie als Täterin zu entschulden oder gar zu heroisieren, insbesondere bei den Autorinnen Versuche stehen, Medea zu entlasten und vom Mordvorwurf freizusprechen. Dies haben Ursula Haas in ihrem Roman Freispruch für Medea (1987) durch den Bericht über eine Abtreibung von Jasons Kind oder Christa Wolf in Medea. Stimmen (1996) durch die Umdeutung sämtlicher Gewalttaten Medeas in lancierte Gerüchte und üble Nachrede versucht. Bemerkenswert ist dabei freilich, dass sich die Autorinnen (wie auch Marie Luise Kaschnitz in Griechische Mythen [1944] oder Helga M. Novak Brief an Medea [1978]) primär vor-euripideischer Quellen der antiken Literatur bedienen, um auf ihrer Suche nach einer „anderen Medea“ die Verbrechen der Kolcherin zu entschärfen oder zu tilgen. Das frauenfreundliche, ja geradezu feministische Potential des euripideischen Textes selbst – ihm wird ja zur Last gelegt, Medea und (Kinder-)Mord im kollektiven Gedächtnis der westlichen Zivilisation untilgbar miteinander verknüpft zu haben, – wird dagegen weder von den Autorinnen noch von Stephan selbst wahrgenommen (vgl. dazu Barbara Feichtinger: Medea – Rehabilitation einer Kindsmörderin? Zur Medea-Rezeption moderner deutschsprachiger Autorinnen. In: Grazer Beiträge 18, 1992, S. 205–234). Völlig zu Recht hinterfragt Stephan jedoch die frauenspezifischen Versuche, Medeas Gewaltpotential zu verharmlosen und die Figur zu einer neuen Ikone der Mütterlichkeit im Gefolge der neuen Frauenbewegung der siebziger Jahre umzudeuten. Stephan betont, „dass sich die Pro- und Kontrapositionen in der ‚Mordsache Medea‘ mit dem jeweiligen Geschlecht des Autors bzw. der Autorin nicht einfach kurzschließen lassen“ (S. 11). Den Vereindeutigungsversuchen stellt sie Katja Lange Müllers Essay Doch hoffe ich, Medea hört mich nicht (1990), Elfriede Jelineks Medea-Paraphrase Lust (1992) und Dea Lohers Manhattan Medea (1999) gegenüber, in denen der Kindermord besonders drastisch ausfantasiert wird. In der bildenden Kunst findet dies etwa in den Medea-Arbeiten (1985) von Angela Hampel eine visuelle Entsprechung. Hampel mache die für die ungebändigte, ja martialische Medea-Gestalt besonders spezifische Mischung aus Angst und Faszination besonders deutlich.

    Medea als Grenzüberschreitung

    Stephan spürt all diesen Widersprüchen und Ambivalenzen in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Medea-Figur nach, ohne sie vorschnell einzuebnen oder harmonisieren zu wollen. Sie macht damit in überzeugender Weise deutlich, dass gerade in der Vielfalt der Konfliktfelder, in die Figur eingebunden ist, eine wesentliche Ursache für die augenfällige Zunahme von Medea-Bearbeitungen in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. zu suchen ist. Zahlreiche Aspekte in der Geschichte der Grenzen überschreitenden und Grenzen sprengenden Medea – der Übergang von alten zu neuen (Familien-)Ordnungen, Migration und Fremdheit, Alter, Geschlechterkampf, Mütterlichkeit, Religion, Erotik und sexuelle Untreue, Macht und Verrat usw. – rühren an Grundvoraussetzungen unseres westlichen zivilisatorischen Selbstverständnisses und bieten Projektionsflächen und Diskursformen von enormer Aktualität.

    Inge Stephans Buch selbst ist in mehrfacher Hinsicht und mit großem Ertrag grenzüberschreitend konzipiert. Der Schwerpunkt liegt auf Medea-Bearbeitungen des 20. Jhs., doch werden Zeugnisse aus früheren Jahrhunderten einbezogen, weil nur so die verschiedenen Facetten der Figur deutlich gemacht und der extreme Wandel der rezeptionsgeschichtlichen Deutungen aufgezeigt werden kann. Die Untersuchung ist nicht chronologisch aufgebaut, weder konzentriert auf einen Autor oder eine Autorengruppe noch auf eine Epoche, Nation oder Gattung beschränkt. Über den kleinen Kanon der literarischen Texte hinaus, die das Bild Medeas geprägt haben, wie Euripides‘ Medeia, Senecas Medea, Franz Grillparzers Das goldene Vließ (1821) oder Hans Henny Jahnns Medea (Urfassung 1924), werden nicht nur weniger bekannte Texte wie etwa die Medea-Dramen von Friedrich Maximilian von Klinger (Medea auf dem Kaukasus 1790) behandelt, sondern auch Werke wie beispielsweise Gertrud Kolmars Die Jüdische Mutter (1930/31), die traditionell nicht als Medea-Zeugnisse erkannt worden sind. Zudem werden impulsgebende Werke der bildenden Kunst und Musik einbezogen, wobei sich Stephan – die ein Werk aus Ruth Tesmars Medea-Zyklus (1997) für das Titelbild ihres Buches gewinnen konnte – auch als feinfühlige und kenntnisreiche Interpretatorin (post-)moderner Kunst erweist. Erstmals werden auch die Medea-Filme als Rezeptionszeugnisse umfassend gewürdigt, da in ihnen der durch Jahrhunderte latent geführte Kampf zwischen Archaisierung und Modernisierung des Mythos offen ausgetragen wird. Nicht zuletzt wird auch der Rekurs auf den Medea-Mythos im interkulturellen Diskurs und Austausch thematisiert, da spektakuläre Medea-Inszenierungen wie etwa in Japan oder Südafrika in besonderem Maße die Brisanz einer Figur vermitteln, die in den politischen Auseinandersetzungen des 20. Jhs. verstärkt international aufgerufen wird. Ein Ausblick ins 21. Jahrhundert, in dem eine immer stärkere Erosion des mythischen Kernbestands thematisiert wird, rundet das enorme Panorama der dargebotenen Medea-Bearbeitungen ab.

    Medea als Bedrohung kultureller Ordnungen: die „wilde Frau“, die „böse Mutter“, die „fremde Andere“, die „gewalttätige Rächerin“

    Inge Stephan strukturiert ihr überbordendes Material – man spürt, dass hier aus dem Fundus einer längeren, intensiven und ertragreichen Forschungsphase geschöpft wird, – entlang von vier großen Konfliktfeldern der Moderne, die in der Medea-Gestalt verkörpert werden (und die allesamt mit gender-Fragen aufs vielfältigste und intensivste verwoben sind): 1. Medea als positive oder negative Identifikationsfigur im „Kampf der Geschlechter“, insbesondere als Leit- oder Schreckbild weiblicher „Emanzipation“ im Kontext der neuen Frauenbewegung nach 1968; 2. Medea als Bewältigungsfigur, wenn politische und familiale Ordnungen in die Krise geraten, wie etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, als über die „Schuld“ der Mütter debattiert und „Mütterlichkeit“ neu valorisiert wurde; 3. Medea als zentrale Projektionsfigur in Debatten über Ethnizität und Rassismus, über abweichendes und fremdartiges Verhalten (nicht zufällig wird Medea, die bereits bei Euripides als Fremde und Ausländerin erscheint, im 20. Jh. häufig als Zigeunerin, Negerin oder Jüdin imaginiert oder als hybride Figur der Vermischung entworfen); 4. Medea als Reflexionsfigur in den Auseinandersetzungen um die Bedeutung von Gewalt und deren Legitimität, die mit ihren Taten in archaische Praktiken der Blutrache und des Menschenopfers zurückführt, die in den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart eine bestürzende Aktualität gewonnen haben.

    Angesichts der dargebotenen Fülle an Material und überzeugenden Analyseangeboten wagt die Rezensentin kaum anzumerken, dass ihr bisweilen eine umfassendere Verortung der so heterogenen Medea-Bearbeitungen in ihren (literar-)historischen und autorenspezifischen Kontexten, insbesondere jedoch in ihren gattungs- und medientheoretischen Rahmungen wünschenswert erschienen wäre. Stattdessen sei betont, dass das Buch – jenseits des darin vermittelten profunden Fachwissens – in enormem Maße anregt, sich weiter und tiefer mit der faszinierenden großen Kolcherin zu beschäftigen, einfach Lust macht, die vorgestellten Medea-Bearbeitungen umfassender kennen zu lernen und sich auf eigenständige Spurensuche zu begeben. In diesem Sinn legt Inge Stephan selbst eine äußerst kreative Medea-Bearbeitung vor, die zur Begegnung und Auseinandersetzung mit Medea inspiriert.

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    Standard AW: Gifte der Goettinnen, Gattinnen und Gaunerinnen

    Die Macht der Frauen. Oder: Warum Medea ihre Kinder toetete


    Teil 1:

    Medea gehört zu einem Universum mythologischer Gestalten, von denen viele vergessen sind. Medea aber ist durch die Jahrtausende lebendig geblieben. Warum? Momentan gibt es eine Flut von Medea-Inszenierungen in Schauspiel. Oper, Ballett. Warum? Weil Medea ihre Kinder tötet?

    Im Sommer 2007 wurde ich zu einer internationalen Tagung der Universität Pavía zum Thema: »Die Macht der Frauen – gesehen von Männern« eingeladen. Als frühere DDR-Bürgerin wollte ich unbedingt darüber sprechen, wie Männer in der DDR das Problem gesehen haben. So kam ich auf Heiner Müller und auf Medea. Heiner Müller hat den Medea-Stoff dreimal sehr unterschiedlich literarisch verarbeitet. Ihn interessierten, wenn ich das richtig verstehe, an diesem mythischen Stoff die Verdrängung und der Austritt der Frauen aus der Geschichte, genauer: als Machtfaktor aus der Geschichte. Müller sah in dem Mythos eine Widerspiegelung des historisch sehr langen Prozesses der Ablösung des Mutter-Rechts (matrilineares Recht) durch das Vater-Recht (patrilineares Recht), also der Phase, die Friedrich Engels als die »welthistorische Niederlage des weiblichen Geschlechts«1 bezeichnet hat. Müller interessierten die Langzeitfolgen dieser Vorgänge, der Wiedereintritt der Frauen in die Geschichte im 20. Jahrhundert und nicht zuletzt die Frage, wie weit wir damit gekommen sind.

    Medea gehört zu einem Universum mythologischer Gestalten, von denen viele vergessen sind. Medea aber ist durch die Jahrtausende lebendig geblieben. Warum? Momentan gibt es eine Flut von Medea-Inszenierungen in Schauspiel. Oper, Ballett. Warum? Weil Medea ihre Kinder tötet?

    Mythen

    Mythen sind entstanden im »Urdunkel der Menschheit«, was »sicher auch ein historisches Datum ist«2. Sie entstanden zur Erklärung der Zusammenhänge von Natur und Menschen, Menschen und Menschen, Göttern und Menschen. Mythologie hat immer auch einen religiösen Gehalt. Mythen dienten zur Festlegung von Normen zwischenmenschlichen Verhaltens und zur Unterhaltung. Mythen wurden erzählt. Urfassungen sind nicht mehr festzustellen und damit auch nicht, ob ein Mythos richtig oder falsch erzählt wird. Mythen blieben lebendig, weil sie immer wieder neu und immer wieder anders erzählt wurden. Oder besser: Gerade die Mythen, die immer neu erzählt wurden, blieben lebendig. Bereits in der Antike kursierten unterschiedliche Varianten. So heißt es in den einschlägigen Lexika, z. B. bei Robert Ranke-Graves 3 häufig: Die Geschichte verlief so und so. Andere erzählen, dass .... Jedoch wird auch erzählt, dass ... Die Neu- bzw. Um-Erzählungen entstanden an verschiedenen Orten, aus neuen Erfahrungen, aus anderen Interessen. Einige Mythen wurden immer wieder neu erzählt bis in die Gegenwart, wo die Mythen meist säkularisiert wurden. Mythisches Material ist von einer solchen Qualität zwischenmenschlicher Konflikte, dass es sich durchaus auch ohne die Mitwirkung von Göttern erzählen lässt.
    Die Geschichte von Medea und der Ermordung ihrer beiden kleinen Söhne ist nur ein kurzer Ausschnitt aus der Argonauten-Sage. Im Jahr 431 v. u. Z., vor knapp 2 500 Jahren hat ihn der griechische Dichter Euripides mit großem Gespür für das Dramatische ausgewählt. Dass es sich tatsächlich um ein Bild für den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat handelt, begreift man besser, wenn man die Vorgeschichte kennt.

    Das Goldene Vlies, Jason, die Argonauten und Medea

    Genau genommen beginnt der Medea-Mythos mit der Geburt des Jason, des Sohnes des Königspaares von Iolkos in Thessalien. Als Pelias, der Stiefbruder des Königs, den König ermordet und sich selbst auf den Thron setzt, lässt Jasons Mutter den Jungen, den rechtmäßigen Thronfolger, in Sicherheit bringen. Als Erwachsener erhebt Jason Anspruch auf den Thron. Pelias, der Usurpator, verspricht ihm die Herrschaft, vorausgesetzt, Jason bringt das kostbare goldene Vlies aus Kolchis nach Iolkos zurück.4 An diesem Einfall wirkt Hera mit, die Ehefrau des Göttervaters Zeus, die in Jasons Pflicht steht, und genau das wird Medeas weiteres Leben bestimmen. Das Vlies ist in einer Höhle versteckt und von einem Untier bewacht, der Auftrag praktisch unerfüllbar. Aber Jason, direkter Nachfahre von Zeus und Apoll , also Repräsentant eines durch Männer geprägten Stammbaumes, Jason, der Held, nimmt ihn selbstverständlich in Angriff. Der längste Teil des Mythos erzählt vom Bau der Argo; von Jasons Werbung vieler namhafter Helden, die sich gewiss aus Abenteurerlust, vor allem aber aus Aussicht auf Gold zur Verfügung stellen; von der langen Schifffahrt, auf der die Argonauten eine Menge Widrigkeiten überwinden müssen. Medea tritt genau in dem Moment in den Mythos ein, als Jason in Kolchis vor König Aietes steht und das goldene Vlies fordert, das dieser begreiflicherweise nicht herausgeben will. Medea sieht Jason und verliebt sich schlagartig. Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig, außer dass sie die Tochter des Königs Aietes von Kolchis ist, einem sehr reichen Land. Auch bei Medea ist die Herkunft von Bedeutung, sie ist deutlich matriarchal geprägt: Medeas Mutter, Königin Asterodeio, ist Hexenpriesterin bei der Göttin Hekate, der höchsten Beschützerin der Frauen und des Frauenrechts. Medeas Großtanten sind Selene, die Mondgöttin, und Eos, die Göttin der Morgenröte, die berühmte Circe ist ihre Tante. Medea verliebt sich – so der alte Mythos – nicht aus eigenem Antrieb. Da Hera dem Jason die Herausgabe des Vlieses ermöglichen muss, beauftragt sie Eros, das Problem auf die Sekunde genau zu lösen. Er schießt einen Pfeil in Medeas Herz, so dass diese sich nicht nur in Jason verliebt, sondern noch dazu derart, dass ihre Leidenschaft für ihn niemals nachlassen, sondern stets zunehmen wird. Die alten Erzähler haben wirklich an alle Eventualitäten gedacht!

    Medea, die noch die alten medizinischen Künste der Frauen aus der Zeit des Matriarchats beherrscht, stellt fortan alle ihre Fähigkeiten in Jasons Dienst. Immerhin erweist sie sich als Menschenkennerin. Bevor sie mit ihren Zaubertränken, ihrem magischem Gesang, ihren Giften dem Jason ermöglicht, das goldene Vlies zu rauben, nimmt sie ihm das heilige Versprechen ab: er wird sie mit nach Griechenland nehmen und heiraten. Dann flieht sie mit ihm. Aufschlussreich ist, dass nicht Jason, sondern Medea von nun an die Initiative des Handelns behält. Listig rettet sie Jason vor dem sicheren Tod, und das nicht nur einmal. Dabei scheut sie vor Verbrechen nicht zurück. Erzählt wird: Die Argo entkommt König Aietes nur, weil Jason Medeas geliebten Bruder Absyrtos ermordet und Medea ihn zerstückelt und ins Meer wirft, so dass Aietes seine Verfolgung unterbrechen muss, um die Leichenteile einzusammeln. Dem Paar gelingt es, nach Jolkos zurückzukehren. Als der Usurpator Pelias trotz seines Versprechens den Thron nicht hergeben will, veranlasst Medea listig, dass seine eigenen Töchter ihn unwissentlich ermorden. Jason und Medea werden aus Iolkos verbannt. Auf der Suche nach einer standesgemäßen Bleibe fahren sie nach Korinth. Dort werden sie, so eine Variante, geduldet. Eine andere Erzählvariante besagt: Medea ist als Enkeltochter des Sonnengottes Helios die rechtmäßige Erbin des Königreichs Korinth. Sie darf ihren Mann zwar auf den Thron setzen, nicht aber selbst den Thron besteigen. Im Gegenteil: Hier in Griechenland ist sie wie alle (Ehe-)Frauen (außer in Sparta) Eigentum ihres Ehemannes, Hausherrin, Gebärerin.5 Dazu kommt: Medea ist Ausländerin, eine Frau mit Migrationshintergrund. Und damit in Griechenland trotz ihrer königlichen Herkunft lediglich geduldet.

    Wie auch immer: Nach einigen Ehe-Jahren will Jason aus Karrieregründen Glauke (oder auch: Kreusa), die Tochter des Königs Kreon, heiraten und die Kinder mitnehmen. Medea, die Selbstbewusste, Eifersüchtige, Verlassene, Erniedrigte, ermordet die Nebenbuhlerin – wiederum mit einer List: Sie schenkt der Braut ein Hochzeitskleid, das an der fremden Haut festklebt und die Braut verbrennt. In manchen Varianten auch deren Vater und den ganzen Hofstaat. Jason kann sich retten, spielt aber ohne Frau und ohne männliche Erbfolger keine Rolle in der Gesellschaft mehr und wird später – Ironie des Schicksals – von den Resten seines längst ruinös gewordenen Heldenschiffes Argo erschlagen. Interessant ist Medeas Geschichte in der alten Erzählung: Medea wird wiederum verbannt. Sie darf ihre vierzehn Kinder, sieben Söhne und sieben Töchter, nicht mitnehmen. Sie befürchtet Unheil. – Medea imponiert Zeus. Er will sie verführen. Aber sie widersetzt sich. Das wiederum gefällt der stets eifersüchtigen Hera so gut, dass sie Medea anbietet, die Kinder zu retten. Vertrauensvoll bringt Medea die Kinder in Heras Tempel, dann wird sie von ihrem Großvater Helios in einem Himmelswagen entführt. Das befürchtete Unheil geschieht. Hera rettet die Kinder nicht. Offenbar hatte sogar sie, die Göttin, schon so viel an Macht verloren, dass sie sie nicht retten konnte. Die Korinther steinigen sie – aus Rache – alle vierzehn auf dem göttlichen Altar. Jason soll – einigen Erzählvarianten zufolge – seine Zustimmung gegeben haben.


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    Die Macht der Frauen. Oder: Warum Medea ihre Kinder toetete


    Teil 2:

    Euripides – Medea und die Ermordung der Söhne

    Vor 2 500 Jahren, in der Hoch-Zeit der griechischen Kultur und Künste, im Jahr 431 v. u. Z., hat der Dichter Euripides (480-406) an dem Mythos mehrere Veränderungen vorgenommen. Er hat das direkte Eingreifen der Götter eliminiert, so dass allein Medea es ist, die alle Entscheidungen trifft und verantwortet. Medea mordet nicht nur ihre Nebenbuhlerin und den Hofstaat, sondern auch ihre eigenen Kinder. Die Mädchen hat er gestrichen, die sieben Jungen auf zwei reduziert. Forschungsergebnisse besagen, dass die freien Bürger Korinths es sich einiges kosten ließen, damit Euripides ihnen die Schuld des Kindermordes abnahm und sie Medea auferlegte. Bestechung des Dichters war also ein Grund dafür, dass Medea ihre Söhne ermordet. Das war nicht nur eine Neu-Erzählung, sondern eine aggressive Um-Erzählung, genau genommen eine Fälschung, die allerdings den historischen Trend zur patrilinearen Rechtsordnung und die Gegenwehr von Frauen widerspiegelte. Diese Frau tut genau das, womit sie den treulosen Ehemann am härtesten strafen kann: Sie nimmt nicht ihm das Leben, sondern seinen Söhnen. Damit nimmt sie ihm nicht nur das (vielleicht) Liebste, sondern auch das gesellschaftlich Wertvollste: die männlichen Erben, die Zukunft seines Geschlechts.

    Wir wissen nicht, welche Regie-Konzeption der Uraufführung zugrunde lag und wie sie wirkte. Aber wir wissen, dass alle Figuren, auch die Frauen, von Männern dargestellt wurden und dass auf den Zuschauertribünen fast ausschließlich Männer saßen und dass die Frauen, die zugelassen wurden, nicht die Ehefrauen der griechischen Bürger waren. Diese Männerdominiertheit im Theater – wie in der Öffentlichkeit überhaupt – lässt die Vermutung zu, dass die Sympathien nicht der treuen Medea, sondern dem ungetreuen Jason galten. Eine Frau, eine Mutter, begeht eine so ungeheuerliche Tat, wie sie sonst nur Männer begehen – genau diese Erfindung des Euripides macht den Mythos bis heute so attraktiv und reizt zu immer neuen Erzählungen. Oder anders: In dieser pervertierten, aber höchst kunst- und wirkungsvollen Variante wurde der Medea-Mythos durch die folgenden zweieinhalb patriarchal dominierten Jahrtausende weitergereicht: Medea, die Eifersüchtige, die Unbeherrschte und Unberechenbare, die Kindesmörderin. Medea: die Frau.

    Der Medea-Mythos bei Heiner Müller

    Für Heiner Müller (1929-1995) sind Mythen »geronnene kollektive Erfahrungen«6, vielschichtig wie Ablagerungen, oft vieldeutig. Für ihn als Dramatiker sind sie wichtig, er nutzt sie als Material. Den Medea-Mythos verarbeitete und deutete er dreimal ganz unterschiedlich. Die Texte heißen: Medea-Kommentar (1972); Medea- Spiel (1974); Medea-Material (1948-82). Alle drei Texte sind vielschichtige, komplizierte Geflechte, weder leicht zu lesen noch eindeutig zu interpretieren. Auch Theaterleute haben Schwierigkeiten beim Inszenieren und Spielen. Ich versuche hier eine Deutung unter dem Macht-Aspekt. Meine erste These: Wie unterschiedlich Müller Medeas Geschichte auch benutzt – in allen drei Texten interessiert ihn Medeas Kindermord als Bild, als Metapher für den Austritt der Frauen als Machtfaktor aus der Geschichte, für ihre Anpassung an patriarchal fundierte Verhaltensweisen und für die historischen Langzeitfolgen dieses Austritts. Und, so meine zweite These: Wie unterschiedlich er die drei dramatischen Texte auch gestaltet (Schreibweise, Spielweise): er will dem Publikum die Möglichkeit geben, die Strukturen dieses historischen Vorgangs zu erkennen und jeweils Schlussfolgerungen für ihre Gegenwart zu ziehen. Das ist auf spezifische Weise ganz im Sinne des »Laboratoriums der sozialen Phantasie«, als das das Theater in der DDR immer wieder definiert wurde.7 Erstens: Medea-Kommentar in Zement (1972) In dem Stück Zement benutzt Müller den gleichnamigen Roman des sowjetischen Autors Fjodor Gladkow (1883-1958) als Material. Der Roman erschien 1925 in der Sowjetunion, 1927 in Deutschland, 1961 in der DDR. Müller schrieb das Stück 1972. Anfang der siebziger Jahre – das war, als Erich Honecker Walter Ulbricht abgelöst hatte, als es in der DDR einige kulturpolitische Lockerungen gab und als die Frage diskutiert wurde: Was ist heute eigentlich revolutionär? Damals erschienen erstaunlich viele Bücher von Frauen und DEFA-Filme wie Paul und Paula und Der Dritte. Bücher und Filme, die sich mit dem damaligen Stand und den damaligen Entwicklungstrends der Geschlechterverhältnisse und -hierarchien beschäftigen und damit auf die spannende Frage nach dem, was heute revolutionär ist, einige bedenkenswerte Antworten gaben.

    Der Roman von Fjodor Gladkow spielt in der Zeit des revolutionären Aufbruchs der Sowjetunion. Gezeigt wird, wie zum ersten Mal in der Geschichte Arbeiter – unter ständiger Bedrohung von außen und innen und unter permanenter materieller Not – alles das learning by doing gleichzeitig bewältigen müssen, was einen Staat ausmacht: Politik, Wirtschaft, Industrie, Verteidigung, Kultur, Bildung. Und nicht nur das. Sie müssen dafür neue, nie da gewesene sozialistische Organisations- und Politikformen finden. Gladkow beschreibt nicht die »Königsebene«, sondern welche Auseinandersetzungen und Kämpfe es an der »Basis« gibt. Und damit auch einiges von dem, was heute Geburtsfehler der Revolution genannt wird, namentlich das (Nicht)-Miteinander-Klarkommen von Leuten mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen Bedürfnissen und unterschiedlichen Vorstellungen von der neuen Gesellschaft.

    Gladkow zeigt, wie diese Arbeiter darüber hinaus etwas in Angriff nehmen, was zuvor keine revolutionäre Bewegung ernsthaft vorhatte (oder wozu sie wie die Pariser Commune keine Zeit hatte), nämlich: die Machthierarchien zwischen den Geschlechtern von Grund auf zu verändern 8, also den Wieder-Eintritt der Frauen in die Geschichte zu bewältigen. Dass dieser Versuch weitgehend vergeblich war, beschädigt meiner Ansicht nach weder Roman noch Stück. Beide bleiben Zeugnisse großer Ideale, Ziele, Hoffnungen, Schwierigkeiten und Niederlagen. Im folgenden konzentriere ich mich auf die Szene in Müllers Zement mit dem Titel Medea-Kommentar. Diese Szene muss man sich bei Müller eingebunden in die vielfältigen Handlungsstränge vorstellen, die es auch bei Gladkow gibt, aber schon wegen ihrer Position, Länge und Intensität hat diese Szene in dem Stück große Bedeutung.
    Der Medea-Kommentar erzählt die Geschichte des Arbeiters Gleb Tschumalow, seiner Frau Dascha und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter Njurka in der Stadt Noworissisk, die im Norden des früheren Kolchis liegt.

    Im Unterschied zu Gladkow, der zeitnah über die revolutionären Ereignisse berichtet, führt Müller hier durch den Szenentitel den Medea-Mythos ein. Daschas Geschichte soll verstanden werden als ein Kommentar zu der Geschichte Medeas. Dazu Heiner Müller: Die »Figuren (sind) nicht in der Lage zu formulieren, was ihr historischer Wert ist und welches Spiel sie da spielen. Daraus ergibt sich dann die moralische Verpflichtung für den Autor, selber etwas zu sagen. « Dascha, die Arbeiterfrau weiß nicht, wer Medea ist. Also, so Müller, muss ich ihr »beispringen und das irgendwie einbauen.«9
    Müller will die Zuschauer anregen, Daschas Verhalten mit dem großen Modell der Menschheitserfahrung zu vergleichen und die revolutionären Vorgänge im Russland der frühen zwanziger Jahre als einen Versuch von historischer Dimension zu begreifen.10

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    Die Macht der Frauen. Oder: Warum Medea ihre Kinder toetete


    Teil 3:

    Dem Medea-Kommentar voraus geht eine Szene mit dem aufschlussreichen Titel Das Bett. Gezeigt wird, wie Gleb nach drei Jahren Krieg heimkehrt, wie er über Dascha herfällt und wie Dascha ihn abwehrt, zuerst lachend, dann mit einem geladenen Gewehr in den Händen und mit den Worten: »Kühl dich ab, Besitzer«11 (S. 394). Als Gleb in den Krieg zog, war Dascha eine liebevolle, anpassungsfähige und angepasste Ehefrau und Mutter. Jetzt verweigert sie sich ihrem Mann, nicht aus Mangel an Lust. Sie verweigert sich ihrem Mann, weil er sich als Besitzer verhält. Das ist – auf der Bühne in lebender Darstellung – ein unerhörter Vorgang von metaphorischer Kraft: Eine Arbeiterfrau legt dem Arbeiter/Revolutionär gegenüber die tradierte Rolle der Ehefrau als Objekt des Mannes ab. Und – eine Steigerung – sie spricht das auch aus.

    Dascha ist in den drei Kriegsjahren eine andere geworden: selbständig, selbstbewusst, sie lässt sich nicht mehr einfach »nehmen«, obwohl sie Gleb noch liebt. Ihren Anspruch, ihre Ehe fortzusetzen, aber anders als früher, versteht er nicht, auch wenn er die Gleichberechtigung von Männern und Frauen theoretisch akzeptiert und wortreich darüber redet. Die Szene Medea-Kommentar beginnt damit, dass Dascha Gleb mitteilt: Njurka ist tot und begraben. Der Tod des Kindes steht hier – im Unterschied zur Medea des Euripides – am Anfang. Und noch ein Unterschied: Dascha hat es nicht umgebracht. Sie hatte es in eines der neuen »roten« Kinderheime gegeben. Dort ist Njurka wie viele Kinder in Russland verhungert. 1921 war ein entsetzliches Hungerjahr. Der Tod eines Kindes ist – wie im Medea-Mythos – auch hier ein zentraler Vorgang. Aber hier steht er nicht für Rache, auch nicht für die Auslöschung von Zukunft. Gleb und Dascha sind beide in gleichem Maße von Trauer und Schmerz erfüllt. Der gravierende Unterschied zwischen ihnen besteht darin, wie sie mit diesem Tod umgehen. Gleb will lediglich die Schuldfrage klären: Dascha sei schuld, sie hätte das Kind nicht weggeben dürfen. Da klingt die tradierte Auffassung von der privaten Verantwortung der Mütter für die Kinder durch, der in Deutschland tradierte Vorwurf von der »Rabenmutter «, die aus Egoismus ihre »natürlichen Pflichten« vernachlässigt.

    Für Dascha ist Njurkas Tod der tragische Anlass zu einer harten, bis an die Wurzeln gehenden Auseinandersetzung über ihr Selbstverständnis als Frau, Mann und Paar, als emanzipierte Menschen und damit als Persönlichkeiten in der Geschichte. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Dascha nicht gesprochen; denn Gleb war nicht bereit, zuzuhören. Nun ist es Dascha, die den Dialog im Sinne des Wortes führt. Sie verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf der Rabenmutter, sie bringt keine revolutionäre Parole an. Sie durchbricht wiederum – wie in Das Bett – ein Tabu: Sie erzählt ihre Kriegsgeschichte. Der Tabu-Bruch besteht darin, dass sie über weibliche, über körperliche, über sexuelle Kriegserfahrungen spricht, die Frauen oft verschweigen und Männer nicht hören wollen. Beide aus Scham, aus tradierten Moralnormen und aus Angst vor den sozialen Folgen.12 Dascha zwingt Gleb, diese Geschichte bis zu Ende anzuhören: »Sind wir Kommunisten oder nicht. Können wir leben mit der Wahrheit. Oder baun wir die Welt neu mit verbundenen Augen« (S. 438).

    Dascha erzählt die Geschichte einer Frau, die (wie Medea) aus Liebe alles ihr Mögliche tat, um ihren Mann vor dem Tod zu retten. Sie erzählt, wie die »Weißen« sie verhaftet, mit dem Tode bedroht und vergewaltigt haben; wie sie Glebs Nachricht erhielt, sie möge die Roten unterstützen; wie sie bei den Partisanen ihre revolutionäre Arbeit machte, als Kurier, als Organisatorin der Frauen, aber auch und vor allem als Hure: »Deine Genossen, deine Klassenbrüder. Sie brauchten mich. Es war wie eine Arbeit. UMARME MICH IN MEINER LETZTEN STUNDE. Sie gingen leichter in den Tod von mir weg« (S. 435). Sie erzählt, dass sie alle Arten von Sexualität erfahren hat, Vergewaltigung, Lust, Liebe. Genau das trifft Gleb am tiefsten. Sie begreift und durchschaut ihn: »Wenn mich die Weißen totgeschlagen hätten Du hättest einen ruhigeren Schlaf jetzt. Lacht. GESCHÄNDET. Bei wem ist die Schande. Ich kann mir jeden Mann abwaschen. Es muss nicht mit Blut sein – Wär ich ein Mann« (S. 436).

    Indem Dascha ihre Kriegsbiografie genau erzählt, analysiert sie zugleich die Bedingungen, die sie gezwungen haben, Njurka ins Heim zu geben und selbst die andere zu werden, die sie geworden ist. Bedingungen, die es Gleb, dem Mann, ermöglichten, »den Junker, den Bourgeois, den Weißen noch in sich stecken« (S. 433) zu lassen. Zumindest, was sein Verhältnis zu Frauen betrifft. Mit ihrer »Beichte« hebt Dascha die Diskussion über die Schuld von Frauen und von Müttern von einer privaten, individuellen auf eine esellschaftliche Ebene. »Dascha: Wie lange wird es dauern, bis der Mensch / Ein Mensch ist. Was sucht ihr, wenn ihr euch zerreißt / Einer den anderen wie ein Kind seine Puppe / Weil es nicht glauben will, dass die kein Blut hat?
    Tschumalow: Wer hat den Terror angefangen. Wir?/ Solln wir uns abschlachten lassen. Was willst du? Dascha: Ich weiß, Gleb. Und ich sollte so nicht reden / Es ist Weibergeschwätz, wie. Ein Mann muss nicht wissen / Solang das Töten leichter ist als leben / Wieviel Arbeit in einem Menschen steckt, wie?« (S. 435).

    Sie ist noch jung, aber sie wird kein Kind mehr haben oder haben können. Sie schlussfolgert: »Ich bin keine Mutter mehr. Und werd es nicht mehr sein. Mir ist wichtig, dass unsere Kinder in den Heimen nicht mehr auf Stroh schlafen werden« (S. 442). Genau in diesem Moment, in dem Medea sich zur Arbeit für das Wohl aller Kinder bekennt, bringt Müller Medea ins Spiel – als Kommentar. Iwagin, der Intellektuelle, der einzige, der die Tragödie des Euripides kennt, sagt: »Ich habe Sie immer bewundert. Sie sind eine Medea. Und eine Sphinx für unsere Männeraugen. (...) Als sie (Medea) vor seinen (des Geliebten) Augen die Kinder zerriss, die sie ihm geboren hatte und in Stücken ihm vor die Füße warf, sah der Mann zum ersten Mal, unter dem Glanz der Geliebten, unter den Narben der Mutter, mit Grauen das Gesicht der Frau« (S. 442). Das ist die tradierte frauenfeindliche Deutung der Medea. Und genau so hat Dascha sich nicht verhalten. Der Medea-Kommentar endet nicht wie in der antiken Tragödie damit, dass der Mann die Frau, sondern damit, dass die Frau den Mann verlässt. Das erinnert an Ibsens Nora, aber Dascha tut es aus anderen Gründen und mit anderen Absichten.
    Dascha: »Ich muss allein sein, Gleb, für eine Zeit. / Ich liebe dich. Aber ich weiß nicht mehr, / Was das ist, eine Liebe. Wenn sich alles umwälzt./ Wir müssen sie erst lernen, unsere Liebe« (S. 438). Als er zu verstehen beginnt und sie bittet, zu bleiben, lehnt sie ab: »Ich will mich nicht so nehmen wie ich bin, Gleb. Und dich nicht. Es ist beschlossen und ich geh.« Aber als sie Gleb erklären soll, wie sie und ihre Liebe sein sollen, sagt sie ehrlich: »Ich kann dir nicht erklären, was ich nicht weiß« (S. 439). Für sie ist die Revolution nicht die Verwirklichung vorgedachter Prinzipien, sondern die Befreiung von alten Haltungen und die Chance, Neues zu suchen.

    Ich lese diese Szene als einen Fortschritt, als einen Schritt der Frau, fort von den alten, hin zu neuen Geschlechterverhältnissen, als einen Schritt in Richtung auf ihren Wiedereintritt in die Geschichte. Müller zeigt diesen Fort-Schritt als Schritt voller Konflikte, Verletzungen, Rückschlägen und zugleich als Chance, aber eine Chance ohne Garantie und mit »offenen Enden«. Zement wird als das letzte der großen Müllerschen Epochengemälde über die Geburt einer neuen Zeit bezeichnet. Heiner Müller selbst sagte in einem Interview anlässlich der Uraufführung 1973: »Was mich an der Geschichte interessiert, ist das Feuer, nicht die Asche«.13 Jahre danach nannte er es »ein zu spät geschriebenes Stück«14. Unter dem Aspekt des Wieder-Eintritts der Frauen in die Geschichte ist aufschlussreich, dass die Uraufführung im Auftrag, unter der Intendanz und in der Regie einer Frau stattfand: Ruth Berghaus. Ebenfalls aufschlussreich ist, dass vor allem die Dascha auf Unverständnis bis Ablehnung stieß, auch bei der damaligen Darstellerin Christine Gloger: »Als ich Zement zum ersten Mal las, hatte ich, was die Dascha betrifft, den Satz von meiner Mutter auf der Zunge: ›Er ist ja ne Seele von Mensch. Aber sie! ‹ Meine Sympathie und mein Mitleid gehörten dem Mann.

    Und über Dascha dachte ich: Dieses Monster, ein bisschen mehr Bescheidenheit täte es vielleicht auch. Ich mochte sie nicht. Wie das so ist mit Figuren: Man setzt sich auseinander, begreift, gewinnt sie irgendwie lieb, dann will man sie auch durchsetzen und verständlich machen, warum sie so sind und ihre Berechtigung haben.«15 Aufschlussreich ist, dass 1976 westdeutsche, vor allem männliche, Rezensenten die Aufführung in Frankfurt am Main und besonders die Darstellerin der Dascha hart kritisierten. Elisabeth Schwarz war ihnen zu wenig fraulich, sie habe nicht einmal das darstellerische Mittel der Ironie genutzt, um sich von dem Verhalten dieser Dascha zu distanzieren. Aufschlussreich ist, dass auch Heiner Müller diese Inszenierung kritisierte: Er fand sie »fürchterlich«. Peter Palitzsch habe das inszeniert »mit der Haltung, Bolschewiken sind auch Menschen, das zeigen wir euch jetzt mal. – Ganz falsch. Bolschewiki sind Marsmenschen. Sie sind so weit weg. Dann wird es Kunst.«16

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    Die Macht der Frauen. Oder: Warum Medea ihre Kinder toetete


    Teil 3:

    Zweitens: Medea-Spiel (1974?)

    Die Herausgeber haben diesen sehr kurzen Text 17 1974 datiert. Ich lese ihn als eine Art Lehr-Spiel, als lade Heiner Müller ein, die essentiellen und existentiellen Vorgänge aus dem Mythos herauszusezieren und sie metaphorisch und ohne Worte darzustellen. Zunächst werden die Personen festgelegt: Ein Mann. Ein Mädchen. Mehrere Figuren mit Totenmasken. Dann die Handlung: 1. Die Hochzeit. Figuren mit Totenmasken binden das Mädchen mit seinem eigenen Gürtel an das Bett. Figuren mit Totenmasken bringen den Mann. Projektion: Geschlechtsakt. 2. Die Geburt. Die Frau wird gefesselt und geknebelt. Ihr Bauch schwillt an. Der Mann wird indes von Totenmasken mit Waffen behängt. Projektion: Geburtsakt. 3. Der Tod. Der Mann ist so schwer bewaffnet, dass er sich nur noch auf allen vieren fortbewegen kann. Die Frau nimmt ihr Gesicht ab, zerreißt das Neugeborene und wirft die Teile in Richtung des Mannes. Projektion: Tötungsakt. Auf den Mann fallen Trümmer, Gliedmaßen, Eingeweide.

    In diesem Spiel gibt es keine Individuen. Nur der Titel deutet auf den Medea-Mythos. Müller reduziert den Vorgang auf seine Struktur. Das Spiel handelt von dem Kämpfen zwischen dem Mann und der Frau, aber weder der Mann noch die Frau haben die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln. Beide werden durch die Totenmasken in Rollen geführt, handeln nach Mustern. Die einzige selbstbestimmte Tat in dem Spiel ist die Reaktion der Frau auf die Gewalttat und die Kriegsvorbereitung des Mannes: Indem die Frau die Maske abreißt, zeigt sie ihr individuelles oder ihr »wahres«(?) Gesicht, aber – ihr fällt nichts ein als ebenfalls eine Gewalttat zu begehen. Eine verzweifelte Aktion, zugleich eine Anpassung an Gewaltmechanismen. Auf diese Weise wird die Frau die Wiederholung des Vorgangs nicht verhindern. Beide, Mann und Frau, sind zwar gewalttätig, aber sie sind machtlos in dem Sinne, dass sie Zukunft nicht gestalten können.

    Rückführung von Vorgängen auf ihre Struktur – eine von Müllers Schreibstrategien – sehen wir hier geradezu in Reinform. Indem Müller den Zuschauerinnen und Zuschauern die Struktur eines historischen Vorgangs ausliefert, provoziert er sie, Fragen zu stellen. Verläuft Geschichte tatsächlich so? Ist das zwangsläufig? Wofür stehen die Totenmasken? Müller sagte: Die toten Geschlechter lasten auf den Lebenden. Deshalb, so verstehe ich das, müssen wir Lebenden das Studium der Vergangenheitsgeschichte als Auseinandersetzung mit den Toten betreiben. Der Zukunft wegen.

    Drittens: Medea-Material (1949-1981/82)

    bildet den mittleren und zentralen Teil einer Montage mit dem langen Titel Verkommenes Ufer Medea-Material Landschaft mit Argonauten 18. Müller vollendete, montierte und veröffentlichte sie 1981/82. Das war die Zeit der Raketenstationierung in Europa und der weltweiten Angst vor einem dritten Weltkrieg, einem Atomkrieg. In diesem Kontext liest sich der Text als eine Warnschrift und als eine Zivilisationskritik, die weit über die Belange der DDR hinausgeht. Der ersten Teil Verkommenes Ufer hatte Müller schon im Sommer 1949 geschrieben. Das war 4 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und schon mitten im Kalten Krieg. Damals war Müller 23 Jahre alt und voller Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung der Welt. Aber er beobachtete sehr genau, was um ihn herum geschah, nicht nur in der Weltpolitik, sondern in der Alltagskultur. In Verkommenes Ufer formuliert er seine Beobachtungen wie Schnappschüsse: Menschen beim Baden an einem See, Männer in der Berliner S-Bahn, pendelnd zwischen Arbeit, Wohnung und Puff, Frauen bei der Hausarbeit, zerstörte Natur, zerstörte zwischenmenschliche Beziehungen, zerstörte Geschlechterbeziehungen – dazwischen Kinder. Eine »Kriegs-Landschaft«, in die er Anspielungen auf das historische Gewordensein einschrieb, Ereignisse aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Assoziationen wecken: Kriegstote, Lustmorde in Chikago, erhängte Deserteure mit dem Schild vor dem Bauch »Ich bin ein Verräter«. Dieser kurze Text endet mit den merkwürdigen Zeilen: »Auf dem Grund aber Medea den zerstückten / Bruder im Arm Die Kennerin / Der Gifte« (S. 74).

    Warum kommt Müller in diesem Zusammenhang auf Medea? Warum »auf dem Grund«? Auf dem Grund der Geschichte? Auf dem Grund der Zerstörung? Antworten sucht er in den beiden folgenden Szenen der Montage. Die Szene Medeamaterial hat er in dem historischen Jahr 1968 geschrieben. Es ist der einzige Dialog in dieser Collage. Hier sprechen Figuren, die mythologische Namen tragen: Amme, Jason und Medea. Aber es sind ganz heutige Figuren. Der Beginn des Dialoges, so Müller selbst, könnte das Stenogramm einer heutigen Auseinandersetzung zwischen Eheleuten sein. Gezeigt wird genau der Ausschnitt aus Medeas Leben, der auch in Euripides’ Tragödie gezeigt wird. Als Medea begreift, dass Jasons Entschluss, die Jüngere, Schönere, Reichere und Mächtigere zu heiraten, unumkehrbar ist, möchte sie sterben: »Ich / Bin nicht erwünscht hier Dass ein Tod mich wegnähm«. Jason, genervt, fragt: »Was warst du vor mir, Weib?«, als wäre sie vor ihm ein Nichts gewesen und nur durch ihn etwas geworden. Sie antwortet: »Medea« (S. 75). Damit ist das Leitmotiv für die Szene gegeben, die Identitätsproblematik: Sie war Medea – was ist sie jetzt?

    Auch sie beginnt – wie Dascha – , ihre Lage klug zu analysieren: in dieser verzweifelten Situation ein erster Schritt auf der Suche nach ihrer Identität.
    Der Auslöser für die Analyse ist sein Verrat an ihr: »Dank für deinen / Verrat der mir die Augen wiedergibt / Zu sehen was ich sah« (S. 76). Verrat und seine historischen Folgen – das ist eines der großen Themen bei Müller.19 Jasons Verrat lässt Medea ihre Vergangenheit klar sehen. Wie etwas Fremdes. Sie begreift: Alles, was sie aus bedingungsloser Liebe für Jason getan hat, war auch ihr Verrat: Sein Sieg über Kolchis, die Kolonisierung ihres Landes, die Unterdrückung ihres Volkes, der Mord an ihrem Bruder, alles war auch ihr Verrat. Und zugleich war es ihr Verrat an sich selbst. Sie hatte aufgehört, Medea zu sein. Sie hatte ihm, so wörtlich, als »Sklavin, Werkzeug, Hündin, Hure, Sprosse auf der Leiter seines Ruhmes« (S. 75) gedient. Er hatte sie erniedrigt und benutzt, aber sie hatte sich ihm freiwillig untergeordnet. Das ist ein wichtiger Punkt bei Müller: die freiwillige Unterordnung der Unterdrückten und Ausgebeuteten unter die Herren.20

    Das bezieht er auf Klassen, Ethnien und Geschlechter.

    Medeas erster Befreiungsschritt aus dieser Unterordnung ist also, dass sie »sieht«, begreift, erkennt. Der zweite ist, dass sie »abrechnet «: »Heute ist Zahltag Jason Heute treibt / Deine Medea ihre Schulden ein« (S. 79). Je genauer sie Schulden und Schuld analysiert, je öfter er auf ihre Argumente reagiert, um so deutlicher sieht sie: Ihre Lage ist aussichtslos. Medea – das heißt die Rat Wissende. Jetzt ist sie am Ende. Sie greift zum letzten Mittel, zur Gewalt. »Machtverlust «, so Hannah Arendt, verführt »sehr viel eher als Ohnmacht zur Gewalt, als könnte diese die verlorene Macht ersetzen.«21
    Medea mordet die Nebenbuhlerin. Dann eine Steigerung ihrer Hilflosigkeit. Sie mordet ihre geliebten kleinen Söhne, die sie plötzlich als »Früchte des Verrats aus deinem Samen«, als ihre »kleinen Verräter« (S. 79) zu erkennen meint. Es ist eine Art Amoklauf, bei dem sie genau reflektiert, was sie tut: »Mit diesen meinen Händen der Barbarin / Händen zerlaugt zerstickt zerschunden vielmal / Will ich die Menschheit in zwei Stücke brechen / Und wohnen in der leeren Mitte Ich / Kein Weib kein Mann« (S. 79). Frau-Sein, Mann- Sein – die Unerträglichkeit der sozial konstruierten und tradierten Gegensätzlichkeiten – auch das ist ein großes Thema bei Heiner Müller 22.

    Was will Medea sein? Ein Neutrum? Ein Ungeheuer? Ein Mensch?

    Sie tötet die Kinder mit den Worten: »Küssen würdet ihr die Hand / Die euch den Tod schenkt kenntet ihr das Leben« (S. 79). Aber sie vollendet den Amoklauf nicht, bringt sich nicht selbst um. Als alles vorbei ist, glaubt sie, wieder sie selbst, wieder Medea zu sein: »Oh ich bin klug ich bin Medea Ich« (S. 80). Aber es ist Wahn, Selbstbetrug, Selbstaufgabe. Es ist, zumindest nach meinem Verständnis, ein Bild für die Pervertierung des Individualisierungsprozesses und ein radikales Bild für den Austritt der Frau aus der Geschichtsmächtigkeit durch Anpassung. Anpassung an patriarchal begründete Gewaltideologien und Gewaltpraktiken. – Aber: Diese Art von mörderischer Anpassung bedeutet zugleich auch eine Gefahr für patriarchal fundierte Gesellschaften, insofern sie das Bild, die Praxis und die Identität der domestizierten Frau zerstört. Der dritte Text der Montage Landschaft mit Argonauten beginnt mit der Frage nach der Identität: »Soll ich von mir reden Ich wer / Von wem ist die Rede wenn / Von mir die Rede geht Ich Wer ist das« (S. 80). Es ist ein Mann mit Namen Jason, der spricht. Es ist ein Ich, aber, so Müller in einer Anmerkung: »Wie in jeder Landschaft ist das Ich in diesem Textteil kollektiv« (S. 84). Es ist der Monolog eines kollektiven männlichen Ich, das Geschichte gemacht und erlitten hat – bis zur letzten Konsequenz, der kollektiven Selbstvernichtung.

    Der Monolog besteht – ähnlich wie Verkommenes Ufer – aus einer Aneinanderreihung von Momentaufnahmen: Jasons Leben und Tod. Aber er geht weit darüber hinaus. Er beschreibt Das Leben eines Mannes (S. 81) durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart, von der frühen Kolonialisierung und der welthistorischen Entmachtung der Frau bis zu Panzerschlachten, Flugzeugangriffen, Medienschlachten. Das Leben eines Mannes im Spannungsfeld von Liebessehnsucht, technischem Fortschritt, fortschreitender Vernichtung von Natur und Mensch: »Ich spürte MEIN Blut aus MEINEN Adern treten / Und MEINEN Leib verwandeln in die Landschaft MEINES Todes« (S. 83). Die Montage ist eine Warngeschichte von historischer Dimension, besonders heute, in der Zeit militärischer, sozialer und politischer Kriege und fortschreitender Umweltzerstörung.

    Christa Wolf: Medea. Stimmen. Roman

    Im Jahr 1996 erzählte Christa Wolf die Geschichte der Medea wiederum völlig anders. Sie schrieb diesen Roman knapp eineinhalb Jahrzehnte nach Kassandra, ihrem ersten Buch über eine Frau aus der antiken Mythenwelt, in dem sie darüber nachgedacht hatte, wer Kassandra gewesen sein könnte, bevor sie aufgeschrieben wurde. In Medea. Stimmen stellt sie die Frage: Warum und aus wessen Interesse wurde Medea zum Mythos von der Kindermörderin? Christa Wolf benutzt einen großen Teil der im Mythos erzählten Fakten, wertet sie um und erfindet einige Figuren und Vorgänge neu. Und, um es gleich vorwegzunehmen: Bei Christa Wolf tötet nicht Medea ihre Söhne wie bei Euripides, sondern die Korinther steinigen sie – ganz wie in dem uralten Mythos. Die Rezensionen, wiederum vor allem die von männlichen Kritikern aus den alten Bundesländern, waren ziemlich negativ: Warum muss dieses Buch Medea heißen, wenn doch die Frau ihre Kinder nicht umbringt? Außerdem wurde der Roman als Schlüsselroman gelesen: Die Frau aus dem Osten (Kolchis), die in den Westen (Griechenland) kommt, habe sich selbst (Medea) als emanzipierter darstellen wollen als die Frauen im Westen. Sie habe den Osten (die DDR) und sich selbst (kurzzeitige Stasi-Informantin in den fünfziger Jahren) entlasten wollen, indem sie den Westen (Korinth) anklagt, ebenfalls Leichen im Keller zu haben. Und so weiter. Unterm Strich kommt bei vielen heraus: Wir wollen unsere eifersüchtige, rasende Kindermörderin wiederhaben!

    Meiner Ansicht nach haben diese Kritiker den Roman mit der Brille der Vorurteile gelesen, die über Christa Wolf nach der Wende in der Öffentlichkeit geschürt wurden. Wer aber mit dieser Brille liest, verbaut sich den Zugang zu dem, was wirklich erzählt wird. Erzählt wird die Geschichte der Medea als die immer und immer wieder und auch gegenwärtig hochaktuelle Geschichte von der dehumanisierenden Macht von Vorurteilen und der Herstellung und Benutzung eines Sündenbocks. Genau genommen erzählt Christa Wolf mehrere Geschichten in einer. Sie erzählt erstens: die Geschichte der politisch interessierten jungen Königstochter Medea, die es aus politischen Gründen in ihrer Heimat Kolchis nicht ausgehalten hat; denn ihr Vater hat seinen Sohn, Medeas Halbbruder, ermorden lassen. Das war in bestimmten Phasen des Übergangs vom Matriarchat zum Patriarchat ein durchaus üblicher Vorgang, der dem Erhalt der eigenen Macht diente.

    Wolfs Medea nutzt die Chance zur Flucht mit Jason, bekommt von ihm zwei Söhne und gerät in ein Land (Korinth), dessen König ebenfalls aus Gründen seiner Machterhaltung eine Leiche im Keller hat: die Königstochter Iphinoe. Soweit die Vorgeschichte. Medea entdeckt aus Zufall die Leiche in Korinths Keller. Sie hat nicht die Absicht, diese ihre Entdeckung zu veröffentlichen. Aber sie stellt Fragen. Mit diesem Wissen und ihren Fragen ist sie gefährlich. Gefährlich ist sie auch, weil sie aus Kolchis Haltungen mitgebracht hat, in denen das Matriarchat noch nachklingt: Sie trägt bunte Farben und offene Haare; sie geht ohne Begleitung auf die Straße; sie ist, obwohl mit Jason verheiratet, allein erziehend und hat einen Liebhaber. Alles das könnte befreiend auf die Frauen von Korinth wirken. Und das darf nicht sein. Besonders weil Medea Umgang mit der völlig eingeschüchterten Königstochter Glauke hat und diese zu Selbstbewusstsein ermuntert. Medea, Fremde, emanzipatorisches Vorbild und vertuschten Geschichten auf der Spur – das ist eine potentielle Gefahr. Sie muss beobachtet, überwacht und in Schach gehalten werden.

    Als ein Erdbeben das Land Korinth verwüstet und danach wegen ungenügender hygienischer Maßnahmen in den Armenvierteln die Pest ausbricht, wird seitens der Herrschenden angedeutet, das sei eine Strafe der Götter, an der Medea, ihr Lebenswandel, ihre Vergangenheit schuld seien. Sündenböcke gibt es nicht erst im Alten Testament, sondern schon weit vorher, und durch die Jahrtausende hindurch bis heute. Es gibt Sündenböcke, denen kollektive Schuld aufgeladen wird, und solche, denen individuelle Schuld aufgeladen wird. In Korinth wird das Gerücht gestreut, Medea sei die Mörderin ihres Bruders. Christa Wolf erzählt zugleich die Geschichte der Medea als einer Frau, die versucht, als Mittlerin zwischen den Fremden und den Einheimischen zu agieren, indem sie am Leben und an den Feiern beider teilnimmt. Damit gerät sie zwischen die Fronten der auf beiden Seiten aufgebrachten Menge. Christa Wolf beschreibt, wie Wahn, Grausamkeit, Gewalt in unzufriedenen, aufgebrachten, aufgehetzten Massen entstehen und wie leicht der Hass von allen Seiten auf Sündenböcke gelenkt werden kann.

    Im Zusammenhang damit beschreibt sie Medeas Konflikt als den Konflikt eines Menschen, der den politischen Anspruch erhebt, Menschenopfer für Götter, Menschenopfer für Machtinteressen, abzuschaffen, und der in die tragische Situation gerät, ein Massaker, Menschenopfer genannt, zu erleben und es nur begrenzen, aber nicht verhindern zu können. Christa Wolf beschreibt, wie Medea wegen einer Tat, die sie nicht begangen hat, vom Korinther Gericht verbannt wird, in die Wüste geht, begleitet von einer Kolcherin, sonst ohne Kontakt zu Menschen. Sie darf ihre Kinder nicht mitnehmen. Diese werden, ganz wie im alten Mythos gesteinigt.

    Um diese vielen Geschichten in einer zu erzählen, nutzt Christa Wolf einen Kunstgriff: Sie lässt Stimmen sprechen. Sechs Personen erzählen in elf Monologen den Verlauf der Vorgänge in Korinth jeweils aus ihrer eigenen individuellen Perspektive, beschreiben ihre Interessen, ihre Absichten. So werden nicht nur die Machtgeflechte, die unterschiedlichen Charaktere, Motive, Vorgeschichten erkennbar, sondern klar wird auch, was sie realiter voneinander halten, warum sie jemandem schaden, obwohl sie ihn als Persönlichkeit achten, oder warum sie jemanden fördern, obwohl sie ihn verachten. Christa Wolf schafft es, individuelle Geschichten in ihrer historischen Dimension und Geschichte als Interessen- und Handlungsgeflecht von Individuen zu zeigen. Sie macht nicht nur durchschaubar, warum und wie ein Sündenbock hergestellt wird. Sie macht auch durchschaubar, wie, aus welchen Interessen, mit welchen Mitteln ein Mythos gemacht wird. In diesem Falle ein frauen- und fremdenfeindlicher. Jahre später, als Arinna, die Tochter von Medeas Begleiterin, die beiden verwilderten Frauen in der Wüste gefunden und informiert hat, fasst Medea ihre Erfahrungen zusammen: Die Kinder »Tot. Sie (die Korinther) haben sie ermordet. Gesteinigt, sagt Arinna. Und ich habe gedacht, ihre Rachsucht vergeht, wenn ich gehe. Ich habe sie nicht gekannt. (..). Und die Korinther sollen immer noch nicht fertig sein mit mir. Was reden sie. Ich, Medea, hätte meine Kinder umgebracht. Ich, Medea, hätte mich an dem ungetreuen Jason rächen wollen. Wer soll das glauben, fragte ich. Arinna sagte: Alle (…). Arinna sagt, im siebten Jahre nach dem Tode der Kinder haben die Korinther sieben Knaben und sieben Mädchen aus edlen Familien ausgewählt. Haben ihnen die Köpfe geschoren. Haben sie in den Heratempel geschickt, wo sie ein Jahr verweilen müssen, meiner toten Kinder zu gedenken. Und dies von jetzt an alle sieben Jahre. So ist das. Darauf läuft es hinaus. Sie sorgen dafür, dass auch die Späteren mich Kindsmörderin nennen sollen.«23

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