Ihr Dolchstoß gegen deutsche Interessen
Reichlich überspitzt formuliert, jedoch mit mehr als nur einem Körnchen Wahrheitsgehalt, könnte man sagen: Wenn Russen und Deutsche, die beiden größten Völker des Abendlandes, zu bestem Einvernehmen gelangen, dann kann uns keiner mehr und alle können sie uns mal.
Historische Beispiele
Fest steht jedenfalls: Immer wenn Russen und Deutsche sich gut verstanden haben, war auch die politische Bilanz großartig. Man erinnere nur an zwei historische Vorgänge des 19. Jahrhunderts: Die Überwindung Napoleons, der Deutschland sozusagen von der Landkarte getilgt hatte, gelang durch das deutsch-russische Bündnis und nicht zuletzt dank Russlands wohlwollender Neutralität, eines der Meisterwerke unter den außenpolitischen Kunststücken Bismarcks, wurde die Gründung des zweiten kaiserlichen Deutschen Reiches 1871 möglich. Immer aber, wenn Deutsche und Russen gegeneinander standen, sogar aufeinander losschlugen, war das Ergebnis verheerend. Hier liefert das 20. Jahrhundert in Gestalt des Ersten und des Zweiten Weltkrieges schaurige Beispiele.
Tatsache ist weiter: Die Deutschen mit ihrem „Gewusst wie“ und die Russen mit ihren immensen Bodenschätzen ergeben geradezu eine wirtschaftliche Traumkonstellation. So verfügt Russland beispielsweise über rund ein Sechstel der weltweiten Bunt- und Edelmetalle, über fast ein Fünftel der bekannten Erdölressourcen und über ein Drittel der globalen Erdgasvorkommen.
Das aktuelle Mega-Geschäft
Womit wir thematisch genau bei jenem deutsch-russischen Abkommen angekommen sind, welches vorige Woche im Beisein des Bundeskanzlers und des Staatspräsidenten aus dem Kreml hierzulande feierlich unterzeichnet wurde:
Die Grundsatzvereinbarung zwischen den beiden führenden deutschen Erdgas-Großhändlern, Eon und Wintershall (BASF), mit dem russischen Energiegiganten Gasprom über den Bau einer rund eintausendzweihundert Kilometer langen Pipeline auf dem Grund der Ostsee von der Küste vor Sankt Petersburg bis in die Nähe von Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). Eine erste Röhre mit einer Kapazität von 27,5 Milliarden Kubikmetern soll in fünf Jahren in Betrieb genommen werden. Dies will man anschließend durch den Bau einer zweiten Röhre auf 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr verdoppeln. Die Investitionen werden auf einen Wert von vier bis fünf Milliarden Euro taxiert. Die deutschen Partner der gemeinsamen Projektgesellschaft werden einen Anteil von je 24,5 % halten, 51 Prozent kriegt Gasprom.
Das Vorhaben bietet auch ungeahnte Aussichten für deutsch-russische Kooperation im nördlichen Ostpreußen. Zum Gebiet von Königsberg (russisch amtlich: Oblast Kaliningrad), gelegen ziemlich genau auf halbem Wege zwischen Sankt Petersburg und Greifswald, soll ein Abzweig der Pipeline führen. Durch sein kürzliches Treffen mit Schröder in Königsberg zur 750-Jahr-Feier der ostpreußischen Hauptstadt hat Staatspräsident Putin deutlich gemacht, wie sehr ihm an deutsch-russischen Projekten dort gelegen ist. Ein Zeichen setzte der Kreml auch dadurch, dass zum Jubiläum Königsbergs die Universität der Stadt offiziell auf den Namen von Immanuel Kant getauft wurde, dem wohl größten deutschen Philosophen und berühmtesten Sohn der Stadt.
Sperrfeuer von Warschau und Schwarzen
Schon gegen den deutsch-russischen Zweiergipfel in Königsberg wurde insbesondere von Polen und Litauen politisches Sperrfeuer geschossen. Noch viel mehr aber bringt die polnische und litauische Führung die jüngste Energie-Vereinbarung zwischen Russen und Deutschen in beinahe herzinsuffiziente Wallung. Polens Staatspräsident Kwasniewski hat öffentlich Protest erhoben und listig erklärt, die Einbeziehung der polnischen Wirtschaft in das Pipeline-Projekt – in Gestalt einer Streckenführung über Land statt durch die Ostsee – würde doch die Beteiligten „billiger“ kommen. Putin riecht den Teufelsbraten. Auf Routen über Land müssen Transitgebühren bezahlt werden, wehrt er Kwasniewskis Finte ab, die man sich in der Ostsee ersparen könnte. Überhaupt wäre es wohl, sei hier ergänzt, eine wenig angenehme Vorstellung, wenn Warschau frei Schnauze den Gashahn zwischen Deutschland und Russland auf- und zudrehen könnte.
Und noch eine Parallele zwischen dem Geschrei wegen des deutsch-russischen Gipfels in Königsberg und jetzt wegen des Gasgeschäftes gibt es: Führende Vertreter der Merkelmannschaft leisten bei den Angriffen auf das deutsch-russische Erdgas-Abkommen massiv Schützenhilfe, wie sie schon das Putin-Schröder-Treffen von Königsberg wegen der „Nichtberücksichtigung“ und damit „Brüskierung“ der Polen und Litauer heftigst attackiert hatten. Offenbar hält man es in Spitzenkreisen der C-Parteien für das Allerschlimmste, wenn Deutschland etwas zeigt, was wenigstens einen Anflug von Souveränität aufweist.
Zunächst schickte die Merkelgilde Parteifreund Köhler, den CDU-Bundespräsidenten, vor. Der äußerte bei seinem kürzlichen Polen-Besuch zum deutsch-russischen Pipeline-Projekt: „Ich hätte mir zumindest gewünscht – das sage ich mit aller Behutsamkeit aber auch Klarheit –, dass im Zusammenhang mit den politischen Implikationen solch eines weitreichenden Infrastrukturprojektes die polnische Seite – auch die Balten – in diese Diskussion mit einbezogen worden wären.“
Jetzt zum Putin-Besuch in Deutschland legte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionchef Schäuble nach: Die Bundesregierung hätte, so greint er, „vor der Verabredung des Vorhabens Polen und die baltischen Länder konsultieren sollen“. Es sei eine, so wörtlich, „Katastrophe“, dass infolge einer derartigen deutschen Politik mit Russland „in Polen so viel Misstrauen erzeugt“ werde. Offenbar will der Merkel-Vize Deutschland auch noch einen polnischen Nasenring einziehen. Derjenenige, der die Bundesrepublik mit dem Großen Bruder jenseits des Großen Teichs verbindet, kann für Schäuble ja ohnehin nicht dick genug sein.
Die langen Finger des Oligarchen
Unermüdlich mit dabei, wenn es um Störfeuer gegen enge deutsch-russische Kooperation geht, ist der „außenpolitische Fachmann“ (und transatlantische Nasenringfanatiker) der CDU/CSU, Friedbert Pflüger. Immer wieder bringt er Putins angeblich himmelschreiend ungerechtes Vorgehen gegen Michail Chodorkowski ins Spiel. Dieser Energie-Oligarch muss bekanntlich gesiebte Luft atmen. Ein Moskauer Gericht hat ihn wegen Milliardensteuerhinterziehung nebst Verwicklung in die hochkriminelle Schieberszene Russlands verurteilt.
Die Ausschaltung Chodorkowskis aber erfolgte, als er seine langen Finger auch nach Gasprom ausstreckte und zugleich Russlands Energiewirtschaft mit Rockefeller & Co. vollends verdealen wollte.
DSZ