Altendorfer kämpfen um ihre Straße

25.03.2013


Man müsse nur aus dem Fenster schauen, fordert Ricarda Berg die Besucher auf: „Da sieht man die Dealer.“ Tatsächlich sehen wir an diesem Samstag aber einen Polizeiwagen, der im Schritttempo die Unterdorfstraße entlang fährt. Kein Zufall ist das, sondern Teil einer Aktionswoche in Altendorf: mehr Präsenz, mehr Razzien – mehr Sicherheit. Ricarda Berg kennt die Formel und weiß um ihre Halbwertzeit: „Jetzt haben wir ein paar Tage Ruhe, dann kommen die wieder raus.“

Die 58-Jährige ist in Altendorf aufgewachsen, hat das Mietshaus von ihren Eltern geerbt. Es steht, wo die Unterdorfstraße in die Altendorfer Straße mündet: An dieser Ecke liegen Multigame Casino und Tipico Sportwetten, ein Steinwurf entfernt ist die Straßenbahnhaltestelle Helenenstraße. Nicht lange her, dass sie als Drogenumschlagplatz ins Visier geriet – und bald polizeiliche Erfolge vermeldet wurden. „Dabei verlagerte sich das Geschäft nur in die Seitenstraßen“, weiß Ricarda Berg.

Sie lebt seit 1975 in Bonn, kommt nur am Wochenende ins heimatliche Altendorf und ist um ihre Mieter besorgt. Etwa um Stefanie Meier (Name geändert), die Besuch lieber vom Auto in ihre Wohnung eskortiert. „Meine Freunde erschrecken sich, wenn ein Dealer sie anspricht.“ Die 34-Jährige Bürokauffrau selbst wird von den Dealern nicht angesprochen – sondern angepöbelt: „Nur deinetwegen kommt Polizei.“

Es stimmt, Stefanie Meier ruft oft die Polizei. Sie nimmt nicht hin, dass Drogenhändler von mittags bis Ultimo auf der Straße rumlungern, per Handy Geschäfte einfädeln und vor Ort abwickeln. „Da werden Pillen auf Autoreifen abgelegt oder Zigarettenschachteln betont lässig auf den Boden gelegt und von anderen aufgehoben.“ Ein Minibriefkasten für Geld und Drogen. Meier hat solche Szenen fotografiert, obwohl die Dealer riefen: „Ey Alte, lass’ das! Wir holen Polizei!“ Die Ironie ist, dass die Polizei sie wirklich ermahnte, das Knipsen einzustellen; gültige Beweismittel sind ihre Bilder nicht.

Die Dealer tanzen

Dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, hat auch Ricarda Berg lernen müssen: „Warum bekam das Wettbüro eine Konzession, in so einem belasteten Viertel?“ Büro wie Casino seien Treffpunkte der Szene: „Da fahren Cabrios vor, die Musik aufgedreht, Männer springen raus, tanzen, werfen Dealern Sporttaschen zu. Sie kennen keine Hemmungen.“

Warum auch? Stefanie Meier hat erlebt, dass Polizeibeamte abwiegelten: „Das sind kleine Fische, wir suchen die Hintermänner.“ Sie kennt den Slogan, dass Bürger jede Beobachtung melden sollen. „Wenn ich das tue und tatsächlich ein Einsatzwagen kommt, ist der kleine Fisch ja schon weg.“ Sie sah, wie die Fracht eines Mercedes mit holländischem Kennzeichen in den Kofferraum einer deutschen Limousine gepackt wurde, Samstagmorgen an der Straßenecke. Einige ihr bekannte Dealer stopften sich ein paar Tütchen in die Hosentaschen; dass sie zusah, kümmerte sie nicht. Umgekehrt mögen Meier und Berg nicht hinnehmen, „dass sich das etabliert.“

Berg kennt Altendorf noch als Arbeiterviertel. 1960 bauten ihre Eltern das schlichte Haus: „Damals herrschte Wohnungsnot, die Leute standen Schlange für eine Wohnung zu kleiner Miete. Zweimal wöchentlich wurde der Flur geputzt.“ Seit 50 Jahren lebt ein Ehepaar in dem Haus: „Die haben jetzt Angst.“ Im Hauseingang liegen nun oft Kippen, Müll, Tütchen. Die Vermieterin putzt dagegen an und weist mit einem Schild auf ihr Hausrecht hin, Stefanie Meier jagt Dealer weg, zückt drohend ihr Handy. Sie sehe aber zu, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist. Die Frauen wundert es kaum, dass eine Wohnung seit anderthalb Jahren leer steht: „Ich will nicht an ,Miss Iran in Love’ vermieten oder an Schwarzafrikaner. Das tut mir leid, aber die einzigen Schwarzen, die ich hier sehe, sind Dealer“, sagt Berg. „Und wenn mal ein Student kommt, kann ich ihm nicht zur Wohnung raten.“
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Jeder bekommt das, was er wählt. Auch "Stefanie Meier" und Konsorten.