Mehmet, Erkan, Abadin und Fatma
sind seit Mitte November in Haft!
Mehr als anderthalb Jahre nach dem Tod des Funktionärs der faschistischen Deutschen Liga, Gerhard Kaindl, verhaftete der Berliner Staatsschutz vier AntifaschistInnen und fahndet nach zehn weiteren. Der Vorwurf lautet auf Mord, Mordversuch, Beihilfe und Körperverletzung. Die Ermittlungsbehörden berufen sich auf Aussagen eines angeblich Tatbeteiligten, dessen Identität von den Behörden bislang geheimgehalten wird.
Seit Montag, den 15. November durchsucht die Polizei Wohnungen von AntifaschistInnen, ihren Angehörigen und Freunden. Einer verhafteten zweiundzwanzigjährigen Kurdin wurde die Dienstwaffe an den Kopf gehalten. Als eine Nachbarin hinzukam, wurde diese ebenfalls mit gezogener Waffe am Kopf empfangen und ihr erklärt, die Beschuldigte sei eine Terroristin. Den Eltern eines weiteren Beschuldigten wurde sinngemäß erklärt, daß ihr Sohn liquidiert würde, falls er im Falle einer Verhaftung Widerstand leisten sollte.Für Fatma gelten Sonderhaftbedingungen, was absolutes Kontaktverbot, keine Bücher, ständige Kontrolle, dreiundzwanzig Stunden Einschluß und Hofgang allein bedeutet. Bis zum Wochenende hat Fatma keinen Brief, kein Telegramm erhalten, beim bisher einzigen Besuch wurden weder Umarmungen noch Berührungen erlaubt. Über die Haftbedingungen der anderen Verhafteten ist bisher nichts bekannt.
Vorverurteilung durch die Medien und Polizei
Nach der Kriminalisierung von türkischen Jugendlichen seit 1991, die sich gegen den faschistischen Terror zu wehren begannen, folgte 1992 die Hetze gegen
Antifasist Genclik (Antifaschistische Jugend), eine der wenigen antifaschistischen Initiativen verschiedener türkischer und kurdischer Menschen. Offensichtlich soll diese Initiative, wie schon 1992, kriminalisiert und jetzt als Tätergruppe aufgebaut werden.Schon kurz vor dem Tod von Gerhard Kaindl stand für die Berliner Polizei fest, daß die vermeintlich Beteiligten türkischer Nationalität sein mußten, obwohl gleichzeitig betont wurde, daß "die Täter maskiert" gewesen seien. Damit fand von Polizeiseite eine Vorverurteilung statt, und die Rede war von "einem politisch motivierten Mord". Die Ermittlungen der zwanzigköpfigen Sonderkommission des Staatsschutzes zielten von Beginn an auf die Kriminalisierung von Antifasist Genclik. Sie steht auf dem Präsentierteller, weil sie sich als Initiative von türkischen Menschen selbst gegen den alltäglichen Rassismus und Faschismus stellt. Verhaftet wurden jetzt einige der Menschen, die stets auch öffentlich gegen Rassismus und Faschismus aufgetreten sind. In der Kriminalisierungs-Linie steht auch, daß es gegen Faschisten so gut wie nie einen Mordvorwurf gegeben hat - nach über sechzig von Nazis ermordeten Menschen. Jetzt wird in den Medien mit Überschriften wie "Mord an Rechtsextremist ist aufgeklärt" (Tagesspiegel vom 20.11.93) schon im Vorfeld abgeurteilt. Die Vorreiterrolle in dieser Kampagne hat dabei der Tagesspiegel, der sich zuletzt sogar auf die Justizpressesprecherin berief. Im deutlichen Kontrast zu den Verharmlosungen, die wir aus den Prozessen gegen Faschisten kennen, werden hier die bisher über zehn Durchsuchungen mit sichtlicher Genugtuung begleitet. Unrecherchiert wird die These einer türkischen Antifa- Gruppe übernommen, die für den Tod Kaindls verantwortlich sein soll. Stets wurde und wird von Medien, Polizei und Justiz der angeblich unpolitische Hintergrund von faschistischen Mördern betont, die Einzeltäter-Theorie vertreten oder gar Verständnis verbreitet. Die Entpolitisierung rassistischer Pogrome und Morde steht auf der Tagesordnung, während gleichzeitig nahezu jedes Wochenende Menschen umgebracht, mit Molotow-Cocktails beworfen oder zusammengetreten werden. Daß in einem politisch von Pogromen und staatlich forciertem Rassismus aufgeheizten Klima in einer Auseinandersetzung dabei auch ein Faschist umkommen kann, ist nicht verwunderlich. Auch eine Kriminalisierung, wie wir sie jetzt erneut erleben, wird uns nicht davon abhalten, weiterhin gegen Rassismus und Faschismus zu kämpfen. Wir finden es richtig und notwendig, wenn wir von Nazi-Treffen hören, dort hinzugehen, vor Ort präsent zu sein und einzugreifen.
Kumpanei von Justizverwaltung und Nazis
Offensichtlich ist, daß Ermittlungsergebnisse des Staatsschutzes an die Deutsche Liga weitergegeben wurden. Diese meldete in ihrer Parteizeitung (Deutsche Rundschau - 10/93), daß "sämtliche acht Täter ermittelt seien". Die Nazis erklärten, auch die "Namen und Anschriften der türkischen Mörder" seien ihnen bekannt, und alle Beteiligten seien "Antifasist Genclik" zuzuordnen. Der Artikel endete mit der offenen Drohung "Wir kriegen Euch alle".
Polizei und Justizauf dem rechten Auge blind
Während also angeblich in diesem "Fall" alles klar, der vermeintliche Mord aufgeklärt ist und die Faschisten offen drohen können, ist in anderen Fällen die Berliner Polizei weitaus "vorsichtiger" mit Anschuldigungen; immer dann, wenn es sich um Täter aus den Reihen des Nazi-Spektrums handelt. Am Sonntag, den 21. November ist es genau ein Jahr her, daß der Antifaschist Silvio Meyer auf einem Friedrichshainer U-Bahnhof umgebracht wurde. Damals trat die Berliner Polizei mit einem falschen Obduktionsergebnis an die Öffentlichkeit und behauptete, das Messer, mit dem Silvio getötet worden war, sei sein eigenes, und der Täter hätte aus Notwehr gehandelt. Obwohl die drei später verurteilten Täter direkt aus dem Judith-Auer-Club kamen, der zu der Zeit eine der wichtigsten Rekrutierungsorte auswärtiger und Berliner Neonazis war, wurde ein politischer Hintergrund von vornherein ausgeschlossen. Von vornherein ausgeschlossen wurde auch eine Anklage wegen Mordes. In der Hauptverhandlung wurde den angreifenden Faschos bescheinigt, daß sie nicht in Tötungsabsicht gehandelt hätten und es die angreifenden Antifas waren, die provoziert hätten, weil sie nicht weggelaufen sind.Wir werden auch in Zukunft nicht weglaufen!
Sofortige Freilassung aller Gefangenen! Schluß mit der Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands!Lückenlose Aufklärung der Kontakte zwischen faschistischen Kadern und Staatsschutz!FreundInnen und AntifaschistInnen Berlin, 21.11.93Die verfolgten AntifaschistInnen brauchen Eure/Ihre Unterstützung! Spendet für Prozeßkosten usw. auf das Konto:Berliner Sparkasse, Konto-Nr. 0620173300,BLZ 10050000.Inzwischen ist noch ein weiterer Antifaschist verhaftet worden. (d.Red.)
Die Linke muß sich zusammenschließen