Welt Online: Sie verbrachten Kindheit und frühe Jugend in der Nazi-Zeit. Was ist Ihre früheste Erinnerung?
Baring: Wir haben 1938 sowohl in der Grundschule in der Nähe von Dresden und in Berlin dann im Gymnasium, das war 1942, jeden Morgen am Beginn des Unterrichts gebetet. Können Sie sich das vorstellen? Glaubt heute kein Mensch.
Welt Online: Was ist Ihre traumatischste Erinnerung als Kind?
Baring: Der Untergang Dresdens im Februar 1945 war ein ungeheurer Schock. Ohne meine Großmutter hätte ich ihn nicht überlebt. Wir saßen in einem tiefen Keller, und ich war nach der zweiten Angriffswelle hinaufgelaufen, hatte gesehen, wie draußen das Feuer, dieser ungeheure Sturm, tobte und durch die Straße raste: "Oma, lass uns hier unten im feuchten, kalten Keller bleiben und warten, bis der Sturm vorbei ist und dann gehen wir raus", sagte ich. Und sie, mit dem Instinkt von Frauen: "Wir müssen hier raus, sofort raus!" Kurz danach stürzte alles ein. Mehr als 50 Menschen sind umgekommen.
Welt Online: Der 8. Mai, dieser schicksalsträchtige Tag, ist Ihr Geburtstag. Haben Sie noch genaue Erinnerung an den %8. Mai 1945 in Berlin? Konnte man an einem solchen Tag überhaupt feiern?
Baring: Doch, meine Mutter hatte ein Buch für mich gekauft von Peter Rosegger, die Geschichte über ein Alpenkind in Österreich. Der eigentliche Schrecken war vorher. Das ist die Eroberung Berlins durch die Rote Armee gewesen. Monatelang die Bomben der Engländer und Amerikaner, Tag und Nacht. Und dann diese Stille. In der Schule hatten wir geredet, ob wir nach Sibirien verschleppt, versklavt oder gleich umgebracht würden. Die Angst war sehr groß. Und dann diese Vergewaltigungen. Diese Vergewaltigungen! Lange konnte ich in der Mitte der Überdecke meines Bettes den großen Fleck sehen, den die russischen Soldaten hinterlassen hatten. Immer wieder wurde ich mit verbundenen Augen hinters Haus geführt, um erschossen zu werden. Meine Frau ist der Meinung, diese Zeit hätte ich nie verkraftet.
Welt Online: Ihre Mutter ist vergewaltigt worden?
Baring: Nein, ist sie nicht. Ich habe einen jüngeren Bruder, der ist 1943 geboren. Der war anderthalb und schrie aus Leibeskräften. Das haben die Russen respektiert.