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Thema: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

  1. #1
    auf Wunsch inklusive Benutzerbild von Maxvorstadt
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    Standard Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Performance strebt im Gegensatz zum herkömmlichen Theater eine Realerfahrung an, eine gegenseitige Entgrenzung, wenn nicht die völlige Aufhebung der Limits von Kunst und Wirklichkeit, sie begreift das Ästhetische und speziell das Theatralische als wesentlichen und konstitutiven Teil des Wirklichen. Und diese Entgrenzung umfasst stets beide: die Agierenden wie die Zuschauer. Sie werden gleichermaßen Teil des Geschehens, werden mit ihm sinnlich, emotional und geistig konfrontiert, werden von ihm schockiert oder fasziniert oder beides zusammen. Auf jeden Fall müssen sie sich zum Geschauten und Gehörten in einer Weise real verhalten. Performance setzt vorrangig auf erlebte und gemeinsam geteilte Gegenwart, sie akzentuiert zu diesem Zweck den Moment gegenüber dem Ganzen, spielt das Experiment gegen das fertige Kunstwerk aus, bevorzugt den Prozess vor dem Endprodukt. Sie rechnet mit der Unberechenbarkeit der Zeit ebenso wie mit Widerspenstigkeit ihrer Materialien.
    So lautet es in einem Programmheft einer Performance, die ich mit meiner Frau vor einigen Tagen besuchte, von Schauspielschülern und Studenten der Kunstakademie sowie der Münchner Filmhochschule in Szene gesetzt. Zuerst wurde ich unruhig, da die Anfangsszene 10 Minuten lang nur eine Umarmung von einer Frau und einem Mann zeigte. Ohne Musik nur ein Videobild einer typischen Vorstadtstraße. In diesen zehn Minuten bewegte sich fast nichts. Es kam nur einmal ein Postauto und ein Radfahrer durch das Videobild gefahren. Nur deshalb konnte man erkennen, dass es sich um ein Videofilm handelte und keinem Standbild. Auf was will ich hinaus? Ganz einfach. Mir wurde durch diese Performance der Begriff Zeit nahegebracht. Beziehung, Einsamkeit. 10 Minuten können einem verdammt lang vorkommen. Man wird unruhig, da ja auch das Paar völlig regungslos in seiner Umarmung auf der Bühne stand. Nach zehn Minuten stieß die Frau den Mann von sich und drehte sich um und verschwand. Zurück blieb der Mann, der noch einmal 2 Minuten regungslos dastand, bis es dunkel wurde und die zweite Performance begann. Aber ich war irgendwie völlig geplättet von den ersten 12 Minuten. Was also macht Kunst mit uns? Wie kann es sein, dass mich eine gleiche Szene einer stillen Straße in Echtzeit völlig kalt lässt, aber eine Nachstellung völlig plätten kann? :shrug:


    Maxvorstadt ist der Beste

  2. #2
    nouvelles à la main Benutzerbild von umananda
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Maxvorstadt Beitrag anzeigen
    So lautet es in einem Programmheft einer Performance, die ich mit meiner Frau vor einigen Tagen besuchte, von Schauspielschülern und Studenten der Kunstakademie sowie der Münchner Filmhochschule in Szene gesetzt. Zuerst wurde ich unruhig, da die Anfangsszene 10 Minuten lang nur eine Umarmung von einer Frau und einem Mann zeigte. Ohne Musik nur ein Videobild einer typischen Vorstadtstraße. In diesen zehn Minuten bewegte sich fast nichts. Es kam nur einmal ein Postauto und ein Radfahrer durch das Videobild gefahren. Nur deshalb konnte man erkennen, dass es sich um ein Videofilm handelte und keinem Standbild. Auf was will ich hinaus? Ganz einfach. Mir wurde durch diese Performance der Begriff Zeit nahegebracht. Beziehung, Einsamkeit. 10 Minuten können einem verdammt lang vorkommen. Man wird unruhig, da ja auch das Paar völlig regungslos in seiner Umarmung auf der Bühne stand. Nach zehn Minuten stieß die Frau den Mann von sich und drehte sich um und verschwand. Zurück blieb der Mann, der noch einmal 2 Minuten regungslos dastand, bis es dunkel wurde und die zweite Performance begann. Aber ich war irgendwie völlig geplättet von den ersten 12 Minuten. Was also macht Kunst mit uns? Wie kann es sein, dass mich eine gleiche Szene einer stillen Straße in Echtzeit völlig kalt lässt, aber eine Nachstellung völlig plätten kann? :shrug:
    Wir haben schon kurz darüber gesprochen ... und ich habe vergessen dir mitzuteilen, dass ich deine Wahrnehmung als grundsätzliche Voraussetzung für die Betrachtung eines Kunstwerkes empfinde. Das wahre dramatische Leben ist kein Kaleidoskop von vielfältigen Ausdrucksformen, die Geste für Geste oder Schrei für Schrei zerlegt, sondern es sind Standbilder. Selbst die berühmte Dose von Andy Warhol ...



    ... ist ja letztlich nichts anderes als ein Standbild aus unserem Alltag. Wir, die Betrachter machen etwas zu einem Kunstwerk. Nüchtern betrachtet, bleibt diese Dose eine schlichte Dose. Aber durch das Betrachten einer Performance zum Beispiel ... bringt uns eine menschenleere Straße in Erinnerung, die wir fast täglich sehen. Man kann es weiter verfolgen und die Bäume von Egon Schiele heranziehen ...



    ... jeder Mensch hat solche Bäume schon irgendwann gesehen. Aber ein Kunstwerk reduziert unser Sehen ... und genau da fängt es an. Kunst ist immer eine Reduzierung der eigenen Wahrnehmung auf das Wesentliche. Und dadurch werden wir offen für unsere eigenen Erfahrungen.

    Servus umananda


    Überzeugen ist unfruchtbar.

    Walter Benjamin
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  3. #3
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Das hast du einerseits recht Uamanda, anderseits ist Maxens Beitrag und die Perfomence der ekelhaften münchener Medienwichser völliger Mist.

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    »Es schmücken deine Worte dich, so schön wie deine Wunden – nach Ehre schmecken beide.«
    W.Shakespear »Mac Beth«

    Ich bin das, was die 68er immer abtreiben wollten

  4. #4
    nouvelles à la main Benutzerbild von umananda
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Maxvorstadt Beitrag anzeigen
    (...) Was also macht Kunst mit uns? Wie kann es sein, dass mich eine gleiche Szene einer stillen Straße in Echtzeit völlig kalt lässt, aber eine Nachstellung völlig plätten kann?


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    Die Kunst kann nur das hervorrufen ... was in dem Betrachter vorhanden ist. Letztich ist es ein Wiedererkennen von Dingen, die man bereits bewusst oder auch unbewusst gefühlt, gedacht oder berührt hat. Wenn du also im Nachhinein von einer dir an sich vertrauten Szene sozusagen "geplättet" bist, dann hat es gerade die Wiederholung hervorgerufen. Ein Kunstwerk ist ja letztlich eine Wiederholung einer bereits erfolgten Wahrnehmung.

    Servus umananda


    Überzeugen ist unfruchtbar.

    Walter Benjamin
    (1892 - 1940)

  5. #5
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Performance als Déjà-vu..?


    woran nur erinnert mich das..?

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    Knud
    Advocatus Diaboli

  6. #6
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Maxvorstadt Beitrag anzeigen
    [...]
    auf was will ich hinaus? Ganz einfach. Mir wurde durch diese Performance der Begriff Zeit nahegebracht. Beziehung, Einsamkeit. 10 Minuten können einem verdammt lang vorkommen. Man wird unruhig, da ja auch das Paar völlig regungslos in seiner Umarmung auf der Bühne stand. Nach zehn Minuten stieß die Frau den Mann von sich und drehte sich um [...]
    Mir kam beim Lesen deiner Zeilen sofort der Gedanke ... daß der wesentliche Unterschied zwischen einer Umarmung und einer Umklammerung lediglich die Zeit ist. Darum deine Unruhe. Du fühltest dich umklammert. So wie die Frau den Mann schließlich von sich stieß - und er selbst erstarrte, in der Stummheit des Raums. Danke für diesen Gedanken. So klar hatte ich das eigentlich noch gar nicht im Sinn. Das Timing ist das Entscheidende. Etwa beim zufälligen finden der großen Liebe in einem Café; sie findet plötzlich statt ... ohne zu Fragen ... an einem im grunde alltäglichen, nichtigen Ort, wird dort aber zu einem Sinnkreis. Und nur wegen der Zeit.


    Aber ich war irgendwie völlig geplättet von den ersten 12 Minuten. Was also macht Kunst mit uns? Wie kann es sein, dass mich eine gleiche Szene einer stillen Straße in Echtzeit völlig kalt lässt, aber eine Nachstellung völlig plätten kann? :shrug:
    Die Erinnerung, die sich vergisst ... und eine Wiedergeburt in den Augenblick erfährt. Anders, aber wie ein Spiegel, in dem man sich wiederfindet.

  7. #7
    farbig Benutzerbild von dye
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Maxvorstadt Beitrag anzeigen
    So lautet es in einem Programmheft einer Performance, die ich mit meiner Frau vor einigen Tagen besuchte, von Schauspielschülern und Studenten der Kunstakademie sowie der Münchner Filmhochschule in Szene gesetzt. Zuerst wurde ich unruhig, da die Anfangsszene 10 Minuten lang nur eine Umarmung von einer Frau und einem Mann zeigte. Ohne Musik nur ein Videobild einer typischen Vorstadtstraße. In diesen zehn Minuten bewegte sich fast nichts. Es kam nur einmal ein Postauto und ein Radfahrer durch das Videobild gefahren. Nur deshalb konnte man erkennen, dass es sich um ein Videofilm handelte und keinem Standbild. Auf was will ich hinaus? Ganz einfach. Mir wurde durch diese Performance der Begriff Zeit nahegebracht. Beziehung, Einsamkeit. 10 Minuten können einem verdammt lang vorkommen. Man wird unruhig, da ja auch das Paar völlig regungslos in seiner Umarmung auf der Bühne stand. Nach zehn Minuten stieß die Frau den Mann von sich und drehte sich um und verschwand. Zurück blieb der Mann, der noch einmal 2 Minuten regungslos dastand, bis es dunkel wurde und die zweite Performance begann. Aber ich war irgendwie völlig geplättet von den ersten 12 Minuten. Was also macht Kunst mit uns? Wie kann es sein, dass mich eine gleiche Szene einer stillen Straße in Echtzeit völlig kalt lässt, aber eine Nachstellung völlig plätten kann? :shrug:
    Bei Nachstellungen von Szenen wird eine Erwartungshaltung des Betrachters gezielt aufgebaut. Kunst baut immer Erwartungshaltungen beim Betrachter im Bezug auf das Ungewöhnliche und Besondere auf. Ob die Erwartungen dann erfüllt werden ist eine andere Sache. Bei gewöhnlichen Alltagszenen ist das nicht oder nur selten der Fall. Kein Mensch kann im Alltag ständig mit positiven oder negativen Erwartungen herumlaufen und auf alle Signale und Reize die er wahrnimmt bewusst reagieren, sonst würde der Mensch krank und irrsinnig.

    "Obsequium amicus, veritas odium parit" / "Willfährigkeit macht Freunde, Wahrheit schafft Hass"

  8. #8
    nouvelles à la main Benutzerbild von umananda
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Knudud_Knudsen Beitrag anzeigen
    Performance als Déjà-vu..?


    woran nur erinnert mich das..?

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    Knud
    Das musst du beurteilen können ... ich kenne dein Sexualleben nicht.

    Servus umananda


    Überzeugen ist unfruchtbar.

    Walter Benjamin
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  9. #9
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von dye Beitrag anzeigen
    Bei Nachstellungen von Szenen wird eine Erwartungshaltung des Betrachters gezielt aufgebaut. Bei Alltagszenen ist das nicht der Fall. Kein Mensch kann im Alltag ständig mit positiven oder negativen Erwartungen herumlaufen und auf alle wahrnehmbaren Signale reagieren, sonst würde der krank und irrsinnig.
    Es gibt Ausnahmen ... Georg Trakl, der große Apotheker, konnte das. :wacky:

  10. #10
    farbig Benutzerbild von dye
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    Standard AW: Eine Performance, die mich beeindruckt hat. Was macht Kunst mit uns?

    Zitat Zitat von Raziel Beitrag anzeigen
    Es gibt Ausnahmen ... Georg Trakl, der große Apotheker, konnte das. :wacky:
    Ich kenne den Typen nicht. War der große Apotheker auf LSD oder andere bewusstseinserweiternde Drogen?

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