Wenn es in Deutschland kräftig bläst, beginnen die Techniker in Polen und Tschechien zu schwitzen. Weil ein Überangebot aus dem Nachbarland droht, treten sie auf die Strombremse. von Nils Kreimeier Berlin
Anzeige
Vaclav Bartuska, Energiebeauftragter der tschechischen Regierung, hat gelernt, mit den politischen Kapriolen im benachbarten Deutschland zu leben. Er benutzt das Wort "Energiewende", auch wenn er Tschechisch oder Englisch spricht. Und er legt Wert darauf, dass er "kein Problem" mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie hat - auch wenn sein eigenes Land eine entgegengesetzte Strategie verfolgt.
Doch wenn es um den Ausbau der Stromnetze geht, dann kann Bartuska emotional werden. "Alle reden von gemeinsamer Verantwortung in Europa", sagt er. "Aber was wir wirklich haben, das ist gar keine Verantwortung."
Die Verärgerung des Tschechen hat einen handfesten Grund. Seit die Bundesregierung vor einem Jahr acht Kernkraftwerke abgeschaltet hat, gibt es im Süden Deutschlands einen latenten Strommangel. Der wird ausgeglichen durch zunehmende Lieferungen von Windstrom aus Norddeutschland. An stürmischen Tagen mit starkem Stromaufkommen aber sind die Trassen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Süden rasch überfordert. Der Strom weicht dann automatisch in die benachbarten Netze Polens und Tschechiens aus und führt dort zu Überlastungen.
Höherer Bedarf: Saldo von Import- und Exportstrom in Deutschland
Der polnische Netzbetreiber PSE hat bereits klargemacht, dass es so nicht weitergehen kann. Die Leitungen des östlichen Nachbarlandes sind auf einen stetigen und berechenbaren Zufluss aus den heimischen Kohlekraftwerken ausgelegt und kaum in der Lage, die zunehmenden Schwankungen aufzufangen. "Es wird in dieser Situation immer schwieriger, die Sicherheit des verbundenen Energiesystems zu gewährleisten", heißt es in einer Stellungnahme von PSE.
Die Polen wollen daher am Übergang zum deutschen Stromnetz so genannte Phasenschieber installieren - gewaltige und kostspielige Geräte, die die Funktion von Türstehern übernehmen sollen: Hinein kommt nur noch so viel Strom, wie es dem Betreiber gerade passt. "Wir haben das Bundeswirtschaftsministerium schon lange darüber informiert, dass wir das machen können", sagt Arkadiusz Roman, der an der polnischen Botschaft in Berlin für Energiefragen zuständig ist. "Ich denke, dass die deutsche Seite dafür Verständnis hat."
Beim zuständigen deutschen Netzbetreiber 50Hertz appelliert man jedoch an die Solidarität der Nachbarn. "Natürlich können wir die Logik der polnischen Seite nachvollziehen", sagt der Unternehmenssprecher Volker Kamm. "Aber es ist dem europäischen Gedanken insgesamt sicher nicht förderlich, Sperren oder Nadelöhre zu errichten." Erst 2010 hat das Unternehmen mit der polnischen PSE vereinbart, die Leitung zwischen beiden Ländern zu erweitern, ein Plan, der nun ad absurdum geführt wird.
Das Problem für 50Hertz: Machen die Polen die Tür künftig zu, steigt der Druck auf das eigene Netz wieder. Bei hohem Stromaufkommen müssten dann immer wieder Windkraftanlagen abgeschaltet werden. Um den Süden trotzdem weiter zu versorgen, wäre Deutschland dann gezwungen, Atomstrom aus Frankreich zu importieren. "Betriebswirtschaftlich ist das natürlich völliger Unsinn", sagt Kamm.