18.04.2011 Trotz Überangebot am Markt ist der Ölpreis zuletzt deutlich gestiegen. Auch deshalb vermuten die Analysten der Commerzbank, dass hinter dem kräftigen Anstieg primär Spekulationen der Finanzmarktakteure stecken.
In einer Studie zum Ölpreis und dessen Einflussfaktoren zeigt sich Commerzbank-Analystin Barbara Lambrecht jedenfalls überzeigt, dass sich die Einflussfaktoren in den vergangenen Jahren deutlich verschoben haben.
„Der Ölmarkt dürfte mittlerweile weniger von den klassischen Fundamentaldaten als von Finanzmarktteilnehmern bestimmt werden“, ist sie sich sicher. Und solange die Fed ihre Politik des billigen Geldes nicht beendet, bleiben aus ihrer Sicht Aufwärtsrisiken beim Ölpreis bestehen.
Für die Finanzmärkte ist der Ölpreis deshalb wichtig, weil von ihm viele Kursentwicklungen abhängen. So dürfte der seit August 2010 zu beobachtende Anstieg des Preises für Rohöl der Sorte Brent um 50 Dollar je Fass entscheidend zu den gestiegenen Inflationserwartungen beigetragen haben. Und diese vom Ölpreis getriebenen Inflationserwartungen waren es laut Lambrecht vermutlich, die den Anstieg der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen seit Herbst 2010 erklären. Auch bei der Schwäche des Dollar dürfte das teurere Rohöl eine wichtige Rolle gespielt haben. Denn da sich die Fed nicht an der gestiegenen Gesamtinflationsrate, sondern an der nach wie vor niedrigen Kerninflation (Teuerung ohne Nahrungsmittel- und Energiepreise) orientiert, hat die Fed ihren Leitzins anders als die EZB noch nicht erhöht, was auf dem Dollar lastet.
* Am Rohstoffmarkt droht ein Teufelskreis
* Rohstoffe: Der Ölpreis sinkt deutlich
* Wette auf fallende Ölpreise
* Inflationserwartungen: Der hohe Ölpreis ist ein Risikofaktor
* Unterschiedliche Faktoren: Der Ölpreis klettert auf alte Höhen
Fundamentaldaten haben an Bedeutung verloren
Wie immer in freien Märkten wird auch der Rohölpreis vom Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt. Lange Zeit galten deshalb Lagerbestandsdaten als wichtige Bestimmungsfaktoren für den Ölpreis. Doch seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts scheint dieser Zusammenhang zusammengebrochen zu sein. Es hat sich nicht nur das Ölpreisniveau erhöht, sondern der Zusammenhang zwischen der Reichweite der Lagerbestände und dem Ölpreis ist wesentlich lockerer geworden, für bestimmte Zeiträume ist er gar nicht mehr nachweisbar. Das könnte zum Teil an Messproblemen liegen: Die Bedeutung der Industrieländer als Absatzmarkt hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Stattdessen wird der Ölmarkt mehr und mehr durch die Schwellenländer bestimmt, für die aber kaum Lager-Daten vorliegen.
Dass die Lagerdaten den Ölpreis kaum noch erklären können, dürfte nach Ansicht von Lambrecht aber vor allem daran liegen, dass Finanzinvestoren mittlerweile eine wesentlich größere Rolle spielen. Ein Indiz dafür ist die immens gestiegene Zahl der offenen Kontrakte an den Terminmärkten für Öl. Allein an der Terminbörse NYMEX war diese im Durchschnitt des vergangenen Jahr mit 2,6 Millionen doppelt so hoch wie fünf Jahre zuvor (siehe Grafiken). Bei einer Kontraktgröße von 1000 Barrel entspricht dies dem Dreißigfachen des täglichen weltweiten Verbrauchs. Dabei wird nicht einmal ein Prozent der börsennotierten Kontrakte zur Fälligkeit tatsächlich physisch abgewickelt. In der Regel erfolgt nur ein Austausch von Zahlungsströmen.
Die wichtig gewordenen Finanzinvestoren orientieren sich heute weniger an der aktuellen Nachfrage-Angebots-Situation, sondern an den Erwartungen für die künftige Entwicklung. Ein Indiz hierfür ist, dass sich Ölpreise und Aktienkurse mittlerweile anders als früher recht gleichgerichtet entwickeln. Gemeinsame Treiber sind dabei nicht nur die Konjunkturperspektiven, die am Aktienmarkt die Gewinnerwartungen und am Rohölmarkt die Perspektiven für die Nachfrage bestimmen. Wichtige Faktoren sind auch die Risikoaversion, Liquidität oder das Zinsniveau.
Spekulative Anleger verstärken kurzfristige Tendenzen
Grundsätzlich sind am Rohölmarkt wie an den meisten Finanzmärkten zwei Typen von Finanzanlegern zu unterscheiden: zum einen die sogenannten „spekulativen Anleger“ mit eher kurzfristigem Anlagehorizont. Sie agieren sowohl auf der Kauf- als auch der Verkaufsseite. Die Aufsichtsbehörde für die Terminmärkte in Amerika, die CFTC, subsumiert diese Anleger in der Gruppe „managed money“, zu der auch die Hedge Fonds zählen. Sie halten derzeit insgesamt knapp 25 Prozent der offenen Kontrakte. Der Gleichlauf der von ihnen gehaltenen Netto-Long-Positionen mit dem Ölpreis zeigt, dass sie vielleicht nicht die Richtung der Preisentwicklung bestimmen, bestehende Trends aber zumindest verstärken. Aktuell sind die von ihnen gehaltenen Positionen fast auf ein Rekordhoch geklettert, während sie zu Jahresbeginn 2009 eher neutral positioniert waren.
Die zweite Gruppe sind die Investoren, die eine langfristig attraktive Anlagemöglichkeit für ihr Geld suchen. Sie haben Rohstoffmärkte als zusätzliche Vermögensklasse entdeckt. Wie Lambrecht in ihrer Studie ausführt, engagieren diese sich verstärkt auf der Kauf-Seite. Zu ihnen zählten die „IndexTrader“, die Ende Februar netto in Höhe von 47 Milliarden Dollar oder 480.000 Kontrakten auf der Long-Seite investiert waren. So lange Rohstoffe - und damit auch Öl - als eine Anlageklasse angesehen werden und damit langfristige Anleger in nennenswertem Umfang engagiert bleiben, dürfte der Ölpreis höher liegen als früher bei einem ähnlichen Umfeld üblich.
Aktuell werden die Erwartungen der Anleger zudem stark durch die Ängste vor einer Angebotsverknappung beeinflusst. Schließlich fällt in Libyen pro Tag die sonst übliche Produktion von 1,3 Millionen Barrel aus, sie dürfte wegen der zerstörten Produktionsinfrastruktur auch dann nicht wieder schnell hochgefahren werden, wenn sich die politische Situation stabilisiert. Zwar gleicht Saudi-Arabien die Produktionsausfälle Libyens teilsweise aus, weshalb derzeit kein Engpass besteht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch in anderen Ölförderländern zu Unruhen und damit zu Produktionsausfällen kommt. Die Höhe der derzeitigen Risikoprämie lässt sich nicht genau quantifizieren. Allerdings notiert Brent-Öl aktuell knapp 30 Prozent höher als zu Jahresbeginn, also vor den Unruhen. Im gleichen Zeitraum hat der Index der Londoner Metallbörse LMEX nur um 3 Prozent zugelegt. Dieser Vergleich lässt vermuten, dass ein beträchtlicher Teil des Anstiegs in diesem Jahr auf eine gestiegene Risikoprämie zurückzuführen ist.
Investoren könnten den Ölpreis zunächst weiter antreiben
Die anhaltenden Unruhen in den arabischen Ländern dürften den Ölpreis zunächst zumindest auf einem hohen Niveau halten. Eine weitere Verschärfung der Situation könnte diesen sogar steigen lassen. Sobald sich die Lage aber stabilisiert, rechnet Lambrecht mit einer Rückkehr zur Normalität. Trotz der geringeren Förderung in Libyen liegen die frei verfügbaren Kapazitäten nämlich weiterhin über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Darüber hinaus dürfte der in vielen Ländern eingeleitete Zinserhöhungszyklus den Optimismus der Investoren zunehmend dämpfen.
Ein weiteres Argument für mittelfristig niedrigere Preise ist der Effekt des hohen Ölpreises selber. Kurzfristig reagiert die Nachfrage nach Öl zwar kaum auf Preisänderungen, mittelfristig dürfte ein höherer Preis sie aber bremsen. Denn zum einen bremst das teurere Öl die Konjunktur, zum andern suchen die Verbraucher verstärkt nach Einsparmöglichkeiten. Darüber hinaus vergrößert ein höherer Preis den Anreiz zur Produktionsausweitung. Die IEA schreibt deshalb in ihrem Monatsbericht: Unglücklicherweise sind die beste Abhilfe gegen hohe Preise die hohen Preise selbst. Insgesamt rechnet die Commerzbank deshalb bis zum Jahresende wieder mit Preisen unter 100 Dollar.
Für die kommenden Monate besteht allerdings das Risiko, dass die Investoren den Ölpreis weiter nach oben treiben. Das würde die Kapitalmärkte belasten. Denn ein weiterer Anstieg würde die Inflationsraten stärker steigen lassen als derzeit allgemein erwartet und damit auch die Inflationserwartungen weiter nach oben treiben. Dies könnte die EZB zu schnelleren Zinserhöhungen veranlassen und damit direkt und indirekt die Rentenmärkte belasten, zumal ein weiterer kräftiger Inflationsanstieg zumindest die Falken in der Fed lautstark über eine Zinswende in Amerika nachdenken lassen würde.