Moin,

Heute beschäftige ich mich mit einem meiner Lieblingsthemen: Dem Wahnsinn, dem Irresein, der sogenannten Verrücktheit.

Die Verrücktheit kann man auf zwei Arten definieren. Die erste Art, die, die meist Anwendung findet, ist die Verrücktheit vom Normalen; man denkt also nicht wie der normale Mensch. Die zweite Art ist die Verrücktheit von der Realität.

Nun mag mancher aufhorchen und mich fragen, ob das denn nicht dasselbe sei. Nun; es ist typisch für den Verrückten, dass er glaubt, nicht er sei verrückt, sondern alle anderen. Das geht auch gut an, denn, nehmen wir das Verrücktsein als Verrücktsein von der Normalität, so waren die großen Denker unserer Geschichte allesamt dem Wahnsinn verfallen, sämtliche Religionsstifter irre. Jesus war wohl kaum nicht verrückt von der Realität, die die anderen wahrnehmen, Buddha, Sokrates, Hildegard von Bingen, ein Dschuang Dsi, allesamt Wahnsinnige, wenn der Wahn denn die Abweichung von der Normalität darstellen soll.

Wenn man allerdings die Verrücktheit als ein Verrücktsein von der objektiven Realität wahrnimmt, so sind, so kann man wahrlich behaupten, alle Menschen verrückt und wahnsinnig. Denn niemand, so glaube ich, nimmt die Realität so wahr, wie sie tatsächlich ist. Die objektive Realität sei gar nicht existent, könnte nun der Subjektivist sagen; und wahrlich, dieser Punkt ist valid. Die Realität wird immer subjektiv wahrgenommen, gehen wir von der Existenz eines Subjekts aus. Gehen wir allerdings von einer objektiven Realität aus, so muss der subjektive Beobachter verworfen werden und kann gar nicht mehr existieren, so wie wir ihn uns vorstellen, als getrenntes, von der objektiven Welt losgelöstes Wesen, welches beobachtet und beurteilt.

Lasst mich diesen Punkt einfacher machen. Nehmen wir eine objektive Realität an, so können wir von einer Theorie unserer Wahl ausgehen, um diese Realität zu erklären; nehmen wir das Standartmodell der Physik oder die Stringtheorie (letztere wäre wohl angemessener, weil erstere nicht stehen kann; doch diese Diskussion will ich hier nicht führen). Wenn wir nun also auf einer solchen objektiven Realität basieren, also aus ihr bestehen, so bestehen wir alle aus ihr.

Wir bestehen dann aus den selben Bausteinen, so viel ist sicher; wir gehen aus ihnen hervor; letzten Endes sind wir also diese Bausteine. Und weil wir alle diegleichen Bausteine sind, sind wir, prinzipiell gesprochen, alle eins.

Es gäbe also, wenn wir das annehmen, gar keine echte Trennung, und das Subjekt könnte nicht mehr bestehen, weil es das Subjekt objektiv gar nicht gäbe. Es wäre lediglich ein aus Strings (oder Quarks oder was auch immer) bestehendes Objekt, welches Bewusstsein hat, und deshalb glaubt, es sei ein eigenständiges Wesen, während seine Handlungen doch komplett aus seinen Einzelteilen ableitbar und somit determiniert sind, wenn gleich nicht determinierbar, denn, so sagte mal irgendein schlauer Kopf, wenn das Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, so wären wir zu blöd, um es zu verstehen. (Ich glaube, den Spruch habe ich entweder aus 'Das Gehirn - ein Unfall der Natur' oder 'die Seelenmaschine' - weiß nicht mehr)

Wenn dies also der Fall wäre, und das lässt sich wohl, so diese Argumentationskette richtig ist, sagen, dann wären wir alle verrückt, weil wir annehmen, dass wir von etwas getrennt sind, was wir gar nicht sind. Wir wären verrückt von der Realität und würden sie nicht so wahrnehmen, wie sie tatsächlich ist: Wir sähen verschiedene Wege, wo tatsächlich nur einer ist, und wir wüssten nicht, wie die Realität aussieht, weil unser Gehirn uns Dinge vorgaukelt, die da draußen nicht existieren; die es lediglich im eigenen Kopf gibt.

Wenn wir also gar nicht subjektiv sind, sondern objektiv, so bedeutet dies eine einfache Sache: Alles, was wir tun, ist objektiv erklärbar. Wir könnten alles erklären, was es gibt, wenn wir nur nicht so dumm wären. Wenn wir aber alles erklären können, so können wir kaum gewisse Charaktereigenschaften als gut oder schlecht bezeichnen, denn sie sind ja erklärbar. Das will ich noch ein wenig ausführen.

Nehmen wir ein einfaches Spiel: Schach. Wenn wir eine Partie spielen, und wir nehmen weiß, so könnten wir, angenommen, wir wüssten alles über dieses Spiel, in jedem Fall gewinnen oder patt spielen. Wir könnten alles erklären, was hier vorgeht; wir würden das Spiel so sehen, wie es in der Realität aussieht, nicht so, wie wir es gerne hätten. Mit anderen Worten: Nehmen wir das Spiel in der kompletten Realität wahr und haben wir ein Gehirn, das es wohl nicht gibt. Wüssten wir nun auch noch alles über unseren Gegner, so könnten wir sofort das komplette Spiel determinieren. Das ist logisch; doch sollte ich es vielleicht noch einfacher machen.

Wir haben ein Spiel; das Spiel besteht darin, auf etwas zu wetten. Wir wissen, dass das Spiel so ausgehen wird: Wenn ich das erste Mal spiele, so gewinne ich; wenn ich das zweite Mal spiele, so verliere ich. So wird das Spiel ausgehen; wir kennen alle Vorzeichen, wir wissen, was passieren wird.

Schach ist exakt so ein Spiel, nur viel, viel komplexer. Und, wenn wir eine Objektivität postulieren, kommt jetzt der Hammer: Die ganze Welt wäre ein solches Spiel, nur viel, viel komplexer, postulieren wir eine objektive Realität; dass das aber niemand wahrnimmt, und glaubt Entscheidungen treffen zu können, führt zu einer logischen Schlussfolgerung: Definieren wir Verrücktsein als Verrücktsein von der Realität, so sind alle Menschen verrückt.

Zumindest alle, die ich kenne.

Was ist nun das, was wir gemeinhin als Wahnsinn, als Verrücktheit bezeichnen, die Verrücktheit von der Normalität? Das ist etwas anderes: Hier kann dieser Widerspruch nicht mehr bestehen, und der Mensch kann in der normalen schein-subjektiven Welt der anderen Menschen nicht mehr existieren; er weiß ja, dass das nicht die Realität ist, wie das alle wissen, nur können die anderen aufgrund einer stabilen Psyche damit klarkommen, während der, der in die Psychiatrie muss, das eben nicht kann.

Ihm bleibt einer von zwei Wegen: Verrückt von der Normalität ist er in jedem Fall, also kann er entweder die Realität ergründen, oder er findet eine andere Lösung. Fast alle finden eine andere Lösung: Verschwörungen, böse Menschen. So wird er vollständig verrückt von der Realität, weswegen die meisten Menschen verrückt von der Normalität und verrückt von der Realität als gleichwertig sehen, ohne zu merken, dass sie ja eigentlich selbst verrückt sind; zumindest ein wenig.